Rechter Kandidat gewinnt in Chile
Erstmals trat bei den Parlamentswahlen im November 2017 die neu gegründete Frente Amplio (FA) als ein Bündnis links von der Nueva Mayoria mit der Journalistin Beatriz Sánchez als Spitzenkandidatin an und konnte aus dem Stand 20,3 Prozent der Stimmen gewinnen. Die FA lag damit weit über dem was Umfrageinstitute prognostizierten und erreichte nur knapp weniger Stimmen als der Kandidat der Mayoria (bei diesen Wahlen Fuerza de Mayoria), Alejandro Guillier (22,7 %), der in der Folge bei den Stichwahlen im Dezember gegen seinen rechten Herausforderer und Multimillionär Sebastián Piñera vom Bündnis Chile Vamos antrat und überraschend eindeutig unterlag.
Die Wahlen waren auch von der Unzufriedenheit vieler Chilen*innen von der Arbeit der bisherigen Regierung geprägt. Die geringe Wahlbeteiligung und das Aufsteigen der Frente Amplio sind Zeichen dafür. Das breite Mitte-Links-Bündnis der NM konnte in der letzten Legislaturperiode in einigen Bereichen Reformen umsetzen, dennoch galten diese vielen als zu zaghaft, zentrale Wahlversprechen waren nicht oder nur teilweise eingelöst worden. Die Ausgangslage war schwer: Seit der Diktatur nach dem Militärputsch 1973 ist Chile ein Musterland des Neoliberalismus: vom Gesundheitswesen, über die Rente bis zur Bildung wurde alles privatisiert.
Bereits 2011 (Piñera war zu dieser Zeit schon einmal Präsident) hatte es international beachtete Proteste zur Reformierung des privatisierten Bildungssystems gegeben. In diesen Protesten waren auch die Kommunistische Partei und ihr Jugendverband breit vertreten, die als starke linke Kraft 2013 das Regierungsbündnis mit der NM eingingen. In der Regierung schaffte das Bündnis dann aber lediglich ein Stipendienwesen. Eine grundsätzliche Bildungsreform setzte sie nicht um.
Dies gilt für viele weitere Reformen. Statt einer großen Verfassungsreform wurde das Wahlrecht geändert, Schwangerschaftsabbrüche wurden nur in wenigen Ausnahmefällen legalisiert. Mit einer Reform des Steuersystems, das große Unternehmen stärker besteuern sollte und einer Arbeitsrechtsreform, die den Gewerkschaften mehr Rechte einräumt brachte sie die Wirtschaftselite des Landes auf den Plan, manchen Linken hingegen gingen die Maßnahmen nicht weit genug.
Die Differenzen innerhalb des Bündnisses zwischen eher konservativen Christdemokraten (PDC) und der KP gemeinsam mit den anderen Partner*innen wogen nicht leicht. Die PDC trat dann bei den letzten Wahlen eigenständig an.
Chile steht zwar auf der Rangliste des neoliberalen Weltwirtschaftsforums an erster Stelle in Lateinamerika. Dennoch ist Chile das OECD Land mit der größten sozialen Ungleichheit. Ein Prozent der Bevölkerung besitzt ein Drittel des Reichtums. Auch wenn die Armut in den letzten Jahren sank, so leben vierzehn Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Das Wirtschaftswachstum stagniert, weil es vom Bergbau (vor allem Kupfer) abhängt. Die schwache Wirtschaftslage und eine Korruptionsaffäre im familiären Umfeld von der sozialistischen Präsidentin Bachelet, in die sie aber nicht direkt involviert war, trug außerdem zum Vertrauensverlust bei den Wähler*innen bei.
Vor diesem Hintergrund haben sich verschiedene Gruppierungen Anfang 2017 zusammengeschlossen. Viele von ihnen haben ihren Ursprung in den Schüler*innen- und Studierendenprotesten von 2011. Bereits bei den Wahlen 2013 wurden zwei unabhängige Kandidaten ins Parlament gewählt. Es folgten Erfolge auf kommunaler Ebene. Nicht zuletzt schaffte die FA, die von manchen mit Podemos in Spanien verglichen wird, vierzehn verschiedene Parteien und Gruppierungen, von Grünen bis zur Piratenpartei, im Wahlkampf zu vereinen.
Die FA ist jung und urban. Sie konnte auch in Arbeiterbezirken Erfolge nachweisen. Ihre Programmatik ist knapp: ein Chile für alle, Überwindung des neoliberalen Wirtschaftsmodells, partizipative Demokratie, Umwelt und soziale Rechte. Es ist ein Sammelbecken, das sich als bewegungsnah und basisdemokratisch versteht und erklärterweise Opposition sein wird. Die FA hatte vorerst nicht zur Unterstützung von Guillier in den Stichwahlen aufgerufen. Ihre Spitzenkandidatin Beatriz Sánchez und weitere Politerker*innen gaben jedoch kurz vor dem Wahltermin öffentlich bekannt, dass sie ihm ihre Stimme geben werden. Die FA hatte sich außerdem klar gegen die Wahl Piñeras ausgesprochen. Der Sieg von Piñera lässt sich wohl nicht mit der großen Zustimmung für ihn oder sein Programm erklären, sondern auch als Abwahl der vorherigen Regierung interpretieren.
Chile ist mit der Wahl Piñeras zum Präsidenten als weiteres lateinamerikanisches Land nach rechts gerückt. Große Vorhaben wird Piñera aber mit seinem Bündnis Chile Vamos nicht umsetzen können, hierzu fehlen ihm die nötigen Mehrheiten in den jeweiligen Kammern. Er steht für eine Politik des Neoliberalismus und des Rückschritts (z. B. Gleichstellungs-, Umweltpolitik) und passt seine Positionen doch immer wieder Stimmungen an.
Beachtenswert ist auch, dass die extreme Rechte mit acht Prozent ein verhältnismäßig starkes Ergebnis erreichte und versuchen wird ihren Einfluss geltend zu machen. Doch auch die Linke hat viele Stimmen und kann einem neoliberalen, konservativen Rollback innerhalb wie außerhalb des Parlaments lautstark und hoffentlich erfolgreich widersprechen.
Katharina Tetzlaff ist Referentin im Bereich Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE und zuständig für Lateinamerika.
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