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Julia Wiedemann

Soziale Bewegungen im Nahen Osten gibt es nur mit Frieden

MORTEZA NIKOUBAZL / imago images/UPI Photo

„Nieder mit der islamischen Republik!“ In fast allen Videos, die von den jüngsten Protesten im Iran geteilt werden, ist dieser Slogan zu hören. Seit bekannt wurde, dass die ukrainische Passagiermaschine mit 179 Menschen an Bord vom iranischen Militär abgeschossen wurde, sind die Proteste gegen das korrupte Mullahregime, die zum Ende des letzten Jahres hochgekocht waren, erneut entflammt. Die Bevölkerung will sich nicht von ihrer Regierung in einen Krieg hineinziehen lassen, einen Krieg, den ebenso die USA mit ihrem Verhalten provozieren.

Ein kurzer Blick zurück: Am 3. Januar wurde der iranische General Kassem Soleimani bei einem Aufenthalt im Irak durch eine Drohne der US-Armee gezielt getötet. Mit ihm starben weitere Personen, darunter ein bedeutender Anführer schiitischer Milizen im Irak. Dieser politische Mord auf fremden Territorium setzte eine Eskalation der ohnehin angespannten Lage in der Region in Gang. Es folgten vom Iran initiierte Raketenangriffe auf US-Einrichtungen im Irak und weitere Drohungen seitens der USA gegen den Iran.

Etwas weiter zurückgeblickt: Seit dem Sturz des Schahs 1979, der ein Verbündeter der USA war, und der Errichtung der islamischen Republik gibt es erhebliche Spannungen zwischen beiden Ländern. Die USA verfolgten schon sehr lange eine hegemoniale Politik im Nahen Osten. Sie suchten sich Verbündete. Wo sie sie nicht fanden, setzten sie auf einen Wechsel des Regimes oder griffen gar selbst ein, wie 2003 im Irak, als sie mit einem völkerrechtswidrigen Einmarsch die Diktatur von Saddam Hussein beendeten. In Syrien unterstützten sie zunächst die Gegner Assads bevor sie sich selbst aktiv in den Krieg hineinziehen ließen. Und im Jemen lassen sie Saudi-Arabien und ihre Koalition im Kampf gegen die Huthi-Rebellen gewähren, ungeachtet dessen, wie viel unsägliches Leid dieser Krieg gebracht hat.

Dem Iran ist man bisher vor allem wirtschaftlich mit vielen Sanktionen begegnet. Unter Donald Trump hat sich nichts an der ursprünglichen Ausrichtung der amerikanischen Nahostpolitik geändert, allerdings an der Frage der Berechenbarkeit. Die meisten seiner Aktionen und Reaktion wirken planlos und impulsiv. Wenn einer solcher Präsident Zugang zu einem roten Knopf hat, muss man mit allem rechnen.

Die Spannungen mit dem Iran haben unter ihm deutlich zugenommen. Er kündigte das unter der Regierung Obamas ausgehandelte Anti-Atomabkommen mit dem Iran und der EU einseitig auf und verhängte weitere Sanktionen, die schrittweise verschärft wurden. Der Iran seinerseits nahm daraufhin im Abkommen festgelegte Maßnahmen zurück, und verschärfte die Rhetorik gegen die USA. Mehrfach kam es zu kritischen Situationen, so wurde zum Beispiel im Juni vergangenen Jahres eine US-Drohne vom Iran abgeschossen und im Juli ein britisches Schiff vor der iranischen Küste an der Straße von Hormuz durch die iranischen Revolutionsgarden festgehalten. Das zeigt, wie aufgeladen die Lage bereits seit einiger Zeit ist.

Der ermordete Soleimani war ein Kriegsverbrecher, etliche militärische Aktivitäten des Iran im Ausland standen unter seinem Kommando, er war für zahlreiche brutale Angriffe verantwortlich. Dennoch ist seine Ermordung ein verhängnisvoller Akt, der eine unvorhersehbare Spirale der Gewalt nach sich ziehen und in einen weiteren offenen Krieg in der Region führen könnte.

Unter diesem Krieg würden ebenso die Protestbewegungen leiden. Denn auch im benachbarten Irak gehen seit Monaten die Menschen auf die Straße. Als die USA 2003 Saddam Hussein gestürzt hatten, installierten sie ein System der Interessenaufteilung unter den beiden größten Religionsgruppen – Schiiten und Sunniten – sowie den Kurden, die den ölreichen Norden des Landes dominieren. Es gibt zwar Wahlen, aber da sich die Machtverteilung anhand von Zugehörigkeit zu diesen drei Gruppen orientiert, weniger an politischen Inhalten, gestaltet sich eine Regierungsbildung sehr schwer. Es kommt immer wieder zu Phasen der Stagnation. Dieses System des Konfessionalismus öffnete Tür und Tor für Korruption und ist einer von vielen Gründen, warum sich der IS ausbreiten konnte und bis heute trotz Ölreichtum eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage kaum erkennbar ist.

Bei den Wahlen 2018 wurde eine Gruppe stärkste Kraft, die soziale Verbesserungen und Unabhängigkeit von ausländischer Einmischung propagierte. Für eine Regierung reichten die Mehrheitsverhältnisse jedoch nicht. Es musste mühsam und mit vielen Kompromissen eine Koalitionsregierung gebildet werden, die seither im Stillstand verharrt. Die Protestierenden im Irak begehren dagegen auf - gegen die konfessionelle Spaltung, gegen Korruption und auch gegen ausländische Einmischung durch die USA und den Iran.

Der Iran hat schiitische Milizen im Irak unterstützt und sogar eigene Einheiten entsandt, zunächst im Kampf gegen den IS. Doch auch nachdem der IS zurückgedrängt war, behielten in vielen Regionen die Milizen das Sagen. Als staatliche Sicherheitskräfte gewaltsam gegen Demonstranten vorgingen, wurden sie von Milizen unterstützt. 500 Menschen haben dabei bisher ihr Leben verloren. Ein Krieg gegen Iran würde unweigerlich auch Einfluss auf den Irak haben und könnte hier zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen.

Auch der Unmut in der Bevölkerung im Iran mit der eigenen Regierung ist schon lange groß. Der durch die Sanktionen bedingte Druck auf die geschwächte iranische Wirtschaft wächst. Seit einiger Zeit kommt es immer wieder zu Protestwellen. Prekäre Arbeitsbedingungen, nicht gezahlte Löhne, Anstieg der Lebensmittelpreise, hohe Jugendarbeitslosigkeit, Korruption und Unterdrückung schüren die Stimmung. Schon im Dezember 2017 kam es zu Streiks und lokalen Protesten, die von der Regierung mit Unterdrückung, Verhaftung von Arbeiterführer*innen und organisierten Demonstrationen zur Unterstützung der Regierung beantwortet wurden.

Diese Proteste setzten sich seitdem in mehreren Wellen fort und fanden im November letztes Jahr einen neuen Höhepunkt, nachdem die Regierung angekündigt hatte, die Benzinpreise zu erhöhen. Das Regime antwortete mit brutaler Härte, schoss mit scharfer Munition und verhängte eine mehrtägige Internetsperre, um Berichte über die Massaker zu verhindern. Mehr als zweihundert Menschen starben nach Angaben von Amnesty International allein im November.

Danach schien es, als würde sich die Protestbewegung wieder zurückziehen und dem Druck des Regimes nachgeben. Doch die außenpolitischen Entwicklungen und der Tod von 179 Zivilisten haben die Menschen wieder aufgerüttelt. Sie machen das Kriegsgeschrei der Mullahs für den Tod der Unschuldigen verantwortlich, und fordern ein Ende des autoritären Regimes.

Die internationale und die innenpolitische Lage ergeben nun im Iran eine explosive Mischung. Das Regime wird vermutlich die außenpolitische Anspannung nutzen wollen, um von den eigenen Problemen abzulenken, die Bevölkerung hinter sich zu einen, und innenpolitisch weitere autoritäre Maßnahmen durch setzen zu können. Ebenso könnten die Spannungen auch im Irak das vorläufige Aus für die Proteste bedeuten.

Es gilt daher nun, alles daran zu setzen, einen weiteren Krieg zu verhindern und das Atomabkommen zu retten. Deutschland darf sich nicht zum Komplizen eines Krieges machen lassen und muss den USA die Nutzung ihrer Militärbasen in Deutschland untersagen. Auch im Interesse der Bevölkerung vor Ort und der progressiven neuen sozialen Bewegungen, die im Iran und im Irak derzeit entstehen, - und die ohne Regimewechsel von außen eine Chance haben müssen - müssen Spannungen abgebaut werden. Denn im Schatten eines Kriegs gehen sie verloren.


Julia Wiedemann ist Referentin im Bereich Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE und arbeitet zum Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten und Türkei.


 

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.