Zeitenwende
Stunden zuvor hatten die USA in Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August ihre Atombomben gezündet, mindestens 150.000 Menschen wurden sofort getötet, die Zahl der Strahlenopfer wird mit mehreren Hunderttausend angenommen. Formell wurde am 2. September die Niederlage Japans durch Außenminister Mamoru Shigemitsu im Auftrag Hirohitos und der japanischen Regierung auf der „USS Missouri“ besiegelt. Vor allem in China und Korea verloren über 25 Millionen Menschen ihr Leben durch direkte Kriegseinwirkungen und Hunger, die Verelendung durch das Wegbrechen ohnehin ärmster Lebensgrundlagen und zwischenzeitliche Naturkatastrophen, die in Zusammenhang mit dem Kriegsverlauf ihre verheerende Zerstörungskraft noch verstärkten.
Große Erwartungen verbanden sich mit der Gründung der Vereinten Nationen (UN) mit dem Inkrafttreten der UN-Charta am 24. Oktober 1945 (heute begangen als Tag der Vereinten Nationen) nun neue Wege bei der Durchsetzung einer internationalen Friedensordnung gehen zu können.
Jedoch: Der opferreiche chinesische Bürgerkrieg ging erst mit der Gründung der Volksrepublik am 1. Oktober 1949 zu Ende. Bereits ein dreiviertel Jahr später begann am 25. Juni 1950 der Koreakrieg. Mehr als 2,5 Millionen Todesopfer waren in Nordkorea zu beklagen, etwa eine Million in Südkorea, eine Million Chinesen, etwa 40.000 „UN-Soldaten“, davon über 36.000 US-Amerikaner. Die US Air Force warf über 450.000 Tonnen Bomben ab, davon 32.357 Tonnen Napalm. In ihren Wirkungen waren der II. Weltkrieg und der Koreakrieg Vernichtungskriege - sowohl das faschistoide Vorgehen Japans in China, Korea und Südostasien und nur fünf Jahre später der konventionelle Menschen- und Kriegswaffeneinsatz verbunden mit dem Bombenterror der US-Luftstreitkräfte auf der Koreanischen Halbinsel.
Weit unterschätzt wird aus europäischer Sicht, dass bereits Ende 1945 der erste Indochina-Krieg (Vietnam, Laos, Kambodscha) begann, der zur Teilung Vietnams führte. Er endete 1954 mit der Niederlage der Kolonialmacht Frankreich bei Dien Bien Phu. Danach begannen die USA den Vietnamkrieg ab 1955 als Teil ihrer globalen Strategie der „Eindämmung“ der „kommunistischen Expansion“ durch die Sowjetunion und die VR China in Ost- und Südostasien. Er dauerte bis April 1975. Sein grausamer Höhepunkt war die direkte Aggression der USA gegen Vietnam mit dem von Washington erlogenen „Zwischenfall im Golf von Tongking“ vom 2. bis 4. August 1964, nachfolgend in Laos und Kambodscha. Bis 1971 warf die US Air Force 7,5 Millionen Tonnen Bomben über Vietnam, Laos und Kambodscha ab, die fast dreifache Menge wie im gesamten II. Weltkrieg. Es gab etwa 21 Millionen Bombentrichter, zirka 3,5 Millionen Landminen wurden gelegt. Der Einsatz des dioxinhaltigen chemischen Entlaubungsmittels Agent Orange entlaubte großflächig Wälder und Nutzpflanzen, etwa 3,3 Millionen ha Wald wurden vernichtet, 3.000 Dörfer kontaminiert und 24.000 Km² Fläche dauerhaft vergiftet. Auch heute noch werden Kinder der Folgegenerationen mit Missbildungen geboren. Napalm- und Splitterbomben wurden eingesetzt, es kam zu etlichen Massakern an Zivilisten. Grausam symbolisch dafür war das Massaker von My Lai durch US-Soldaten am 18. März 1968. Gegenreaktionen der Nationalen Front zur Befreiung Südvietnams (NLF) und von DRV–Streitkräften blieben nicht aus. Unzählige Vietnamesen, Laoten und Kambodschaner blieben lebenslang schwer traumatisiert. Es starben in diesem Vietnamkrieg nach glaubwürdigen Recherchen bis zu 5 Millionen Menschen, davon 4 Millionen Zivilisten. Die USA verloren 58.000 Soldaten, über 5.000 waren es aus ihren “verbündeten“ Ländern. Parallel zum Sieg der DRV und der NLF über die USA brachte der Vietnamkrieg dann noch zwischen 1975 und 1979 das eigene Volk mordende Pol-Pot-Regime in Kambodscha hervor. Ihm fielen 1,7 Millionen Kambodschaner zum Opfer. Im Januar 1979 beendeten vietnamesische Streitkräfte die Schreckensherrschaft der „Khmer Rouge“ nachdem sie Südvietnam angegriffen hatten.
Wie ist die Situation heutzutage?
Prägend für die gesamte Region ist der friedliche Aufstieg der Volksrepublik China als führende politische und ökonomische Macht seit 1978, die mittlerweile ebenso ihre legitimen sicherheitspolitischen Rechte wahrzunehmen imstande ist.
In Verbindung damit ist von herausragender Bedeutung, dass die heutigen Beziehungen zu Russland so gut wie noch nie in der Geschichte beider Länder sind. 1996 vereinbarten sie eine strategische Partnerschaft. Im Jahr 2001 wurde ein Freundschaftsvertrag geschlossen, 2005 der Grenzverlauf endgültig geregelt. Es wurde eine Zweckgemeinschaft entwickelt, in der inzwischen vor allem die noch schwache ökonomische Zusammenarbeit systematisch ausgebaut wird. Für die bislang vernachlässigte russische Fernost–Region wird eine Entwicklung in Gang gesetzt, dem das seit 2015 alljährlich im September stattfindende „Eastern Economic Forum“ in Wladiwostok Schubkraft verleihen soll. In diesem Jahr fiel es wegen Covid-19 es zwar aus, aber die Staats- und Regierungschefs Russlands, Chinas, Japans und Südkoreas nahmen bisher daran teil, ebenso 2019 Indiens Premier Modi. Insgesamt ist hier eine regionale Vernetzung im Entstehen, in die rund 294 Millionen Menschen aus Russland (6,5), NO-China (109,5), Japan (126) und Südkorea (52) einbezogen sind. Politisch stabile und wirtschaftsstarke Länder also, zwischen denen aber aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts hinterlassene Probleme existieren (Russland – Japan; Japan – Südkorea; Japan – China). Von überregionaler Bedeutung bleibt die Koreafrage, denn seit 1953 existiert dort lediglich ein Waffenstillstandsabkommen und kein Friedensabkommen, dessen Zustandekommen von unverschämten Maximalforderungen der Trump–Administration an Pyongyang de facto ohne Gegenleistung der USA torpediert wird. Die umfangreichen und substanziellen Bemühungen der südkoreanischen Regierung von Präsident Moon Jae-in und die Verhandlungsbereitschaft unter Kim Jong-un seit 2018 laufen daher ins Leere. Nordkorea bleibt damit ein Reform- und Öffnungskurs in chinesischer Denkrichtung vorerst verbaut und Südkorea muss sein teures „Inseldasein“ weiter durchhalten.
Kernfrage ist und bleibt, dass es zwischen den Staaten der Region jeweils bilateral vertraglich abgesicherte ökonomische Kooperationen gibt. Es fehlt jedoch eine sich multilateral entwickelnde und stabil funktionierende politische und ökonomische Verhandlungs- und Kooperationsstruktur. Außerdem bleibt sicherheitspolitisch vieles offen, alle Staaten der Region rüsten weiter auf, entsprechend ihrer Eindämmungs-Strategie heizen die USA permanent die Lage an, namentlich gegen den „systemischen Rivalen“ China und die militärische Supermacht Russland. Ziel ist, dass Japan und Südkorea weiterhin als (militär-)strategische Partner fungieren und so der US-amerikanische Einfluss in Nordostasien politisch, ökonomisch und militärisch erhalten bleibt.
Gibt es Alternativen?
Prägend für eine konstruktive Zukunftsentwicklung im 21.Jahrhundert wird die „Neue Seiden- straßeninitiative“ (BRI) sein. Chinas Präsident Xi Jinping stellte sie bei Staatsvisiten in Kasachstan und Indonesien im Herbst 2013 vor. Vor allem die „nördliche BRI“ birgt ein unabsehbar großes und vielfältiges Entwicklungspotential in sich. China, Kasachstan, die Staaten Zentralasiens, Russland, die Ukraine, Weißrussland und die EU sollen am Auf- und Ausbau eines BRI-„Wirtschaftsgürtels“ beteiligt sein.
Die BRI ist keine militärische Bündnisstruktur. Stattdessen geht es um eine ökonomisch-ökologische und soziale, langfristig angelegte multilaterale Entwicklungsrichtung, die zugleich die nationale Souveränität und territoriale Integrität der beteiligten Staaten respektiert.
Frei von machtpolitisch–militärisch diktierten Vorherrschaftsansprüchen kommt es darauf an, die politische Kommunikation zu intensivieren und komplexe Strategien zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu erarbeiten, durch die, die jeweils regionale Wirtschaftsintegration politisch und juristisch belastbar abgesichert wird.
Der Aufbau einer modernen Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um schrittweise die wirtschaftliche Vernetzung zu erreichen. Freien Handel zu gewährleisten ist eine Entwicklungsaufgabe, die nur schrittweise mit Leben erfüllt werden kann, um Handels- und Investitionsbarrieren abzubauen und die regionalen Wirtschaftskreisläufe in Umfang, Qualität und Geschwindigkeit auszuprägen.
Die Finanzierungsfragen konstruktiv zu lösen ist und bleibt ein überaus schwieriger Bereich der Kooperation im Rahmen der BRI. Vor allem geht es darum, dass „jeder Staat in der Region in der Leistungs- und Kapitalbilanz die Konvertierbarkeit seiner eigenen Währung und deren Zahlungsverkehrsabrechung durchsetzt.“ Zirkulationskosten können dann erheblich gesenkt, finanzielle Risiken wirksam gemindert werden.
Alles in allem: Die BRI ist weder ein „Marshallplan“ nach altem US- und westeuropäischem Strickmuster noch ein Entwicklungsweg, der binnen kurzem horrende Gewinne für Geberländer erbringt. Die große Herausforderung besteht darin, höchst unterschiedliche Staaten in moderne Prozesse einzubeziehen, an denen sie bisher aufgrund ihrer geografischen Lage, ihrer politischen (In-)Stabilität, begrenzter ökonomischer Ressourcen und der Verhaftung in ihrem soziokulturellen Umfeld und Traditionen nur eingeschränkt oder gar nicht teilhatten. Und zur Wahrheit gehört, dass all diese Prozesse mit China als Hauptträger immer konsequent und kompetent verhandelt werden müssen. Geschenkt wird nichts.
Entscheidend aber bleibt, dass 75 Jahre nach Ende des II. Weltkrieges, den Atombomben- abwürfen von Hiroshima und Nagasaki, den Indochinakriegen, dem Koreakrieg und trotz der weiterhin gefährlichen Lage in Korea im Sinne der UNO-Charta doch ein Vorankommen in Gang gesetzt wurde, das „Frieden und Entwicklung“ - so die KP Chinas - in heutiger Dimension zwischen Asien und Europa ermöglicht.
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