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Un-Klimakonferenz

Linke vereint Euch – jetzt oder nie!

Romy Arroyo Fernandez / imago images / NurPhoto
Jede Menge Versprechungen, wenig Handlung

21.10.2021


von Didem Aydurmuş

„Die Menschheit führt ein unbeabsichtigtes, unkontrolliertes, global durchdringendes Experiment durch, dessen letztendliche Folgen nur durch einen globalen Atomkrieg übertroffen werden könnten “ (World Meteorological Organization 1988; meine Übersetzung).“

Seit Jahrzehnten gibt es Warnungen, die ignoriert wurden – links und rechts. Die Zerstörung hat sich mit dem scheinbaren Ende der Geschichte beschleunigt. Dieses mag es zwar nicht im Bereich der Politik geben, wie es Fukuyama skizzierte, aber in der Wirtschaft und damit im öffentlichen Diskurs. Die Debatte kennt nur ein Wirtschaftssystem ohne Alternativen. Kapitalismus und Konsumismus sind tiefer denn je in die Welt eingedrungen. Selbst unter einigen Aktivisti wird die Idee mit dem Geldbeutel abzustimmen, oft ohne Reflexion weitergetragen. Hier zeigt sich, wie der aktuelle Diskurs die Mittellosen weiter entrechtet. Die Ungleichheit ist eklatant. Wir leben nicht in einer postmaterialistischen (vgl. Lukas 1999), sondern in einer hypermaterialistischen Welt. Neue „Wünsche“ werden im Sekundentakt produziert. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Menschen mit Zugang zu Grundgütern wie sauberer Luft oder Wasser ab. Weltweit werden Wasserrechte immer noch an den Meistbietenden verkauft. Anstatt geschützt zu werden, werden die Gemeingüter privatisiert, erschöpft und zerstört. Umweltverschmutzung tötet bereits jährlich mehr als 400.000 Europäer*innen (Europäische Umweltagentur 2016). Außer Gambia hat kein einziges Land einen Plan um unter 1,5 Grad durchschnittlicher Erderwärmung zu bleiben.

COPs und die Verantwortung Deutschlands

Als Linke ist der romantischen Sprache der frühen Umweltabkommen schwer zu widerstehen. Gleichzeitig ist es bezeichnend wie kurz entsprechende Wikipediaartikel sind - zur Rio Deklaration (1992), deren Grundsätze weitestgehend missachtet werden, gibt es auf Deutsch zwei Sätze. Nun wieder eine Conference of the Parties (COP), eine großeKlimakonferenz, mit jede Menge Versprechungen, wenig Handlung? Die Show wiederholt sich (vgl. Edelman 2005). Wenn ich schreibe, dass sich im Kern nichts verändert hat, dann verwundert das. Und ich gebe zu, dass zumindest die öffentliche Diskussion breiter wirkt als noch 2015. Alles wird grün angemalt. Jedes zweite Werbeversprechen heißt „nachhaltigerer“- selten schauen wir genauer hin und übersehen diesen Marketingtrick. Es zeigen sich auch Rückschritte. Nicht nur Rechte in Deutschland kommen mit dem Scheinargument, dass wir „ja nicht alleine die Welt retten können.“ Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es einen lauten Aufschrei beim Kyoto Protokoll gab, das von „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ sprach. Vielleicht haben es Wenige wahrgenommen.

Deutschland trägt, laut Kyoto, große Verantwortung. Nicht nur pro Kopf, sondern auch historisch gesehen, sind wir mit hauptverantwortlich für die Erdzerstörung. Unser Wohlstand baut auf der Ausbeutung begrenzter Ressourcen auf. Selbst wenn wir keinerlei Beitrag an der Katastrophe hätten und wir ‚leisten‘ einen großen, sollten wir unweigerlich an Confucius und Spiderman denken: aus großer Macht erwächst große Verantwortung. Deutschlands Rolle in der globalen Klimapolitik ist beschämend. Nicht nur befindet sich die Bundesrepublik auf Kurs „4-Grad-Erwärmung“, scheißt also auf das Pariser Abkommen, nein, Deutschland ist alles andere als Vorbild. Ein solcher Anspruch wird ohnehin nur noch selten formuliert. Manchmal betonen Neoliberale wie der FDP-Chef Christian Lindner, dass die deutsche Industrie weniger Regeln braucht um Innovationen voranzutreiben und so international zu zeigen wie es funktioniert. Der Grund für Klimakonferenzen ist natürlich die Einsicht, dass wir gemeinsam handeln müssen.

Eine Kritik populärer Märchen

Nachhaltiger oder grüner Kapitalismus ist ein Märchen (vgl. Jackson 2012). Dass ein auf kontinuierlichem Wachstum, der Ausbeutung von Mensch, Natur und Tieren basierendes System, das Kosten externalisiert und Gewinne privatisiert, nicht nachhaltig sein kann, wird hier keine*n  überraschen. Vor Wachstum warnt jetzt sogar der geleakte Bericht des Weltklimarats (IPCC). Es ist an der Zeit, aus den Märchen herauszuwachsen und eine linke Alternative zu zeigen, die auf solider Wissenschaft und Klimagerechtigkeit basiert. Die Debatten bzw. die Nicht-Debatte um CO2-Preise zeigen, wie begrenzt der gegenwärtige Diskurs bleibt. Die Monetarisierung der Natur über CO2-Preise verfestigt Ungerechtigkeiten, indem sie die Trennung zwischen arm und reich vertieft. Wachsende Ungleichheit durch Klimaschutz ist gelegentlich Teil des Diskurses. Worüber nicht gesprochen wird, sind die kognitiven Auswirkungen. Während viele Ökonom*innen sicher sind, dass Co2-Preise effizient sind, stellen andere Disziplinen seine Effektivität unter Vorbehalt (siehe Norton 20o2). Die Soziologie zeigt z.B., dass Sachen einen Preis zu geben, ihren Wert für uns verringern kann. Nachhaltigkeit erfordert jedoch, dass die Gesellschaft die Natur mehr und nicht weniger wertschätzt.

„Nicht grüner als die Grünen!“

Zu oft hört man in der Partei DIE LINKE diesen Satz. Mal davon abgesehen, dass die Grünen jetzt auch nicht besonders grün sind, ist diese Aussage schon ziemlich seltsam, so ist doch der Schutz der Allmende, Englisch „the Commons“, von jeher unser Anliegen. Nicht nur ist die Natur unser größtes Gemeingut und ihre Privatisierung eine Gefahr für ihren Erhalt, funktionierende Ökosysteme sind die Grundvorraussetzung, Conditio sine non qua non, für alles was Linken wichtig ist. Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten. Dementsprechend anachronistisch benehmen sich jene, die Nachhaltigkeit und Umweltgerechtigkeit nicht für das nötige Fundament unserer Politik halten. Im besten Fall schätzen sie die Lage völlig falsch ein, im schlimmsten Fall betreiben sie bloß Populismus. Tragisch, denn gerade die deutsche Linke muss sich stärker für eine nachhaltige Klimapolitik national, aber auch global einsetzen.

Obwohl der Schutz der Gemeingüter für die Linke ebenso zentral ist wie die Farbe Rot, haben wir das wichtigste Thema unserer Zeit nicht gemeistert. Wir müssen Wege finden, nicht nur die nationalen Ökonomien, sondern die Welt zusammen mit denen zu verändern, die durch den (Neo)kolonialismus und unseren imperialistischen Lebensstil „stimmlos“ geblieben sind. Auch weil sie einfache „Lösungen“ für komplexe Probleme vorgibt, kommt Idee der wachstums- und marktorientierten Klimapolitik derweil wenigen sonderbar vor. Wirtschaftswachstum ist eine heilige Kuh, aber im Gegensatz zum Kapitalismus braucht der Sozialismus es nicht. Hier müssen wir ins Spiel kommen.

Viele Ökosysteme stehen vor dem Kollaps, einige Kipppunkte werden bereits überschritten. Noch nie war die Notwendigkeit einer großen linken Erzählung so wichtig wie jetzt. Aussterben steht auf dem Menü. Expert*innen des Zukunftsinstituts der Universität Oxford „gaben eine 19% Wahrscheinlichkeit an, dass die menschliche Spezies vor dem Ende dieses Jahrhunderts aussterben wird“ (Marshall 2014:Loc. 3494). Russischroulette ist besser. Wir sind die Ursache des 6. Massensterbens, könnten auch sein Opfer werden. Die Kritik, dass COPs typischerweise Shows mit großen ökologischen Fußabdrücken sind, zu der tausende Menschen fliegen, ist berechtigt.  

Nachhaltige Politik muss einer Wassermelone ähneln – außen kräftig grün, innen dunkelrot. Wo viele grüne Parteien auf den individuellen Konsum setzen und so tun, als könnte es fast wie gewohnt weitergehen, ist es unsere Aufgabe, den Marktfetischismus anzugehen. Beim Thema Umwelt sind die Folgen des Kapitalismus offenkundig. Immer mehr Bewegungen erkennen die Notwendigkeit mit dem System zu brechen, das auf ewigem Wachstum und maximaler Ausbeutung von Mensch, Natur und Tieren basiert. Wir müssen diese Gruppen unterstützen, an gegenseitigem Lernen teilnehmen, nicht an Kooptation, solidarisch. Die Linke selbst muss ein zukunftsfähiges Narrativ vorlegen, das die Probleme erklärt und sie, ohne Ausreden, radikal anpackt. Die Dringlichkeit und das Ausmaß des Problems erfordern Ehrlichkeit. Solange wir uns nur auf Sektoren konzentrieren, bleiben wir engstirnig und haben nicht viel zu bieten. Solange wir die Kohlearbeit glorifizieren oder den Verzehr von Bratwürsten für den Gipfel der Freiheit erklären, haben wir weder Wissenschaft und Bewegungen verstanden, noch ihnen zugehört.

Jenseits der Katastrophe

Klar ist, dass wir einen globalen Umbau brauchen, unser Ernährungssystem, unsere Wirtschaft usw. - alles muss sich ändern. Den Klimawandel und seine Auswirkungen abzumildern, ist die wichtigste und schwierigste Aufgabe unserer Zeit. Die Ökologin und Sea Watch-Kapitänin Carola Rackete sagte bei einem Panel, dass wir weltweit starke Netzwerke bilden müssen. Auch wenn unmenschliche Lohnarbeit und globale Ungleichheit uns nicht haben vereinen können, dies ist unsere letzte Chance. Der Kapitalismus führt Krieg gegen Mensch, Natur und Tier. Wir müssen uns wehren, uns verlässlich an die Seite der Schwächsten stellen, an die Seite globaler Gerechtigkeitsbewegungen und endlich ein Narrativ gegen den hegemonialen Diskurs aufbauen. Unsere Erzählung ist eine der Umverteilung, globaler Gerechtigkeit und Solidarität, der eingeschlagene Kurs der Geschichte ist apokalyptisch. Wir dürfen keine Angst vor dem haben, was getan werden muss; wir müssen uns vor dem, was kommt, fürchten, wenn wir nicht kämpfen. Die Katastrophe passiert bereits.

Literatur

Edelman, M. 2005. Politik als Ritual: Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und

politischen Handelns. Frankfurt: Campus Verlag.

European Environmental Agency 2019. Air quality in Europe. https://www.eea.europa.eu/publications/air-quality-in-europe-2019

Jackson, T. 2012. Prosperity without growth: Economics for a finite planet. Kindle Edition:

Routledge.

Luke, T. W. 1999. Capitalism, Democracy, and Ecology. Departing from Marx. Urbana and

Chicago: University of Illinois Press.

Marshall, G. 2014. Don't Even Think About It: Why Our Brains Are Wired to Ignore Climate

Change. Kindle Edition: Bloomsbury.

Norton, B. 2002. Issue 3: Nature Has Only an Instrumental Value Sustainability: Descriptive or

Performative? In J. M. Gillroy and J. Bowersox (eds.), The Moral Austerity of Environmental

Decision: Sustainability, Democracy, and Normative Argument in Policy and Law. Kindle

Edition: Duke University Press.

Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung 1992 https://www.un.org/Depts/german/conf/agenda21/rio.pdf

World Meteorological Organization 1988

http://cmosarchives.ca/History/ChangingAtmosphere1988e.pdf


Didem Aydurmuş hat in Klimapolitik promoviert und ist Mitglied des Parteivorstands DIE LINKE sowie des Sprecher*innenrats der Ökologischen Plattform in der LINKEN.


 

Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.