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Fahmi Panimbang

Indonesiens Linke wirken ohne Partei durchaus erfolgreich

Mehr als 20 Jahre nach der Wiederherstellung der Demokratie wird Indonesien nach wie vor von Oligarchen kontrolliert. Die Streitkräfte streben danach ihre Rolle im nicht-militärischen Bereich auszubauen. Sie setzen ihr Personal auf nicht-militärische Posten, unterstützen Landverkäufe, beteiligen sich an Infrastrukturprojekten des Landes und bewachen wichtige Industrieanlagen, um sie vor Protesten der Arbeiter*innen zu schützen. Die Militarisierung und Remilitarisierung Indonesiens vollzieht sich auch unter dem amtierenden zivilen Präsidenten Joko Widodo. Am 17. April 2019 werden in Indonesien der Präsident, sein Vize und ein neues Parlament gewählt. Die Wahl könnte der Rückkehr des Militärs in die indonesische Politik weiteren Vorschub leisten.

Mehr als 20 Jahre nach der Wiederherstellung der Demokratie wird Indonesien nach wie vor von Oligarchen kontrolliert. Die Streitkräfte streben danach ihre Rolle im nicht-militärischen Bereich auszubauen. Sie setzen ihr Personal auf nicht-militärische Posten, unterstützen Landverkäufe, beteiligen sich an Infrastrukturprojekten des Landes und bewachen wichtige Industrieanlagen, um sie vor Protesten der Arbeiter*innen zu schützen. Die Militarisierung und Remilitarisierung Indonesiens vollzieht sich auch unter dem amtierenden zivilen Präsidenten Joko Widodo. Am 17. April 2019 werden in Indonesien der Präsident, sein Vize und ein neues Parlament gewählt. Die Wahl könnte der Rückkehr des Militärs in die indonesische Politik weiteren Vorschub leisten.

 

Es sieht nach einem déja-vu des 2014er Wahlkampfes aus. Im Rennen um die Präsidentschaft ringt Amtsinhaber Joko Widodo erneut gegen seinen Kontrahenten Prabowo Subianto. Damals hatte Joko Widodo, allgemein bekannt als Jokowi, mit einem knappen Vorsprung den Sieg erringen können. Er war ein neues Gesicht auf der politischen Bühne und glaubte, keine Verbindung zu den politischen Sünden der Zeit der Diktatur zu haben. In seinem Wahlkampf hatte er die Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverletzungen versprochen. Das hatte ihm die Unterstützung der meisten Linken eingebracht, vor allem weil sein Kontrahent Prabowo mitverantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen ist.

Doch während seiner fünfjährigen Amtszeit gelang es Jokowi nicht, sein Versprechen einzulösen. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Entwicklung der Wirtschaft durch massive Infrastrukturprojekte, die von Auslandskrediten finanziert werden. Mindestens sechs Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen warten auf die Aufarbeitung: Die Massaker gegen Kommunisteni, der Talangsari-Fall in Zentrallampungii, die Vorfälle in den Dörfern Wamena und Wasioriii, verschiedene Entführungsfälle und unaufgeklärte Erschießungen in den 1980er Jahren, die Ausschreitungen im Mai 1998iv sowie das Verschwinden von Aktivist*innen.

Allerdings scheinen Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit für die „entpolitisierten“ Indonesier*innen im Allgemeinen nicht von besonderem Interesse zu sein. Sie drängen mehr auf eine bessere wirtschaftliche Entwicklung.

Jokowi warb in den ersten zwei Jahren seiner Regierungszeit stark um die politische Unterstützung der Oligarchen. Denn diese, alte Eliten, Militärs und ehemalige Militärs, verfügen in der indonesischen Politik nach wie vor über großen Einfluss. Natürlich gibt es Veränderungen und Kräfteverschiebungen. Aber die indonesische Politik scheint in die Suharto-Ärav zurückgeworfen zu werden, in der die Militärs die Kontrolle über strategische politische Entscheidungen hatten.

Um demokratischen Bemühungen der Gesellschaft zuvor zu kommen, bedienen sich die Militärs muslimischer Hardliner, die die antikommunistische Stimmung aufheizen und rassistische Emotionen und Intoleranz schüren. Eine der führenden Gruppen muslimischer Hardliner, die Front der Islam-Verteidiger (Front Pembela Islam – FPI) wurde im August 1998, einige Monate nach dem Rücktritt Suhartos im Mai 1998, mit der Unterstützung des Armeegenerals Wiranto gegründet. Heute haben Wiranto und einige andere ehemalige Generäle, darunter Luhut Panjaitan, Schlüsselpositionen in der Jokowi-Verwaltung inne.

Auch Jokowis Kontrahent Prabowo ist umgeben von militärischen Gruppierungen, Angehörigen der Suharto-Familie und deren Vertrauten. Kein Wunder, denn Prabowo Subianto ist ein ehemaliger General der indonesischen Armee und der Schwiegersohn des früheren Diktators Suharto.

Ein störendes Thema unter Linken: Wahlen

Sozialisten spielen in dieser politischen Gemengelage eine merkwürdige Rolle. Die meisten Linken sind im Lager Jokowis. Doch einige Linke, ehemalige Aktivist*innen der Studentenbewegungen der 1980er und 1990er Jahre welche die Demokratische Volkspartei (Partai Rakyat Demokratik - PRD) gründeten, sind jetzt auf der Seite Prabowos.

Insbesondere seit den Wahlen in 2004 kam es bei der PRD wiederholt zu Spaltungen. Es entstanden verschiedene politische Organisationen. Innerhalb der Linken wurde viel darüber diskutiert, ob sozialistische Projekte innerhalb oder außerhalb des Wahlsystems durchzuführen seien. In der Tat stehen unterschiedliche Meinungen in dieser Frage im Mittelpunkt des politischen Diskurses der indonesischen Linken. Sie sind sich lediglich einig darüber, dass Reformasivi von den alten politischen Eliten vereinnahmt wurde und sie daher eine Strategie entwickeln müssen, um alle noch vorhandenen politischen und sozialen Räume auszunutzen.

Die Wahlen, die alle fünf Jahre stattfinden, tragen zur Zersplitterung und Spaltung der indonesischen Linken bei, denn einige Linke sind der Ansicht, dass es legitim sei, sich den verschiedenen bestehenden Parteien anzuschließen, um kandidieren zu können. Schließlich müsse die sozialistische Partei erst noch gegründet werden, die dann offiziell an den Wahlen teilnehmen darf. Einige linke Schlüsselfiguren waren bereits für verschiedene politische Parteien im Parlament und in der Regierung. Viele von ihnen sind mittlerweile „konservativ“ oder dienen sogar den Interessen der Oligarchie.

Andere bezeichnen dieses Vorgehen als eine „bourgeoise Wahlfalle“. Dieses Verhalten sei nicht nur sinnlos, sondern sogar schädlich für das sozialistische politische Projekt. Sie wünschen sich, dass das sozialistische Lager bald an den Wahlen teilnimmt da sie bezweifeln, dass Bedeutendes erreicht werden könne innerhalb der konservativen und Oligarchie-dominierten bourgeoisen Parteien.

Die bestehende sozialistische Partei ist unterdessen in mindestens vier wesentliche Kleinstgruppierungen zerfallen und verpasst damit die Chance sich offiziell im Wahlsystem registrieren und aufstellen zu lassen. Das Wahlsystem ist so strukturiert, dass kleine politische Einheiten mit begrenzten Mitteln immer schwerer die Kriterien für eine Teilnahme erfüllen.

Zudem benötigt die indonesische Linke, nach der Jahrzehnte währenden Entpolitisierung der Gesellschaft, einen langen Atem, um wieder ein politisches Bewusstsein in der Gesellschaft zu erwecken. Der Großteil der Bevölkerung ist heute entpolitisiert und unorganisiert. Die Schwäche der indonesischen Linken ist daher nicht nur auf die technischen und administrativen Hürden des Wahlsystems zurückzuführen, sondern auch auf das Fehlen einer wirksamen Basisarbeit und politischer Bildung.

Der linke Einfluss auf die Arbeiter*innenbewegung

Die Zersplitterung der indonesischen Linken hat jedoch zur Folge, dass Linke, die es ablehnen den Prabowo- oder den Jokowi-Kreisen anzugehören, Basisarbeit leisten - und zwar in anderen gesellschaftlichen Organisationen wie Gewerkschaften und anderen.

Linke Gewerkschaften sind noch relativ klein. Die mitgliederstärksten Gewerkschaften sind konservative Gewerkschaften, wie die Konföderation All-indonesischer Arbeitergewerkschaften (Serikat Pekerja Seluruh Indonesia - SPSI), die früher vom Suharto-Regime unterstützt wurde und Privilegien genoss. Die intensive Interaktion und der Wissensaustausch unter linken Gewerkschafter*innen beeinflussten jedoch die Basis einiger konservativer und reformierter Gewerkschaften. Ihre Fähigkeiten zur Organisation direkter Aktionen wurde verbessert, die Mobilisierung und politische Bildung ihrer Mitglieder erhöht.

Die relativ erfolgreiche Mobilisierung der indonesischen Arbeiter*innenbewegung ist teilweise auf die Rolle zurückzuführen, die linke Organisator*innen in der post-autoritären Ära spielten. Die Anerkennung des Internationalen Kampftages der Arbeiter*innen durch die Regierung in 2014 ist eine der sichtbarsten Errungenschaften der Linken. Sie war das Ergebnis beständigen Protests und Druckes, seit Beginn der Reformasi in 1998. 1999 und in den darauffolgenden Jahren nahmen zwar zunächst nur eine Handvoll Menschen an den Veranstaltungen zum 1. Mai teil. Doch mittlerweile gehen überall im Land hunderttausende Arbeiter*innen auf die Straße, um am Tag der Arbeit ihre politischen Forderungen zum Ausdruck zu bringen.

Erfolgreiche Arbeiter*innenbewegung

Mit der Reformasi hob landesweit ein Streikwelle an, die sich zwischen 2011 und 2013 intensivierte. Millionen von Arbeiter*innen beteiligten sich an den Streiks, die die Regierung dazu zwang, den Mindestlohn um durchschnittlich 27 Prozent pro Jahr zu erhöhen und die Gesundheitsversorgung zu verbessern.

Am 3. Oktober 2012 fand ein landesweiter Streik statt, der die verarbeitende Industrie sowie den informellen Sektor betraf. Organisiert von einem Zusammenschluss von Gewerkschaften, nahmen mehr als zwei Millionen Arbeiter*innen teil. In mehr als 35 Städten und Bezirken in 20 Provinzen und 80 Industriegebieten wurde gegen Niedriglöhne, unsichere Arbeitsplätze und befristete Verträge protestiert.

Während des Streiks gelang es Zehntausenden, die Nusantara Bonded Zone in Nordjakarta, zu besetzen. Sie ist die älteste und berüchtigtste Freihandelszone, mit der die Regierung ausländische Investor*innen zu locken hofft, was häufig zu Lasten der Arbeiter*innen geht. Die Besetzung wiederum legte sieben andere Kernindustriegebiete in Bekasi und West-Java lahm, die das Rückgrat der indonesischen Wirtschaft bilden, weil sie 46 Prozent des gesamten Exportes erwirtschaften, der nicht aus Öl- und Gasprodukten besteht. Tausende Arbeiter*innen blockierten zudem mehrere Schnellstraßen. Diese kollektiven Aktionen führten zu einer starken Erhöhung des Mindestlohnes im Jahr 2013 (48 Prozent). Es war der erste Generalstreik seit dem Ende der Diktatur.

Der zweite Generalstreik dauerte zwei Tage, vom 31. Oktober bis 1. November 2013. Bereits eine Woche vorher hatte eine Welle von Streiks verschiedene Industriestädte erschüttert. Ein neues Bündnis, die Nationale Koalition der Arbeiter*innenbewegung, wurde ins Leben gerufen. Mindestens drei Millionen Arbeiter*innen beteiligten sich an den Streiks.

Kapital und Staat schlagen zurück

Die Mobilisierung von Arbeiter*innen im Herz der indonesischen Industrie jagte Unternehmern und Staat Angst ein. Die Erfolge der indonesischen Gewerkschaften führten daher zu starken Gegenreaktionen. Unterstützt durch multinationale Unternehmen wie Samsung festigten Arbeitgeber*innen ihre Macht.

Ab 2014 führte die Zentralregierung ein Zertifizierungssystem ein, mit dem einige Industrieanlagen als „nationale Schlüsselobjekte“ eingestuft und von gewerkschaftlichen Aktivitäten ausgenommen wurden. Der Industrieminister verordnete 49 Industrieunternehmen und 14 Industriegebieten eine zusätzliche Sicherheitsstufe. Diese werden nun von der Direktion der Nationalen Polizei für den Schutz vitaler Objekte und der indonesischen Armee beschützt.

Der Kampf um Mindestlohnerhöhungen wurde zudem 2015 durch eine Neuregelung verunmöglicht. Die jährlichen offenen Verhandlungen wurden dabei durch eine feste Formel ersetzt: Wirtschaftswachstum plus Inflationsrate. Dadurch wurde den organisierten Arbeiter*innen die Möglichkeit genommen, sich auch für andere Verbesserungen wie zum Beispiel der Sicherheit am Arbeitsplatz einzusetzen.

Arbeitgeber*innen und Regierung haben inzwischen ihre Macht mit Hilfe der Rückkehr von Militär und Polizei in die Politik konsolidiert. Den Arbeiter*innen bleibt nichts anderes übrig, als von Grund auf eine neue Gegenkraft aufzubauen. Ihre kollektiven Erfahrungen während der Industriestreiks und dem täglichen Widerstand haben sie gelehrt, dass Graswurzelorganisationen der Arbeiter*innen unerlässlich sind für den Erfolg in politischen Kämpfen. Und zwar nicht nur für Gerechtigkeit und ihre eigenen Rechte, sondern auch für die indonesische Demokratie.

Daher läßt sich sagen, dass Linke in Indonesien, obwohl sie nicht direkt an der Wahl teilnehmen können, durch ihre Arbeit die politischen Verhältnisse indirekt beeinflussen.

i1965 wurden schätzungsweise 2 Millionen Menschen -zumeist ethnische Chinesen- massakriert, in KZs eingesperrt und gefoltert, weil sie als Unterstützer der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) angesehen wurden.

ii 1989 beschlossen die Bewohner des Dorfes Talangsari eine fundamentalistische Auslegung des Islams zu praktizieren. Daraufhin umzingelte die Armee das Dorf und griff an. 47 Bauern wurden getötet, 88 verschwunden, 36 gefoltert, hunderte verhaftet.

iii 2001 und 2003 wurden in Papua Dutzende Menschen getötet und verhaftet. 27 Dörfer wurden zwangsevakuiert.

iv In Mai 1998 starben schätzungsweise tausend Menschen während Proteste gegen Nahrungsmittelknappheit und Massenarbeitslosigkeit. Die Opfer waren zumeist ethnische Chinesen.

vGeneral Haji Mohamed Suharto putschte 1965 gegen den Staatsgründer Ahmed Sukarto und trägt die Verantwortung des Massakers gegen die Kommunisten.

vi Die Periode der demokratischen Reformen nach der Suharto-Diktatur wird im Allgemeinen Reformasi genannt.


Fahmi Panimbang ist Arbeitsforscher im in Indonesien ansässigen Sedane Labour Resource Center.


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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.