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Yanina Huzouskaya

Mit dem Zerfall der Sowjetunion kehrte Frauendiskriminierung zurück

Natalia Fedosenko / imago images / ITAR-TASS

Es war die russische Oktoberrevolution, die den Grundstein legte für die Gleichberechtigung der Frauen in Belarus. Sie garantierte ihnen das Recht zu wählen und in öffentliche Ämter gewählt zu werden. Was in der ehemaligen Sowjetrepublik einst die Norm war, wird seit 1994, als Aljaksandr Lukaschenko zum Präsidenten Weißrusslands gewählt wurde, zurückgestutzt. Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen in Belarus ist Schichtspezifisch. Für die Frauen der Arbeiterklasse wird Feminismus immer wichtiger.

Es schmerzt, wenn Belaruss*innen heute auf die historischen Errungenschaften der sowjetischen Gleichstellungspolitik zurück schauen: Der Rat der Volkskommissare hatte bereits am 2. August 1918 ein Dekret erlassen, dass Frauen den Zugang zur Bildung und Ausbildung, gemeinsam mit den Männern, an allen höheren Bildungseinrichtungen eröffnete. Als erstes Land der Welt hatte die sowjetische Regierung 1917 das Recht auf Schwangerschafts- und Mutterschaftsurlaub eingeführt. Frauen wurde garantiert, dass sie ab der achten Woche vor Geburt bis zur achten Woche nach der Geburt freigestellt wurden. Auf Wunsch war es sogar möglich, den Mutterschaftsurlaub auf ein Jahr zu verlängern – und dennoch eine Arbeitsplatzgarantie zu behalten. Auch das Recht auf Schwangerschaftsabbruch wurde eingeführt.

Die Große Sozialistische Oktoberrevolution von 1917 verankerte die Gleichbehandlung von Frauen als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft per Gesetz. Zwar wurden bereits in den 30er Jahren und später, in den Jahren des Stalinismus, zahlreiche geschlechterpolitische Errungenschaften der frühen Sowjetzeit zurückgedreht. So wurden zum Beispiel Schwangerschaftsabbrüche wieder verboten. Der Stalinismus insgesamt ging gezielt gegen diese neue kulturelle Tradition vor. An ihrer Stelle trachtete er danach, die Moral des Alten Testaments neu zu beleben - und damit die Idee der Abhängigkeit der Frau von ihrem Ehemann, autorisiert durch die Staatsgewalt.

Doch trotz der schrecklichen Verwerfungen der 30er Jahre gelang es nicht, die sowjetische Gesetzgebung zur Geschlechtergerechtigkeit zu zerstören. Sie blieb damit bis zum Zerfall der Sowjetunion eine der fortschrittlichsten der Welt.

Nach dem Zusammenbruch behielten Frauen den Grundstock ihrer Rechte, die ihnen von den Sowjetregierungen gewährt worden waren. Diese waren zudem in den meisten Ländern der Welt inzwischen ebenso eingeführt worden.

Die Frauenbewegung im postsowjetischen Raum blieb eng mit der Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter zur Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung verbunden. Denn die erwerbstätigen Frauen sahen sich bald mit einem anderen Problem konfrontiert: Dem der „schönen neuen Welt“ der Marktwirtschaft. Diese brachte zwar das Recht auf Freiheit, doch führte diese schnell zu eben jenen Ausbeutungsverhältnissen, wie Männer sie erfuhren. Frauen mussten ihre Arbeitskraft für Hungerlöhne verkaufen und gleichzeitig die unbezahlte Hausarbeit und Kindererziehung verrichten.

Ein neuer Ton seit 1994

Nachdem sich das autoritär-bourgeoise Regime in Belarus in den Jahren ab 1994 etablierte, verschlechterte sich die Lage erwerbstätiger Frauen erheblich. Da war zunächst der neue Ton. Funktionäre aller Ebenen, einschließlich Lukaschenko selbst, kokettierten öffentlich mit abfälligen Bemerkungen über Frauen. Regierungsfreundliche politische Parteien und öffentliche Institutionen kultivierten daraufhin eine demonstrativ patriarchale Kultur, in der die Rolle der Frau ausschließlich auf Hilfsfunktionen reduziert wurde. Das demonstrative Fördern konservativer und patriarchaler Werte durch den Staat zielte - und zielt bis heute - darauf, die Arbeit von Frauen abzuwerten sowie Arbeiterinnen und Arbeiter zu spalten. Dem neuen Ton folgten bald auch Taten.

Berufe wurden gelistet, die traditionell als „weiblich” angesehen und natürlich schlecht bezahlt werden. Gegenwärtig verbietet Belarus Frauen die Ausübung von 181 Berufen, die nicht weiblich seien. Auch bei den Löhnen herrscht Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Laut Statistik lagen die Löhne von Männern im Jahr 2018 um bis zu 24 Prozent höher als die Löhne von Frauen. Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit von Männern und Frauen gibt es heute nur noch in den staatlichen Strukturen, wo die Gehälter geschlechterunabhängig nach Tarif festgelegt werden.

Sehr nachteilig wirkt sich die Tatsache aus, dass das Recht auf bezahlten Mutterschaftsurlaub aus der Versicherungsberechnung gestrichen wurde. Damit reduziert sich automatisch die Höhe künftiger Pensionsrückstellungen. Den vorläufigen Höhepunkt der Verachtung für Geschlechtergerechtigkeit lieferte der belarussische Diktator mit seiner Kritik am Gesetzentwurf zur „Bekämpfung häuslicher Gewalt.” Lukaschenko sagte, dass es sich bei diesem Gesetzentwurf um eine „Dummheit des Westens handelt, die unseren slawischen Traditionen widerspricht“.

Unterdrückung der Frauen ist Schichtspezifisch

In ihren Beziehungen zum Westen prahlt Lukaschenkos Regierung unverfroren  mit dem „Sieg der Geschlechtergerechtigkeit”. Westlichen Partnern wird vorgeführt, wie gut es um die Geschlechtergleichheit geht, schlichtweg um neue Darlehen zu erhalten. Diese werden benötigt für die Projekte der Bürokratie und damit die Aufrechterhaltung des repressiven Apparats.

Tatsächlich sind Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen Schichtspezifisch: Je höher der wirtschaftliche Status einer Frau in der Gesellschaft ist, desto weniger wird sie Opfer genderbasierter Unterdrückung. Für die Schicht der Reichen und Privilegierten Belarus’ ist die Frauenfrage daher eine Nicht-Frage. Feminismus ist ihnen kein Anliegen. Für die Frauen der Arbeiterklasse wird er hingegen immer wichtiger.

Auch auf dem Papier sehen Belarus’ Zahlen gut aus: Den Ergebnissen der Wahlen von 2016 zufolge beträgt der Anteil von Frauen im belarussischen Parlament 33 Prozent. Das ist eine vergleichsweise hohe Zahl. Kritisch zu sehen ist, dass die gewählten Vertreterinnen hier Vertreterinnen der Exekutive sind. Sie verkörpern damit das gleiche funktionale „Geschlecht“ wie ihre männlichen Parlamentskollegen, nämlich das „Geschlecht der Bürokratie“.

Dieses vertritt vornehmlich die Interessen des Kapitals. Das Kapital wiederum  verfolgt die gleichen Interessen wie der autoritäre belarussische Staat. Denn, und hier schließt sich der Interessenszirkel, die staatlich geförderte Benachteiligung der Frauen bei den Löhnen und die Abwertung der Arbeit der belarussischen Frauen, nutzt der Privatwirtschaft. Sie kann, dank der vermeintlich „zweitrangigen” Arbeit der Frauen ihre Profite weiter steigern. Bezeichnenderweise wird heute eine ähnliche Politik von konservativen und rechtsextremen Kräften, aber nicht von linken, verfolgt.


Yanina Huzouskaya ist Mitglied im Zentralkomitee der linken Partei, Gerechte Welt, in Belarus.


 

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.