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Julia Wiedemann

Beirut - Eindrücke einer alternativen Stadtführung

Bild: Julia Wiedemann

Eine alte Rostlaube, die alles andere als fahrtüchtig aussieht, parkt Stoßstange an Stoßstange hinter einem blankgeputzten SUV. Zwischen modernen Bürohochhäusern mit Glasfassade, in der sich das Blau des Himmels spiegelt, ducken sich schmuddelig graue Ruinen, übersät mit Einschusslöchern aus dem Bürgerkrieg. Was in Beirut zuerst auffällt, sind die Gegensätze: Bauboom, schicke teure Designerläden, hippe Bars, Seite an Seite mit Verwahrlosung, Armut und Trostlosigkeit.

Eine alte Rostlaube, die alles andere als fahrtüchtig aussieht, parkt Stoßstange an Stoßstange hinter einem blankgeputzten SUV. Zwischen modernen Bürohochhäusern mit Glasfassade, in der sich das Blau des Himmels spiegelt, ducken sich schmuddelig graue Ruinen, übersät mit Einschusslöchern aus dem Bürgerkrieg. Was in Beirut zuerst auffällt, sind die Gegensätze: Bauboom, schicke teure Designerläden, hippe Bars, Seite an Seite mit Verwahrlosung, Armut und Trostlosigkeit.

Im Oktober besuchte ich zum ersten Mal den Libanon, ich erkundete Byblos, Anjar und Baalbek und vor allem Beirut. Bei einer alternativen Stadtführung verdichten sich die Eindrücke. Ayya, eine junge Beiruterin, die uns herum führt, lässt immer wieder persönliche Erfahrungen einfließen, und macht die Stadt damit anschaulicher als die bloßen Eindrücke von Straßen und Gebäuden.

Moderne Hochhäuser und Kräne recken sich in den Himmel. Der Bauboom täuscht einen Aufschwung vor, der nicht bei der Bevölkerung ankommt. Die Mietpreise für Wohnungen sind in den vergangenen Jahren rasant gestiegen und nähern sich Berliner Verhältnissen, die Gehälter nicht. Etwa 800 Euro muss eine Familie für eine Dreiraumwohnung am Stadtrand monatlich für die Miete berappen. Im Stadtzentrum liegt die Miete einer Wohnung gleicher Größe sogar über 1.800 Euro. Das durchschnittliche Nettogehalt hingegen liegt bei gerade 900 Euro im Monat. Viele Libanesen, die in Beirut arbeiten oder studieren, leben daher außerhalb der Stadt. Sie müssen pendeln, was bei den Automassen, die sich allmorgendlich in die Stadt quälen, zu vielen Staus und langen Fahrzeiten führt. Ayya musste schon acht mal umziehen, zwischendurch ihr Studium unterbrechen und zu ihren Eltern ziehen, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnte. Jetzt hat sie, wie viele Libanesen, zwei Jobs, um sich über Wasser zu halten.

In einer Nebenstraße besichtigen wir Überreste eines römischen Bades, die auf einem privaten Grundstück stehen. Der mehrgeschossige Neubau enthält mehrere Wohnungen. Die Lobby ist so errichtet worden, dass ein römisches Mosaik erhalten blieb und nun den Fußboden ziert. Ägypter, Phönizier, Griechen, Römer, Ummayyaden - viele Reiche und Herrscher haben in Libanon ihre Spuren hinterlassen. Deren erstaunliche Bauwerke können noch heute bewundert werden wie zum Beispiel die römische Tempelanlage in Baalbek oder die Ruinen von Byblos, wo es seit 3.000 Jahre v.u.Z. städtische Siedlungen gab. Bei Bauarbeiten werden in Beirut regelmäßig archäologische Funde entdeckt. Doch obwohl es Gesetze zu deren Schutz gibt, führen Korruption und mangelnde Kontrollen dazu, dass viele davon über Nacht verschwinden oder von privaten Interessenten gekauft werden, weil sich römische Mauerreste gut im Vorgarten machen.

Ein Ende der Misswirtschaft und Korruption ist nicht abzusehen. Bei den Parlamentswahlen im Mai gewannen die alten und neuen Eliten, die sich im Proporzsystem eingerichtet haben, das ihnen Macht und Einfluss sichert. Ayya berichtet von den Wahlen und dem Wahlgesetz. Sie will ihrer Reisegruppe auch die Gegenwart näher bringen und erklären, warum vieles im Libanon so kompliziert ist. Das Wahlgesetz sieht vor, dass jeder in dem Ort wählt, in dem die Angehörigen väterlicherseits in den 1940er Jahre wohnten. Zehntausende Beiruter pilgern in die Dörfer ihrer Eltern und Großeltern, um ihre Stimmzettel abzugeben. Ayya musste in Richtung Bekaa-Ebene reisen, wo selbst ihre Eltern schon lange nicht mehr wohnen. Eine hohe Wahlbeteiligung ist unter diesen Bedingungen nicht zu erwarten. Doch mit 49,2 Prozent lag sie dieses Mal um fünf Prozent niedriger als bei der letzten Wahl in 2009.

Die Bevölkerung im Libanon ist vielfältig. Es gibt 18 anerkannte Religionsgemeinschaften, darunter sunnitische und schiitische Muslime, und diverse christliche Kirchen. Eine Diversität, die auch im Stadtbild sichtbar wird, mit seinen vielen Kirchen und Moscheen, oft Seite an Seite. Für jede Religionsgemeinschaft gibt es eine feste Anzahl Sitze im Parlament. Bei der letzten Wahl fand ein neues Wahlgesetz Anwendung, das nun das Verhältniswahlrecht festschreibt. Die Kandidaten verschiedener Parteien und Gruppierungen sind dieses Mal auf Listen angetreten. Doch die Zusammensetzung bleibt wegen des Proporzsystems religiös geprägt. Die Hälfte der Sitze in der Nationalversammlung – 64 – stehen offiziell Christen zu, verteilt auf Maroniten, Griechisch-Orthodox, Griechisch-Katholisch, Armenisch und andere. Die andere Hälfte ist reserviert für die Muslime und wird aufgeteilt unter Sunniten, Schiiten und Drusen.

Die Mehrheit der Sitze ging im Mai 2018 an die schiitische Hizbollah und ihren Verbündeten. Die überwiegend christlichen Vertreter der Freien Patriotischen Bewegungen landeten auf Platz zwei. Die sunnitische Zukunftsbewegung von Ministerpräsident Saad Hariri erreichte nur Platz drei. Durch Verhandlungen mit der Hizbollah blieb er trotzdem Ministerpräsident. Eine handlungsfähige Regierung hat er bis heute nicht bilden können.

Wer antreten will, muss angeben, auf welchem dieser an die Konfession gebundenen Plätze er kandidieren will. „Damit haben säkulare Gruppen keine Chance,“ schimpft ein junger Libanese, der wie 17 Millionen andere Libanesen im Ausland lebt. Er ist nur zu Besuch in Beirut und nimmt mit seinem dänischen Freund an der Führung teil. Der Konfessionalismus und die kleinteilige Zuschneidung der Wahlkreise macht es für säkulare Gruppen schwer, Einfluss zu gewinnen. Das Wahlbündnis aus mehreren linken demokratischen Gruppen, darunter auch die Kommunistische Partei Libanons, das zu den Wahlen angetreten war, konnte nicht einen Sitz erringen. Die Enttäuschung wirkt noch immer nach. Man müsse erst sämtliche Politiker austauschen, bevor sich etwas ändert, schimpft der junge Mann weiter. Er wirkt resigniert.

Ayya ergänzt, dass sich viele junge Leute nicht für Politik interessierten. „Der Bürgerkrieg hat uns abgestumpft.“ Von 1975 bis 1990 kämpften Anhänger verschiedener Gruppen gegeneinander in wechselnden Konstellationen. Wer heute dein Freund war, konnte morgen dein Feind sein. „Misch dich bloß nicht ein“ war eine Lehre, die viele Libanesen aus den Kriegsjahren zogen und jetzt an die nächste Generation weitergeben. An vielen Hauswänden sind die Spuren noch heute sichtbar, Einschusslöcher von Granaten und Gewehren. Eine Stadt voller Wunden, die nicht verheilen.

Ich frage nach, wie es so ist, mit der Trennung zwischen den Religionen im Alltag. Ayya bestätigt, dass sich einiges gebessert hat. Früher wäre die Trennung in unterschiedliche Stadtteile viel deutlicher gewesen. Heute ist es normal, als Schiit in einem sunnitischen Viertel aufzuwachsen, oder umgedreht. Zugleich fällt mir auf, dass bei unserem Rundgang durch den christlich geprägten Teil der Stadt nicht eine Frau mit Kopftuch zu sehen ist. Dafür ist mehr als deutlich zu erkennen, in welchen Straßen die Hizbollah das Sagen hat: Fahnen mit dem Logo der Amal-Bewegung, eine mit der Hizbollah verbündete Partei, Plakate mit dem Konterfei von Scheich Nasrallah, die gelben Fahnen der Hizbollah mit dem Gewehr in der ausgestreckten Hand im Logo. Viele tausend Hizbollah-Anhänger kämpfen im syrischen Bürgerkrieg an der Seite Assads. Während die libanesische Regierung unter der Führung Hariris nicht einmal zu Gesprächen bereit ist.

In Beiruts Straßen sind verhältnismäßig wenige Flüchtlinge zu sehen, obwohl mehr als eine Million Menschen in den Libanon geflohen sind. Ayya sagt, die Meisten lebten in Flüchtlingslagern in der grenznahen Region. Viele dürften ihre Lager nicht verlassen.

Doch gibt es auch Hauswände, die einen ganz anderen Eindruck hinterlässt. Etliche Streetart-Künstler toben sich in Beirut aus und verwandeln die Stadt in eine Galerie. Zwischen Moderne, uralten Denkmälern und Kriegsruinen wächst ein kreatives Potential heran, das Hoffnung macht auf eine bessere Zukunft, in der junge Menschen nicht nur den Mut haben, sich an Fassaden auszuprobieren, sondern auch Politik zu gestalten und die Schranken des Proporzsystems und der konfessionellen Lager zu überwinden.

Julia Wiedemann ist Referentin im Bereich Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der Partei DIE LINKE und arbeitet zum Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten und Türkei.

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.