Wird sich die Demokratie durchsetzen?
Auch wenn der rechtsradikale Präsidentschaftskandidat Jair Bolsonora in Brasilien zuletzt die Umfragen in Brasilien anführte, so übertraf sein Wahlergebnis noch die Prognosen und gleicht mit 46% der gewonnen Stimmen im ersten Wahlgang einem politischen Erdbeben.
Auf den zweiten Platz kam mit 29,3% der Stimmen der Kandidat Fernando Haddad, der Arbeiterpartei Partido dos Trabalhadores (PT), der Partei von Lula da Silva, welcher unter fadenscheinigen Gründen in einem reinen Indizienprozess verurteilt - und dem die Kandidatur untersagt worden war. Damit verfehlten beide die notwendige Mehrheit von 50% und am 28.10. sind die mehr als120 Millionen Wahlberechtigten aufgerufen in einer Stichwahl über den zukünftigen Präsidenten zu entscheiden.
Turbulente Zeiten
Es sind äußerst turbulente Zeiten im größten Land in Lateinamerika. Das Wahlergebnis zeugt von einer tiefen Unzufriedenheit der Bevölkerung, von Wut und Enttäuschung auf die etablierten Parteien. Das gesamte politische System wird mit Korruption in Verbindung gebracht, einen Diskurs den Jair Bolsonaro nährte, um sich selbst als politischer Außenseiter davon abzugrenzen und die Jahre der Diktatur völlig zu verklären, als korruptionsfreie Zeit der gesellschaftlichen Ordnung, beides nachweislich falsch.
Hinzu kommt eine immense wirtschaftliche Krise mit hohen Arbeitslosenzahlen. Nur sehr langsam erholt sich die achtgrößte Wirtschaftsmacht der Welt von der Rezession, die Armut wächst, etwa 20 Millionen Menschen leben in Armut, vor allem im Norden und Nordosten des Landes und in den Favales der Städte. Damit einher geht die zunehmende Kriminalität, im Jahr 2017 wurden 63880 Menschen ermordet, eine Steigerung von 3% im Vergleich zum Vorjahr. Die Sicherheitslage spielte entsprechend im Wahlkampf eine große Rolle.
Und in dieser krisenhaften Situation wird von manchem die Demokratie an sich in Frage gestellt: nur 13% der Befragten sind zufrieden mit der Demokratie in Brasilien, das Vertrauen in die Armee hingegen liegt bei 50%, die generelle Befürwortung der Demokratie bei 62% (Latinobarómetro).
Jair Bolsonaro, der Anti-Demokrat
Als Anti-Demokrat führte Jair Bolsonaro (PSL/Sozial-Liberale Partei) seinen Wahlkampf. Er steht für autoritäre Werte und in seinem Wahlslogan hieß es, Brasilien zuerst und Gott über alles. Der ehemalige Hauptmann des Militärs und Evangelikale wirbt für die Einführung von Militärschulen und fordert Waffen für alle, zur Selbstverteidigung und um Kriminalität zu bekämpfen. Er setze im Wahlkampf auf den Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe, Einführung der Todesstrafe, außerdem versprach er niedrige Steuern und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Er fiel immer wieder durch rassistische, homophobe und frauenfeindliche Äußerungen und durch die Verherrlichung der Militärdiktatur auf. Sein Symbol im Wahlkampf: die Hand zur Pistole geformt. Der 63-Jährige sitzt schon seit 30 Jahren im Parlament, seine Partei war bis zuletzt winzig und unbedeutend. Deshalb stand Bolsonaro kaum Sendezeit im Fernsehen zu. Vor einigen Wochen wurde Bolsonaro bei einem Wahlkampfauftritt durch eine Messerattacke schwer verletzt und lag mehrere Wochen im Krankenhaus. Dadurch erhöhte sich seine Medienpräsenz enorm, da täglich über seinen Gesundheitszustand berichtet wurde.
Die Partido dos Trabalhadores
Fernando Haddad wurde von der PT in letzter Sekunde als Präsidentschaftskandidat aufgestellt, nachdem dem bereits inhaftierten Lula da Silva die Kandidatur untersagt worden war. Das Verfahren gegen den beliebtesten Politiker Brasiliens, der noch aus dem Gefängnis die Umfragen anführte, schien politisch motiviert und reihte sich ein in Abbau von demokratischen Rechten, denn bereits im Jahr 2016 wurde Dilma Rousseff als Präsidentin durch einen parlamentarischen Putsch ihres Amtes enthoben.
Die PT regierte Brasilien von 2003-2016. In dieser Zeit konnte sie vor allem eine soziale Transformation anstoßen und Millionen Menschen aus der Armut helfen – auch dank hoher Rohstoffpreise. Brasilien betrat als Regionalmacht und im Rahmen der BRICS die Weltbühne. Doch die PT machte auch Fehler und verlor an Rückhalt. Durch Korruptionsvorwürfe verlor sie an Glaubwürdigkeit und die Finanzkrise traf Brasilien heftig. Diese Schwäche nutzte der vormalige Vizepräsident Michel Temer, um 2016 Dilma Rousseff parlamentarisch aus dem Amt zu putschen. Seitdem regiert Temer mit minimalen Zustimmungswerten.
Lula ist hingegen immer noch eine Lichtgestalt für viele, vor allem für Ärmere im bevölkerungsreichen Norden des Landes, den die PT wieder gewinnen konnte. So setzte die PT darauf, die Wähler*innenstimmen von Lula auf Haddad zu übertragen, aus dem Gefängnis fordert Lula die Menschen auf, Haddad an seiner Stelle zu wählen. Der 55 jährige Fernando Haddad war Bürgermeister von Sao Paulo und gehört dem moderaten Flügel der PT an, er studierte Philosophie und Jura und stammt aus einer wohlhabenden Einwandererfamilie. Als Vizepräsidentin kandidierte Manuela D`Avila von der PcdOB (Kommunistische Partei Brasiliens).
Die anderen Kandidat*innen
Das seit dem Ende der Diktatur bestehende politische System ist zerrüttet. Bisher standen sich in erster Linie die PT der mitte-rechts PSDB (Partido da Social Democracia Brasileira) gegenüber. Ihr Kandidat Geraldo Alckmin erreicht gerade einmal 4,8 %. Den Konservativen wird angelastet, dass es ihnen nach dem Putsch gegen Dilma Rousseff nicht gelang, Brasilien aus der Krise zu führen – und sie somit den Weg frei machten für Bolsonaro: eine konservative Rebellion. Ciro Gomes von der mitte-links verorteten Partido Democrático Trabalhista (PDT) kam auf 12,5%. Einige hatten gehofft und erwartet, dass er im Falle des Nichtantritts von Lula der gemeinsame Kandidat mit der PT werden würde, dem von Seiten der PT entgegen, dass dies zur Bedeutungslosigkeit der eigenen Partei führen würde.
Kongress und Senat
Neben den Präsidentschaftswahlen wurden außerdem Zweidrittel des Senats und 513 Mitglieder des Abgeordnetenhauses neu gewählt. Das für Korruption anfällige Wahlsystem kennt keine %- Hürde, sodass in den beiden Kammern des Kongresses fast 30 Parteien vertreten sind und jede Regierung sich immer Mehrheiten organisieren muss. Die progressiven Parteien kommen auf etwa ein Drittel der Sitze – und gewannen somit im Vergleich zu den letzten Wahlen. Erstmals wurde über die Liste von REDE (grüne Umweltpartei) eine Indigene gewählt.
Im Senat hat die PT 7,4 %, das entspricht sechs Sitzen von insgesamt 81. MDB, der auch Michel Temer angehört, ist hier stärkste Kraft und hat 12 Sitze. Im Abgeordnetenhaus hat die PT mit 10,9% (56 Sitze von 513) die meisten Sitze, die PCdoB hat 9 Sitze, die PSOL 10 Sitze. Bolsonaros PSL gewann im Abgeordnetenhaus 52 Sitze und wurde von einer unbekannten Kleinstpartei zum einflussreichen Faktor.
Frage der Demokratie
Der Abstand in der ersten Runde war groß – fast 17%. Die PT wird in den nächsten Wochen bis zur Stichwahl einen Wahlkampf für die Demokratie machen: alle demokratischen Kräfte für Haddad! So äußerte sich Haddad selbst noch am Wahlabend: „Wir wollen alle Demokraten zusammenführen.“
Katharina Tetzlaff ist Referentin im Bereich Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE und zuständig für Lateinamerika.
Gomes wird wahrscheinlich zur Unterstützung Haddads aufrufen, ebenso Marina Silva und Guilherme Boulos – und trotzdem wird es verdammt eng für die PT.
Zudem gibt es einen starken – auch durch die brasilianischen Medien gestützten – Anti-PT Diskurs. Viele Menschen sind frustriert und wütend. Sie fühlen sich auch von der PT enttäuscht. Haddad und D`Avila werden nun für Demokratie und soziale Rechte kämpfen, aber die Hürden vor ihnen sind enorm.
Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.