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Frankreich

Linkes Bündnis kämpft um die Macht

von Paul Elek

Nach den Präsidentschaftswahlen in April 2022, bei denen der linke Kandidat Jean-Luc Mélenchon den Einzug in die zweite Runde nur um 1,2 Prozentpunkte verpasste, bildeten Grüne, Sozialisten und Kommunisten ein Wahlbündnis mit La France Insoumise (LFI) für die Parlamentswahlen am Sonntag: Die Neue Ökologische und Soziale Volksunion (Nupes).

Jean-Luc Mélenchon hat dreizehn Tage gebraucht, um sich mit seinen wichtigsten linken Konkurrenten auf ein Wahl- und Politikbündnis zu einigen. Vor einem Jahr hat das Thema eines Linksbündnisses lange Zeit die öffentliche Debatte beschäftigt, ohne dass irgendeine Art von konkretem Ergebnis erzielt worden wäre. Vor der Präsidentschaftswahl in April glaubten sowohl die Grünen (Europe Écologie-Les Verts - EELV) als auch die Sozialisten (PS) und sogar die Kommunisten (PCF), LFI den zentralen Platz strittig machen zu können, den sie in der französischen Politik eingenommen hatte, zumal die Bewegung bei den Kommunalwahlen eher bescheidene Ergebnisse erzielt hatte.

Während des Wahlkampfs lehnte Mélenchon mehrfach ein Bündnis mit anderen linken Partnern ab. Der Vorsitzende der Volksunion[1] war der Ansicht, dass ein "auf dem Gipfel der politischen Kräfte" geschmiedetes Bündnis seinem politischen Programm abträglich wäre, und er sah darin ein Hindernis für eine massive Mobilisierung der Wählerschaft. Er wettete darauf, er könne eine "Volksunion", eine "Einheit von unten", erreichen, die in einer späteren Phase taktische Wähler und gemäßigtere Linke anziehen werde.

Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen hat sich seine Strategie als erfolgreich erwiesen. Dennoch ist es überraschend, dass eine solche historische Einigung, die zum ersten Mal in der französischen Politik alle linken Kräfte unter einem Banner vereint, so schnell erzielt werden konnte. Vor allem nach einem heftigen politischen Wahlkampf, in dem Mélenchon monatelang von allen Gegnern verleumdet wurde, während in Fragen wie der internationalen und europäischen Politik, dem Grad des Bruchs mit dem Kapitalismus, dem antirassistischen Kampf und der Frage der Laizität starke politische Differenzen bestehen blieben.

Die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen befestigen

Es gibt verschiedene Gründe dafür, dass in weniger als zwei Wochen eine wahlpolitische Einigung erzielt werden konnte. Erstens wurde die umstrittene zentrale Stellung von Jean-Luc Mélenchon (und seines politischen Programms) durch die beeindruckende Unterstützung der Wähler*innen bei den Präsidentschaftswahlen gestärkt. Er lag lediglich 1,2 Prozentpunkte (421.308 Stimmen)  hinter Marine Le Pen. Daher war die Volksunion in der Lage aus einer Position der Stärke heraus die Verantwortung zu übernehmen und ihre ehemaligen Gegner an den Verhandlungstisch zu rufen. Zweitens haben die enttäuschenden Ergebnisse der Grünen, der Sozialisten und der Kommunisten sie alle geschwächt, vor allem vor dem Hintergrund einer allgemeinen Frustration der linken Wählerschaft, die sich im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen erneut dazu gezwungen sah, zwischen dem Amtsinhaber Emmanuel Macron und der Rechtsextremistin Marine Le Pen zu wählen. Während die PS, die PCF und die EELV mit der Chance liebäugelten, einige ihrer Sitze in den kommenden Parlamentswahlen zu retten, nutzte die Volksunion die Gelegenheit, um ihre zentrale Rolle in der Linken zu bestätigen. Sie knüpfte die Neuverteilung der Abgeordnetensitze eines möglichen Bündnisses an eine politische Vereinbarung, die sich hauptsächlich an ihrem eigenen politischen Programm orientierte, sowie an das Versprechen, Jean-Luc Mélenchon im Falle eines Wahlsiegs als nächsten Premierminister zu unterstützen.   

Bruch mit Neoliberalismus

Das linke politische Bündnis wird nun als eine potenzielle Regierungskoalition betrachtet, die eine Kohabitation mit dem Präsidenten Macron eingehen, wobei die politische Plattform von Jean-Luc Mélenchon die Regierungsagenda bestimmen würde. Das neue Banner, unter dem sich die Linken zusammenfanden, heißt Neue Ökologische und Soziale Volksunion (Nupes).

In der Vereinbarung wird festgelegt, wie die Parlamentssitze unter den Parteien, die Nupes bilden, aufgeteilt werden. Es hängt von den Ergebnissen der einzelnen Partner bei den letzten Präsidentschaftswahlen und der aktuellen Anzahl der Abgeordneten in der Nationalversammlung ab. In Wahlkreisen, die von einem Abgeordneten des Bündnisses vertreten werden, darf keine der anderen Parteien einen eigenen Kandidaten aufstellen. Nach dieser Vereinbarung wird die LFI in 360, die Grünen in rund 100, die Sozialistische Partei in 70 und die Kommunistische Partei in 50 Wahlkreisen Kandidaten aufstellen.

Die Hauptstärke der Vereinbarung bleibt jedoch politisch, da die LFI ihr Programm in den Mittelpunkt stellte und die anderen Parteien zwang, ihre Positionen zum Bruch mit dem Neoliberalismus zu klären. Der Vereinigungsprozess ging also nicht auf Kosten des Programms. Deshalb prangerten zahlreiche prominente sozialistische Abgeordnete wie François Hollande die Vereinbarung öffentlich an. Auch Yannick Jadot, der bei den Präsidentschaftswahlen für die Grünen kandidierte, ist seit der Abstimmung zurückhaltend und betrachtet den Zusammenschluss seiner Partei mit der radikalen Linken eher mit Unbehagen. Durch die Einigung mit Jean-Luc Mélenchon scheint die EELV von ihrer gemäßigten politischen Haltung abzurücken. Kurzum, die Vereinbarung brachte die ehemaligen Gegner Mélenchons dazu, den größten Teil seines Programms zu billigen und setzte sie dem externen Druck der linken Wählerschaft aus, die mehrheitlich ein Bündnis befürwortet. Intern kämpfen diese Parteien mit ihren rechten Fraktionen, die sich einem solchen Bündnis widersetzten. Die Vereinbarung hat eine historische politische Situation geschaffen, die zu einem linken Wahlerfolg führen könnte, wo doch noch vor einem Monat ein Wahlsieg der extremen Rechten drohte.  

Die dritte Runde der Präsidentschaftswahlen

So umstritten Jean-Luc Mélenchon auch erscheinen mag, niemand stellt seine strategischen Fähigkeiten infrage. Für die bevorstehende Herausforderung hat er sich bereits einen weiteren Trick ausgedacht: Er hat die Parlamentswahlen zur dritten Runde der Präsidentschaftswahlen verwandelt und dabei auf die Frustration der Wähler*innen und der Linken und die durch die Vereinbarung eröffnete Chance gesetzt. Da der Präsident normalerweise den Vorsitzenden der stärksten Partei in der Nationalversammlung zum Premierminister ernennt, hat Mélenchon das Volk dazu aufgerufen, ihn zum Amt des Premierministers zu wählen, indem es der Nupes die Parlamentsmehrheit gibt. Mit einer nationalen Kampagne bei einer Wahl, die traditionell "577 Kommunalwahlen in einer" genannt wird, hofft er, die Wählerschaft zu mobilisieren, die sonst nach dem Präsidentschaftswahlkampf in die Enthaltung zurückfällt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren könnte so die radikale Linke ihre marginale Vertretung in der Nationalversammlung überwinden. Einige Optimisten träumen sogar davon, dass Jean-Luc Mélenchon in einigen Wochen Premierminister sein wird. Eines ist sicher: Die tief verwurzelte politische Krise in Frankreich ist noch nicht zu Ende und die traditionellen politischen Tendenzen und Praktiken sind aus den Fugen geraten.

[1] Der Name der politischen Kampagne von Jean-Luc Mélenchon 2022 sowie der vorgeschlagenen Strategie und des Aktivistennetzwerks, das sich um seine Kandidatur schart und Menschen außerhalb von LFI versammelt.


Paul Elek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Espaces Marx in Paris.


Dieser Artikel wurde redigiert und gekürzt. Das Original erschien zumnächst am 26. Mai 2022 auf dem Blog von transform!europe.


 

Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.