Vier gegen Macky
Am 24. Februar 2019 werden im Senegal Präsidentschaftswahlen abgehalten. Gerechnet wird mit dem engsten Kopf-an-Kopf-Rennen seit der Unabhängigkeit des Landes von Frankreich im Jahr 1960. Vier Kandidaten treten gegen den aktuellen Amtsinhaber Macky Sall an. Doch die Wahlprogramme der Kandidat*innen unterscheiden sich kaum von einander.
Senegal ist ein mehrheitlich muslimisches Land und gilt als politisch stabiles Demokratiemodell auf dem afrikanischen Kontinent. Schon 1974 wurde das Mehrparteiensystem eingeführt.
Die Sozialistische Partei (PS) regierte das Land ab den 1960er Jahren für 40 Jahre. Erst im Jahr 2000 kam es zum ersten politischen Machtwechsel. Der Gründer der Demokratischen Partei Senegals (PDS) Abdoulaye Wade übernahm das Amt. Der Anwalt und Wirtschaftswissenschaftler Wade hatte sich schon immer zum Liberalismus bekannt und konnte einen Großteil der senegalesischen Jugend mit seiner damaligen Losung Sopi (Wandel) für sich gewinnen.
Er wurde 2012 von Macky Sall geschlagen, einem seiner früheren Protegés, der sich mit einer Rekordgeschwindigkeit in der staatlichen Hierarchie emporgearbeitet hatte. Der gelernte Geologe und ehemalige Maoist Sall war zum Liberalismus à la Wade konvertiert. Er gründete seine eigene Partei, das Bündnis für die Republik (APR), dank der er 2012 den zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen für sich entschied.
Der heute 57-jährige Präsident gehört einer Generation an, die nach der Unabhängigkeit des Senegals geboren wurde. In den Augen vieler Senegales*innen sollte diese «Jugend» mit parteipolitischen Traditionen brechen und «Komplexe» gegenüber Frankreich und dem Ausland ablegen. Macky Sall hatte im Wahlkampf soziale Maßnahmen und eine «sparsame und tugendhafte Regierungsführung» versprochen. Damit konnte er diejenigen Wähler*innen für sich gewinnen, die Wades Dynastie-Projekt ein Ende zu setzen wollten.
Doch Salls führte in seiner siebenjährigen Amtszeit Wades Politik weiter. Sein Wahlversprechen, das Präsidentschaftsmandat auf fünf Jahre zu verkürzen, nahm er zurück.
Er stützte sich auf die traditionelle politische Klasse, um seine Macht auszubauen. Um mehr Mitglieder für seine junge Partei zu finden, ermutigte er die transhumance, ein in der senegalesischen Politik genutzter, moralisch aufgeladener Begriff, der Oppositionsführer*innen bezeichnet, die sich dem Lager der Machthabenden anschließen, um in den Genuss von Privilegien zu kommen.
Macky Salls Regime stellte auch in Bezug auf Gewaltenteilung keinen Bruch mit Wades Politik dar und baute die Vormachtstellung der Exekutive noch weiter aus. Die Judikative stand ganz im Dienst des Staatsoberhaupts. Er nutzte sie, um mit politischen Gegnern abzurechnen.
Macky Sall verfolgte auch auf wirtschaftlicher Ebene weiterhin Wades Politik, kostspielige, von ausländischen Unternehmen ausgeführte Infrastrukturprojekte durch öffentliche Verschuldung zu finanzieren. Der Plan Sénégal Émergent (PSE) führte zwar durch ein verbessertes Verhältnis zwischen Ein- und Ausfuhrpreisen ab 2013 zur höchsten und dauerhaftesten Wachstumsrate in der Geschichte Senegals. Doch auch wenn das Wirtschaftswachstum beachtlich ist, bleibt es doch nach außen gerichtet – mehr als die Hälfte der Einkommen verlassen das Land wieder als Zahlungen des Schuldendiensts, als Gewinne und Dividenden ausländischer Unternehmen sowie als Lohnzahlung für ausländische Arbeitnehmer*innen. Wie nahezu überall in Afrika führte dieses Wachstum nicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen für die rasant zunehmende Zahl der Arbeitskräfte. Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt bleiben bestehen und könnten sich zukünftig wohl noch verschlimmern. Darüber hinaus ist der langfristige Nutzen derartigen Wachstums für die Bevölkerung sehr fragwürdig, wenn es sich negativ auf die Umwelt auswirkt.
Die parrainage citoyen – Patenschaft durch Bürger*innen
Neu ist bei den Präsidentschaftswahlen 2019 der von den Kandidat*innen zu erbringende Nachweis, über genügend Rückhalt in der Bevölkerung zu verfügen. Es reichte nicht mehr, eine finanzielle Kaution zu leisten. Die Kandidat*innen mussten 53.000 Unterschriften von Bürger*innen erhalten, wobei wenigstens 2.000 davon aus mindestens sieben Regionen Senegals stammen sollten. Obwohl die Patenschaftsmaßnahme von der Opposition heftigst kritisiert wurde, war sie von großem Nutzen. So konnte die ursprünglich angekündigte Zahl der Präsidentschaftskandidat*innen – etwa einhundert! – drastisch gesenkt werden. Am Ende konnten sieben Kandidaten die benötigten Unterschriften vorweisen, doch nur fünf von ihnen wurden vom Verfassungsrat bestätigt. Ohne eine Vermögensprüfung der Kandidat*innen sowie strenge Kontrollen über die Wahlkampfgelder führt das Patenschaftsprinzip jedoch dazu, dass sich der Wettkampf auf die finanzstärksten Kandidat*innen verengt, also häufig diejenigen, die sich illegal an öffentlichen Geldern bereichert oder nicht deklarierte Gelder von in- und ausländischen Sponsoren erhalten haben.
Die Kandidaten
Der amtierende Präsident Macky Sall wird gegen vier weitere Kandidaten antreten.
Idrissa Seck ist Generalsekretär der Partei Rewmi (das Land) und ein gewiefter Politiker. Er war der zweite Premierminister unter Abdoulaye Wade. Nachdem er sich mit diesem überworfen hatte, landete er wegen Veruntreuung von Geldern und Korruption im Gefängnis, wurde aber schließlich freigesprochen. Der 59-Jährige ist der erfahrenste unter Salls Herausforderern. Seine Beliebtheit nimmt gegenwärtig wieder zu.
Auch der 65-jährige Madické Niang gehört dem liberalen Lager an. Er war nacheinander Justizminister und Außenminister unter Abdoulaye Wade, mit dem er sich ebenfalls überworfen hat.
Ousmane Sonko, Vorsitzender der Partei PASTEF (Patriot*innen Senegals für Arbeit, Ethik und Brüderlichkeit), ist die politische Entdeckung der letzten Jahre. Er prangerte mutmaßliche Korruptionsskandale öffentlich an, in die Macky Salls Umfeld, seine Regierung und hohe Beamte verwickelt sein sollen. Der 44-Jährige präsentiert sich als Anti-System-Politiker und kann einen Teil der von der traditionellen politischen Klasse enttäuschten Jugend wieder für Politik begeistern. Er genießt den meisten Zuspruch in den sozialen Netzwerken sowie der Diaspora.
Issa Sall ist die zweite politische Sensation dieser Präsidentschaftswahl. Der diskrete Politiker, der keinerlei Verwandschaft mit Macky Sall hat, ist kein Neuling. Der 63-Jährige war vor der Gründung seiner Partei für Zusammenhalt und Vereinigung (PUR) im Jahr 1998 bei der PS aktiv.
Linke haben sich selbst marginalisiert
Linke Kandidat*innen gibt es bei diesen senegalesischen Präsidentschaftswahlen nicht. Das ist keine Überraschung. Die politischen Parteien des linken Lagers haben weder ihre Themen, noch ihre Aktionsformen oder Mobilisierungsmethoden erneuert. Sie haben stets darauf gesetzt, die staatliche Macht durch Wahlen zu erobern – bei denen sie angesichts ihrer Finanzschwäche zwangsläufig schlechtere Karten haben –, anstatt durch Solidarität mit den alltäglichen Kämpfen der sozial Schwachen und der Mittelschicht politische Alternativen zu entwickeln. Paradoxerweise geschieht die Marginalisierung der linken Parteien zu einem Zeitpunkt, an dem die Mehrheit der Wähler*innen aus den Vorstädten und anderen benachteiligten Stadtvierteln stammt, in denen ein tatsächlicher und bleibender Bedarf an fortschrittlichen linken Perspektiven besteht. Die linken Parteien haben sich in Koalitionen aufgelöst und jegliche eigenständige Identität verloren. Die wiederholte Beteiligung an liberalen Regierungen hat ihr Ansehen stark beschädigt. Gegenwärtig beschränkt es sich auf einen ideologischen Identitätsdiskurs, der nur auf internationaler Ebene Relevanz besitzt.
Die Themen
Zum ersten Mal verfassten alle zugelassenen Kandidaten Wahlprogramme, was zumindest formell einen bedeutenden Fortschritt darstellt. Doch lediglich Ousmane Sonkos Programm ist eine Ausnahme. In seinem Buch Solutions (Lösungen) stellt er ausgehend von einer Bestandsaufnahme seine Vision des Zusammenlebens und seine Entwicklungsstrategie ausführlich vor.
Im Allgemeinen gleichen sich die von den Kandidaten angekündigten Maßnahmen, denn sie entsprechen mehr oder weniger den Forderungen der Bevölkerung und der Zivilgesellschaft.
Die meisten Beobachter*innen sprechen Macky Sall die größten Gewinnchancen zu. Er verfügt über die staatlichen Mittel und auch die von ihm eingeführte Sozialpolitik verfehlt ihre Wirkung auf das Wahlverhalten nicht. Wenn er aber im ersten Wahlgang nicht gewinnt, verringern sich seine Chancen, weil ein Bündnis aller anderen Kandidaten nicht auszuschließen ist.
Alles in allem finden bei diesen Präsidentschaftswahlen zwei Auseinandersetzungen statt. In der ersten stehen sich die Kandidaten des liberalen Lagers gegenüber: Macky Sall gegen Idrissa Seck und Madické Niang. Es geht darum, wer das Lager anführt, wie es sich umstrukturiert und welches Privileg, welchen Status oder welche Strafe die Politiker erwarten können. In der zweiten Auseinandersetzung tritt diese traditionelle politische Klasse gegen den jungen Anti-System-Kandidaten Ousmane Sonko an, sowie gegen Issa Sall, der Bildung, Kultur und Wissenschaft in seinem Programm eine große Bedeutung zuschreibt. Hier stellt sich die Frage, ob sich ein politischer Wandel durchsetzen kann, um der neokolonialen Miss- und Vetternwirtschaft, die in der senegalesischen Politik seit 1960 vorherrscht, ein Ende zu setzen.
Ndongo Samba Sylla ist Projektkoordinator der Rosa Luxemburg Stiftung Westafrika im Programm Jugend und Politik.
Übersetzung und Lektorat: Inga Frohn und Martina Körner für lingua•trans•fair
Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.