Venezuela: Joe Biden - die neue Hoffnung
7.4.2021
Venezuela macht eine außerordentlich tiefe wirtschaftliche und politische Krise durch. Allein 2019 gingen die wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes das sechste Jahr in Folge um 28 Prozent zurück. Damit schrumpfte das BIP seit 2013 um 73 Prozent. Eine Ursache dafür ist der Rückgang der Rohölproduktion im Jahr 2020 um 22 Prozent. Im Wirtschaftsbericht der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) zu Venezuela 2020 wird ein anderer Grund benannt: die Verschärfung der Sanktionen seitens der USA. Venezuela wurde von allen externen Finanzquellen abgeschnitten. Die seit 2017 durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump verschärften Sanktionen verursachten 194 Mrd. US$ wirtschaftliche Verluste, was 16 Monaten nationaler Produktionstätigkeit entspricht.
Schon 2019 intensivierten sich die finanziellen Probleme des öffentlichen Sektors, was zur erheblichen Einschränkung der öffentlichen Ausgaben und der Finanzierung des Zahlungsdefizits führte. Zwischen 2017 und 2020 betrugen die offenen Zahlungen 27.000 Mio. US$. Der Zugang Venezuelas zu internationalen Finanzquellen ist durch die US-Sanktionen faktisch verschlossen. Diese offenen Zahlungen über 27.000 Mio. US$ machen das 4,2-fache der internationalen Reserven des Landes aus.
Mit den dadurch angewachsenen Schulden verschärfte sich die Situation der nationalen Währung, dem Bolivar, und die Inflationsrate stieg 2019 auf 9.585 Prozent und erreichte in den ersten Monaten des Jahres 2020 2.294 Prozent. Die Exporte des Landes verringerten sich 2019 um 34 Prozent, auch eine Folge der von den USA verhängten Sanktionen.
Den durch die Pandemie hervorgerufenen Preisverfall des Erdöls (67% geringer als 2019) und Rückgang der Erdölproduktion führten zu einer starken Einschränkung der wirtschaftlichen Aktivitäten, einer Reduzierung von notwendigen Importen (insbesondere von Lebensmitteln) und einer Verschärfung der Spannungen zwischen der Exekutive und dem Parlament, das sich in der Hand der Opposition befand.
Hinzu kommen die Auswirkungen der Pandemie seit März 2020, die mit einer Verteuerung der Grundnahrungsmittel und einem Rückgang der Löhne um 37,4 Prozent im Jahr 2018 und um 30 Prozent in 2020 verbunden sind. Zuletzt in 2018 veröffentlichte Angaben zur Arbeitslosenquote besagen, dass nur noch 49 Prozent der vorhandenen Arbeitskräfte real im Arbeitsprozess stehen.
Die anhaltende soziale und politische Krise hatte bereits vor der Pandemie zu massivem Mangel an Nahrungsmitteln und anderen lebenswichtigen Gütern, einschließlich der gesundheitlichen Versorgung, geführt. Mit der massenhaften Emigration verließen auch zahlreiche Ärzt*innen das Land, was zu einem erheblichen Personalmangel in Kliniken und Gesundheitszentren führte. Nach Einschätzung internationaler Organisationen verfügt Venezuela über ein unterdurchschnittlich entwickeltes Gesundheitssystem. Als Covid-19 im März 2020 auf Venezuela übergreift, verfügt die Regierung strikte „soziale“ Quarantäne als quasi Ausnahmezustand. Es erfolgten Verhaftungen wegen Verbreitung von „Falschmeldungen“. Die Nachbarländer Brasilien und Kolumbien schlossen die Grenzen. Den ersten Höhepunkt erreicht die Pandemie im August 2020. Bis Ende Februar 2021 wurden mit abflauender Tendenz der Infektionen in Venezuela 137.871 Fälle (davon 129.930 Wiedergenesende) und 1.334 Todesfälle registriert. Ein wesentliches Problem für das Land waren die in den Nachbarländern gescheiterten Migrant*innen, die sowohl in Kolumbien wie auch in Brasilien keine gesicherte Lebensbasis fanden. Da die Regierung eine Aktion „Vuelta a la Patria“ („Rückkehr in die Heimat“) eingeleitet hatte, war sie sowohl mit den offiziell wie auch mit den illegal Wiederheimkehrenden konfrontiert, die auf Grund der Lage in den Nachbarländern ein weiteres Infektionsrisiko darstellten.
Bekannt ist, dass bei der Wahl 2015 das Regierungslager eine Niederlage erlitt und die Opposition die Mehrheit im Parlament, der Nationalversammlung, errang. Im Januar 2019 erklärte sich der Abgeordnete der „Voluntad Popular“ („Volkswille“), Juan Guaidó, zum Präsidenten Venezuelas. Die „Voluntad Popular“ ist eine rechte Partei und Guaidó war ein bislang unbekannter, aber aktiver Gegner der Regierung des Landes. Gemeinsam mit anderen Oppositionellen, unterstützt von der Trump-Administration, unternahm er verschiedene Versuche, bis hin zum Militärputschversuch, die Regierung von Nicolás Maduro zu stürzen. Seine Misserfolge und das Scheitern bisheriger Pläne führten keineswegs dazu, dass Guaidó seine Position aufgab und auf Angebote der Maduro-Regierung einging, eine Verhandlungslösung für den andauernden Konflikt zu suchen. Selbst die von neutraler Seite der Regierung Norwegens eingeleiteten Vermittlungsversuche seit 2013 mit der venezolanischen Opposition wurden von der Guaidó-Gruppe beständig abgelehnt. Nach vorliegenden Angaben sind seine Zustimmungswerte in der Bevölkerung von 61 auf 25 Prozent gesunken.
Entsprechend der venezolanischen Verfassung war für 2020 die Neuwahl der Nationalversammlung vorgesehen. Mit der Verbreitung von COVID-19 wurde die Wahl auf Dezember 2020 verschoben. Die Regierung Maduro ging mit dem „Gran Polo Patriótico Simon Bolivar“ (Großer Patriotischer Block Simon Bolivar) in die Wahlkampagne. Die Opposition bezog keine einheitliche Position. Fünf oppositionelle Parteien schlossen sich in der Alianza Democrática (Demokratische Allianz) zusammen und nahmen teil, aber die „Voluntad Popular“ (Guaidó) zusammen mit der „Primero Justicia“ (Gerechtigkeit Zuerst) und der „Venezuela Unida“ (Vereintes Venezuela) boykottierten die Wahl. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und die EU lehnten die Entsendung von Wahlbeobachtern und die Anerkennung der Wahl ab.
69,25% (4.317.819 Stimmen von 20,7 Wahlberechtigten) der Wählenden wählten den „Gran Polo“. Die „Alianza“ erhielt 18,76%. (1.169.363 Stimmen) Andere Parteien, z.B. die KP Venezuelas zusammen mit anderen linken Gruppen, die sich nicht am „Gran Polo“ beteiligten, holten 2,73% (170.227 Stimmen). Die Wahlbeteiligung lag bei 31%. Der Vorsitzende des „Gran Polo Patriótico“, Diosdado Cabello, schlug als Vertreter der größten Fraktion in der Nationalversammlung den Abgeordneten Jorge Rodríguez als Präsidenten vor. Er wurde mehrheitlich gewählt. Damit wurde die Zeit des Juan Guaidó als Präsident der Nationalversammlung beendet.
Die niedrige Wahlbeteiligung wird nun unterschiedlich interpretiert. Die Opposition spricht von einer Niederlage der Regierung. Andere führen die niedrige Wahlbeteiligung auf Ermüdungserscheinungen zurück, hervorgerufen durch die soziale Lage und Politikverdrossenheit der Bevölkerung. Nüchtern betrachtet, sind grundlegende Probleme des Landes und die soziale und politische Krise nicht gelöst.
Noch Ende Januar schlug Präsident Maduro dem neugewählten Präsidenten der USA, Joe Biden, vor, eine neue Seite in den Beziehungen Venezuelas zu den USA aufzuschlagen. Venezuela hofft, dass die Wahl Bidens zum Präsidenten der USA eine Erleichterung für Venezuela mit sich bringen wird. (Das Finanzministerium der USA hob das Verbot der Trump-Administration auf, venezolanische Häfen und Flughäfen zu nutzen). Eine norwegische Delegation, koordiniert von der EU, hielt sich in Venezuela auf, um die politische und soziale Lage zu analysieren, und rief die venezolanische Opposition auf, eine geordnete Erneuerung der Beziehungen zu unterstützen. Bekannt wurde auch, dass Panamá Guaidó die diplomatischen Rechte entzog.
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