Die Rechte in Lateinamerika
27.1.2020
von Achim Wahl
Die weltweite Krise der neoliberalen Hegemonie hat die Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Kräften in Lateinamerika verschärft. Rechte Kräfte, die in Lateinamerika in den letzten 10 bis 15 Jahren an den Rand der Entwicklung gedrängt wurden, haben ihre Offensive gegen die progressiven Kräfte verstärkt. Damit ist die Auseinandersetzung zwischen rechten und progressiven Kräften in eine neue Phase eingetreten. Gestützt auf die Überbleibsel der kolonialen Vergangenheit, haben diese Kräfte und die traditionell herrschenden Klassen mit engen Bindungen zum internationalen Kapital Aufschwung bekommen und institutionelle Positionen zurückerobert.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstanden Mitte-links Regierungen mit anti-neoliberaler Politik und zum anderen in Länder mit neoliberaler Ausrichtung. Der Neoliberalismus des Washingtoner Konsenses wurde direkt mit anti-neoliberalen Regierungen konfrontiert.
Mit Mitteln des hybriden Krieges setzte die Gegenoffensive rechter Kräfte ein, die die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Mitte-links Regierungen ausnutzten und die in Argentinien, Brasilien, Ecuador und El Salvador für Linke mit einer Niederlage endeten.
Das politische Antlitz Lateinamerikas hat sich deshalb erheblich verändert.
Rechte Regierungen kehren in ihrer Mehrheit zum neoliberalen Modell der 1990er Jahre zurück. Dabei werden radikale Privatisierungen durchgeführt und das Auslandskapital bevorzugt. Begleitet wird diese Politik mit Reduzierung von Sozialprogrammen und damit verbundener Verarmung der Bevölkerung.
Rechte Regierungen in Lateinamerika
Die von ehemaligen Präsidenten Argentiniens Mauricio Macri geführte Regierung brachte dem Land 13 Millionen Arbeitslose und eine Inflation von 47,6 Prozent. Macri erhielt für seine neoliberale Politik die Quittung und wurde am 27. Oktober abgewählt. Das linksperonistische Duo Alberto Ángel Fernández und Cristina Fernández Kirchner setzte sich mit 48,1 Prozent der Stimmen durch. Während Alberto Ángel Fernández mit dieser Wahl zum Staatspräsidenten geworden ist, kehrte die ehemalige Staatspräsidentin des Landes zwischen 2007 und 2015, Cristina Fernández Kirchner, als Vizepräsidentin an die Macht zurück.
Die Regierung Sebastián Piñeras in Chile realisierte Reformen gegen die Armen. Die aktuellen Ereignisse verdeutlichen die sozialen Folgen dieser Politik. 26 Jahre nach Beendigung der Diktatur lebt das Land nach wie vor mit einer Verfassung aus der Pinochet-Zeit. Die Chilenen fordern den Rücktritt Piñeras und die Einberufung einer konstituierenden Versammlung zur Annahme einer neuen Verfassung.
Präsident Iván Duque in Kolumbien gewinnt mehr Anerkennung je weiter er nach rechts geht. 59,2 Prozent der Gesellschaft unterstützen seine konfrontative Politik gegenüber Venezuela. Aber auch in Kolumbien gehen die Menschen auf die Straße und protestieren gegen Sozialabbau und Neoliberalismus.
In Ecuador forcierte der Nachfolger des ehemaligen Präsidenten Rafael Correas, Lenin Moreno die Zusammenarbeit mit rechten Kräften. Heftige Reaktionen der Bevölkerung zwangen ihn, von eingeleiteten Maßnahmen abzurücken.
In Paraguay agiert der aktuelle Präsident Mario Abdo Benítez im Interesse der alten Eliten und folgt in seinen außenpolitischen Handlungen der Politik der USA.
In Brasilien gewann 2018 der ehemalige Hauptmann der brasilianischen Armee, Jair Bolsonaro, die Präsidentschaftswahl. Mit seinem Amtsantritt wurde eine scharfe innen- und außenpolitische Wende nach rechts eingeleitet.
Venezuela durchlebt eine schwere politische und wirtschaftliche Krise. In Bolivien wurde der Präsident Evo Morales durch einen Putsch gestürzt. In Uruguay verlor die Frente Amplio nach 15 Jahren an der Regierung erstmals die Wahl. Der siegreiche Kandidat der Partido Nacional, Luis Alberto Lacalle Pou, hat die Unterstützung der rechten Parteien und wird sein Amt am 1. März 2020 antreten.
Diese Entwicklungen in Lateinamerika vollziehen sich nicht losgelöst von den Ereignissen auf internationaler Ebene. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten in den USA ist Ausdruck einer Rechtsentwicklung mit starkem Rechtspopulismus. Die Auflösung des liberalen Konsenses verschaffte rechten Kräften Raum, um sich in der Gesellschaft auszubreiten.
Das neoliberale Modell verliert an Wirkung. Die Rechte sucht den Ausweg aus der Krise in der Auseinandersetzung um die Hegemonie mit der Rückkehr zu ultra-neoliberalen Politik, die begleitet wird von der Durchsetzung autoritärer Mechanismen und der Einschränkung der Demokratie. Lateinamerika wurde zum Zentrum dieser Offensive imperialistischer und rechter Kräfte.
Herrschende Klassen in Lateinamerika sind Minderheiten, die über erhebliche ökonomische Ressourcen verfügen und damit immer auch das politische Geschehen bestimmen können. Ihre politisch-ideologische Haltung wird vornehmlich durch konservative, autoritäre Denkweisen bestimmt.
Traditionell ist Herrschaft in Lateinamerika mit der kolonialen Vergangenheit, der Dominanz des Latifundismus, des Noch-Vorhandenseins kolonialer Rechtsnormen und historischer Überbleibsel wie Sklavenarbeit, Patriarchat und ethnischer Diskriminierung verbunden. Die lateinamerikanischen Oligarchien sind Interessenvertreter der Großgrundbesitzer (Latifundisten) und der Großbourgeoisie, die durch Handel und Verbindung zum internationalen Kapital bedeutende Positionen einnimmt. Diese Klasse neigt mit Unterstützung von Militärs zur Repression, wie die häufigen Militärputsche und -diktaturen in der Geschichte Lateinamerikas zeigen.
Das Militär hat in einigen Ländern seine Positionen gestärkt. Es bietet sich als Kraft im Kampf gegen Drogenhandel und für die innere Sicherheit an. Besonders in Brasilien haben sie inzwischen mit Bolsonaro in Allianz mit fundamentalistischen religiösen Gruppen ihren Einfluss erweitert (Präsident Bolsonaro und Vizepräsident Antônio Hamilton Martins Mourão, von 22 Ministern sind acht ehemalige Militärs, insgesamt sind in staatlichen Stellen 2.500 ehemalige Militärs tätig.)
Charakteristisch für die herrschenden Klassen war und ist ihre Unfähigkeit zur Realisierung nationaler Projekte: das Interesse an einer eigenständigen Industrialisierung und einer auf nationale Souveränität ausgerichteten unabhängigen Politik.
In wechselnder Folge verzeichnet die neueste Geschichte Lateinamerikas starke Volksbewegungen und revolutionäre Entwicklungen, die abgelöst werden von regressiven und konterrevolutionären Ereignissen. Diese Pendelbewegung abwechselnder Rechts- und Linksentwicklungen hat sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts intensiviert.
Der Soziologe Dieter Boris spricht von fünf Etappen in den letzten 60 Jahren:
Linker Aufschwung in den 1960er und Anfang der 1970er Jahre,
Rechtsentwicklung, häufig in Gestalt von Militärdiktaturen von Beginn der 1970er Jahre bis Mitte der 1980er Jahre,
Einschwenken der Regierenden auf Zentrumspositionen, Demokratisierung unter neoliberalen Rahmenbedingungen. Links und rechts im relativen Gleichgewicht (Mitte bis Ende der 1990er Jahre),
deutliche Linksentwicklung in mehreren Staaten seit 2000 bis 2014/15,
seither erneut klare Rechtsentwicklung in verschiedenen Formen und in unterschiedlichem Ausmaß.
Aber es zeigen sich Ausnahmen in den zyklischen Bewegungen, z.B. mit Antritt Andrés Manuel López Obradors (kurz AMLO) als Präsident in Mexiko Ende 2018. Und die aktuellen Ereignisse in Ecuador, Chile und Argentinien beweisen, dass der Kampf gegen soziale Ausgrenzung und neoliberale Politik nicht vorbei ist.
Die neue Rechte und ihre Förderer
Gegenwärtig tritt die Rechte mit dem Versuch an, ein anderes Gesicht zu zeigen.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts mussten sich die alten Eliten in ihrem Wirken gegen Linksregierungen umstellen. Sie ersannen neue Mittel und Methoden, um die Kontrolle über die Gesellschaft zurückzuerobern. Konstitutionelle Putsche wie in Honduras 2009 und in Paraguay 2012 und wie in Brasilien gegen Präsidentin Dilma Rousseff im August 2016 wurden zur Norm. Nicht gewählte Organe wie Gerichte, Staatsanwälte und Polizei verwandeln sich in Exekutoren einer rechten Politik. Mit Hilfe der Medien werden im Interesse der konservativen Eliten Kampagnen wie gegen Ex-Präsident Inácio Lula da Silva organisiert. Am Ende wurde Lula zu zwölf Jahren Haft verurteilt.
Diese Rechte erhält massive Unterstützung aus der traditionellen Mittelklasse und sogar aus bestimmten subalternen Sektoren. Charakteristisch für diese Mittelklasse ist ihre konservative Haltung. Soziologische Untersuchungen zeigen, dass die Unterstützer neoliberaler Modelle in Lateinamerika rund 35 bis 40 Prozent der Wählerschaft ausmachen.
Die neue Rechte pflegt einen neuen Politikstil, der eine kosmopolitische Welt als Welt eines Neuen Zeitalters (New Age) suggeriert. Wesentliche Bestandteile dieses Politikstils sind: Professionalisierung politischer Kampagnen, im Kommunalen Dezentralisierung der örtlichen Organe, ökonomisch eine Hinwendung zur Vorherrschaft des Finanzkapitals, Sicherung der kulturellen Hegemonie durch Betonung des Individualismus. Diese Eigenart des Neuen Zeitalters und einer globalen Identität drückt sich in besonderer „Sorge“ gegenüber der Umwelt aus. Gerechtfertigt werden Militärdiktaturen. Propagiert werden Werte wie die Familie, die Privatinitiative und die Verehrung Gottes.
All das ist verbunden mit einer Wiederbelebung der Monroe-Doktrin, die seitens der Trump-Administration besonders gegen Kuba, Venezuela und Nikaragua angewandt wird.
Im Vorgehen der Trump-Administration zeichnen sich drei Schwerpunkte ab:
Aufrechterhaltung der Kontrolle über die Region, besonders der neoliberal-konservativ orientierten Regierungen und Isolierung unbotmäßiger Regierungen Kubas, Venezuelas und anderer.
Kontrolle über die Naturressourcen, besonders der energetischen. Schon Präsident Barack Obama hatte Venezuela als „Gefahr für die Sicherheit der USA“ bezeichnet. D.h., dass die USA in Venezuela einen Regimewechsel anstreben und versuchen Konkurrenten wie China und Russland insbesondere aus dem Erdölsektor zu verdrängen.
Vertiefung der militärischen Präsenz der USA in der Region und der militärischen Zusammenarbeit mit den lateinamerikanischen Staaten, die unter dem Vorwand des „Kampfes gegen die Drogen“ realisiert wird.
Mit dieser Politik solidarisieren sich die herrschenden Eliten Lateinamerikas und sind Träger der konservativen, neoliberalen Offensive in Lateinamerika.
Achim Wahl ist Mitglied im AK Lateinamerika der LINKEN und war von 2002 bis 2004 Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Brasilien.
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