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Paola Giaculli

Die Scheinrebellion

Der Bruch mit der EU-Austeritätspolitik führt nicht unbedingt zu einer Abkehr von der neoliberalen Politik. Das demonstriert gerade die italienische Regierung auf beeindruckender Weise. Deshalb kann aus linker Sicht die »Rebellion« Roms gegen den Zwang des Fiskalpaktes nicht als ein Befreiungsschlag oder Sieg der Politik über die Märkte gefeiert werden.

Der Bruch mit der EU-Austeritätspolitik führt nicht unbedingt zu einer Abkehr von der neoliberalen Politik. Das demonstriert gerade die italienische Regierung auf beeindruckender Weise. Deshalb kann aus linker Sicht die »Rebellion« Roms gegen den Zwang des Fiskalpaktes nicht als ein Befreiungsschlag oder Sieg der Politik über die Märkte gefeiert werden.

Dafür müsste der Fiskalpakt mit einer konsequenten Investitions- und Beschäftigungspolitik bzw. sozial gerechten Steuerpolitik überwunden werden. Außerdem wäre eine andere Wirtschafts- und Industriepolitik notwendig. Von alldem fehlt im aktuellen italienischen Haushaltsentwurf jegliche Spur.

Ein Blick auf einzelne Punkte des Haushaltsentwurfs macht dies deutlich:

Die Einführung eines nicht progressiven Steuersystems ist weder verfassungskonform noch gerecht. In den letzten 25 Jahren wurden die Steuersätze für Kapitalgesellschaften und höhere Einkommen systematisch reduziert, aber für niedrigere Einkommen erhöht. Die aktuelle Regierung geht weiter in diese Richtung.

Den Klein- und Mittelständischen Unternehmen (KMU) muss zweifellos geholfen werden. Sie haben unter der Wirtschaftskrise besonders gelitten, weil u.a. der Staat selbst, seine Schulden von insgesamt 57 Milliarden Euro nicht beglichen hat. Doch die Lösung kann weder das Dulden von umfangreicher Steuerhinterziehung von geschätzt 110 bis 130 Milliarden Euro pro Jahr, noch ein Steuererlass für Steuerhinterzieher sein.

Trotz des Alarmzustandes im Lande angesichts der maroden Infrastruktur, der einstürzenden Schulen, Brücken und Straßen, der alarmierenden Bodenerosion, für die eine wilde Bauspekulation in den letzten Jahrzehnten verantwortlich ist, den Verwüstungen von Erdbeben und schließlich des Klimawandels, haben sich öffentliche Investitionen in den Jahren 2008 bis 2018 um 30 Prozent reduziert. Dennoch sind im Haushaltentwurf lediglich 3,5 Milliarden Euro für Investitionen vorgesehen. Bildung und Kultur gehen leer aus.

Hartz IV auf Italienisch

Die italienische Regierung befürwortet ein »Bürgereinkommen«. Das ist jedoch nichts weiter als ein Hartz IV auf Italienisch. Es soll wie in Deutschland ein institutionalisiertes Überwachungssystem entstehen, in dem die Leistungsbezieher*innen über das erhaltene Geld nicht frei verfügen können.

Den Arbeitslosen, die die bezogene Leistung monatlich aufbrauchen sollen, sollen nur elektronische Zahlung erlaubt werden. Zudem dürfen sie mehr als drei Arbeitsangebote nicht ablehnen. Fortbildungskurse und acht Stunden „gesellschaftlich nützliche“ Arbeit sind Pflicht.

Immerhin dürfen auch nicht italienische Bürger*innen diese Leistung beziehen, die seit mindestens fünf Jahren in Italien angemeldet sind. Dafür sollen aber die sogenannten „Sozialbetrüger*innen“ mit bis zu sechs Jahre Haft bestraft werden. „Unmoralisches Einkaufen wird nicht erlaubt“, mahnt der Minister für Wirtschaftliche Entwicklung, Arbeit und Sozialpolitik Luigi Di Maio. Noch ist unklar, was damit gemeint ist (abgesehen vom Kauf von Alkohol, Tabak, und Computerspielen) und wie es überwacht werden soll.

Für die Errichtung bzw. Umgestaltung von Arbeitsagenturen sind eine Milliarde Euro vorgesehen. Die bisher vorhandenen Arbeitsagenturen konnten nicht einmal drei Prozent der eingetragenen Arbeitssuchenden einen Job vermitteln. Die Hälfte der Zentren verfügt nicht einmal über ein aktualisiertes Informationssystem. Nach Einschätzungen liegt die Zahl der möglichen Leistungsempfänger*innen um fünf Millionen. Sie leben vor allem im Süden, wo die Arbeitsagenturen technologisch schlechter ausgestattet sind. Um die Sozialleistungen überweisen zu können, müssten sie aber in der Lage sein, Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen und deshalb sich mit dem Finanzamt, den Banken und der Zoll zu koordinieren. Wie das bis April 2019 geschehen soll, bleibt für viele Experten ein Rätsel.

Die Integrationsmittel werden gekürzt. Öffentliche Flüchtlingszentren sollen geschlossen werden. Die Kommunen protestieren bereits. Denn gerade diese Zentren liefern gute Beispiele für gelungene Integration. Ohne sie blieben den Migrant*innen kaum eine andere Wahl, sich mit kriminellen Mitteln über Wasser zu halten oder als Sklav*innen der Schattenwirtschaft zu verkaufen und damit die innere Sicherheit zu gefährden. Gegen die Abwanderung von ca. 300.000 Menschen pro Jahr aus Süditalien wird übrigens nichts unternommen.

Auch der Versuch, durch ein sogenanntes Dekret der Würde, Prekarisierung und Deindustrialisierung zu bekämpfen, bleibt hinter den Erwartungen. Denn einerseits sollen Unternehmen, die öffentliche finanzielle Unterstützung erhalten, fünf Jahre lang ihre Produktion nicht verlagern dürfen. Aber andererseits dürfen befristete Arbeitsverträge ab zwölf Monaten zukünftig nur mit Sachgrund bis auf 24 Monate verlängert werden. Diese Maßnahmen führen vermutlich zu mehr Scheinselbständigkeit. Anzeichen dafür gibt es bereits: In den letzten Monaten ist die Zahl sowohl der unbefristeten als auch der befristeten Arbeitsverträge gesunken, während gleichzeitig die Zahl Selbständigen stieg.

Mit den Plänen zum Verteidigungsetat bricht der Koalitionspartner 5-Sterne-Bewegung ihr Wahlversprechen. Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta erklärte kürzlich, der Verteidigungsetat solle von aktuell 1,15 Prozent des BIP bis 2024 auf 2 Prozent steigen – eine Forderung der NATO. Italien plant nun doch die umstrittenen Jagdbomber F-35 von den USA zu kaufen, obwohl Trentas Partei vor der Wahl dies strikt ablehnte.

Italien und die EU brauchen Mindestsozialstandards

Der Entwurf ist nicht endgültig. Die italienische Regierung verhandelt noch mit der EU-Kommission. Wird er aber geändert, könnte das vor allem für die beiden Lieblingsprojekten von Lega und 5-Sterne-Bewegung schwerwiegende Folgen haben: Renten und Bürgereinkommen. Daher betont Ministerpräsident Guiseppe Conte andauernd, dass an diesen Punkten nichts geändert werden wird. Er erklärt außerdem, dass auch die Privatisierung von öffentlichen Vermögen geplant sei.

Die Politik, die hinter diesem Haushaltsentwurf steht, verdient es jedenfalls nicht, als sozialstaatlich bezeichnet zu werden. Sie passt eher ins Gesamtkonzept des Neoliberalismus. Von einem sozialen Durchbruch gegen die neoliberale EU-Austeritätspolitik kann kaum die Rede sein. Im Gegenteil: Die Politik der italienischen Regierung wird die soziale Kluft vertiefen und die Unsicherheit der Bevölkerung schüren.

Was Italien braucht, ist neben einem großen Investitionsplan eine Wirtschafts- und Industriestrategie, um mehr Beschäftigung zu schaffen und das enorme Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd zu überwinden.

Außerdem müsste durch die Einführung von Mindestsozialstandards eine EU-koordinierte Wirtschafts-, Steuer-, und Lohnpolitik dem Fiskalpakt und dem Wettbewerb innerhalb der EU ein Ende setzen. Nur so kann die Flucht von Betrieben in Mitgliedstaaten mit niedrigen Löhnen und Steuern gestoppt und die massive Vernichtung der Arbeitsplätzen beendet werden. Auch in Italien.

Paola Giaculli, Diplomdolmetscherin, ist seit 2007 Europakoordinatorin der Linksfraktion im Bundestag. Bis 1991 war sie Mitglied der KPI, von 1992 bis 2006 tätig im internationalen Bereich der Rifondazione comunista, von 1994 bis 2001 Mitarbeiterin der Linksfraktion im Europäischen Parlament.


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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.