Feminismus in Pakistan
Pakistan? Dabei stellen sich Menschen im Westen nicht selten ein konservatives, islamistisches Land vor, in dem Frauen keine Rechte und Freiheiten besitzen und Stammesgesetze herrschen. Nicht ganz falsch, aber da gibt es noch mehr.
Der Global Gender Gap Report 2018 bescheinigt Pakistan das zweitletzte Land zu sein, in dem Frauen, im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, ungerecht entlohnt werden. IN Südasien ist Pakistan in Bezug auf die Geschlechterungleichheit an letzter Stelle. Hier verdienen Frauen im Durchschnitt ganze 34 Prozent weniger als Männer. Dennoch werden Frauen in Pakistan nicht so benachteiligt, dass man gleich flächendeckend von einer fundamentalistischen und tribalen Gesellschaft sprechen könnte. Seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1947 gab es mehrere soziale Bewegungen die sich für Frauenrechte einsetzten.
So gründete zunächst, unmittelbar nach der Unabhängigkeit des Landes von Indien, Fatima Jinnah, die Schwester des Staatsgründers Muhammad Ali Jinnah, das Frauenhilfskomitee. Dieses kümmerte sich um die Rechte weiblicher Flüchtlinge aus Indien. Aus diesem Komitee entstand bereits 1949 die All Pakistan Women's Association. Diese Organisation, unter Vorsitz der Begum Rána Liaquat, setzte sich für die Beachtung der Frauenrechte vor allem im Rahmen der Konsultationen der ersten pakistanischen Verfassung ein.
Die Meilensteine waren die Verabschiedung des muslimischen Zivilrechtes in 1948, die Aufnahme der Frauencharta in die Verfassung von 1956 und die bahnbrechende muslimische Familienrechtsgesetzgebung von 1962. Das muslimische Zivilrecht gewährte pakistanischen Frauen das Erbrecht, insgesamt stärkte die muslimische Familienrechtsverordnung ihre Rechte, indem sie diese im Hinblick auf Ehe und Scheidung definierte.
Diktator Sia ul-Haq islamisiert die Gesetze
Ein massiver Rückschlag erfolgte unter der Diktatur General Sia ul-Haqs. Unter seiner islamistisch inspirierten Führung wurde selbst die Sharia noch einmal konservativ ausgelegt. Die berüchtigten Hudud-Verordnungen Sia ul-Haqs gelten bis heute als Schandmal auf dem liberal-säkularen Antlitz Pakistans. Es handelt sich dabei um vier Verordnungen zur Islamisierung des Strafrechts in Pakistan, neben den "weltlichen" Gesetzen regeln diese Vergehen wie Diebstahl, Unzucht und Ehebruch. Anstelle der weltlichen Magistrate fällt die Rechtsprechung sogenannten Courts of Session zu die der Scharia-Spruchbank des Obersten Gerichtshofs untersteht.
Feministinnen forderten und fordern selbstredend die Abschaffung der Hudud-Verordnungen, denn sie lassen Frauen schutzlos gegenüber Entrechtung, Ausbeutung und Unterdrückung zurück. Die Verordnungen verwischten bewusst die Tatbestände von Vergewaltigung und Ehebruch. Einer vergewaltigten Frau konnte in Folge wegen Ehebruchs der Prozess gemacht werden, falls sie keine vier männliche Zeugen beibringen konnte, die die die Vergewaltigung bestätigten. Schätzungen zufolge sitzen rund 80 Prozent der inhaftierten Frauen in Pakistan aufgrund von Hudud-Verordnungen im Gefängnis.
Der Kampf gegen dieses Gesetz wurde vom Women Action Forum angeführt, in dem Frauen aus allen Teilen des Landes vertreten waren. Es sollte ein Vierteljahrhundert dauern, bis mit anhaltendem Widerstand die Hudud-Verordnungen durch das Frauenschutzgesetz im Jahr 2006 teilweise gekippt werden konnten. Auf Initiative des damaligen Präsidenten Parvez Musharraf wurde ein Gesetz verabschiedet, welches die frauenfeindlichen Verordnungen lediglich einhegen sollte. Frauenrechtsaktivisten betrachten das resultat zu recht noch immer als höchst unzureichend und fordern daher weiterhin die Abschaffung der Rumpf-Verordnung.
"Aufgeklärte Moderation"
In den letzten zwei Jahrzehnten jedoch diversifizierte sich die Agenda feministischer Gruppen in Pakistan. Themen wie sexuelle Belästigung, häusliche Gewalt, Ehrenmorde, Säureattacken und Zwangsheiraten kamen hinzu und wurden konsequent thematisiert.
Die Erweiterung der Themen und der Anstieg der Zahl feministischer Gruppen in den letzten zwei Jahrzehnten kann der Politik der „aufgeklärten Moderation“ zugeschrieben werden, einem Politikansatz, den der frühere pakistanische Militärdiktator Pervez Musharraf Anfang der 2000er Jahre verfolgte, in dem er für einen aufgeklärten moderaten Islam warb, der nicht in Konfrontation zu Modernisierung, Demokratisierung und Säkularisierung steht. Auch wurden unter seiner Herrschaft private Nachrichtensender eingeführt. Darüber hinaus hat die Wiederaufnahme des demokratischen Prozesses und seine Fortsetzung ohne Unterbrechung durch eine weitere Militärherrschaft seit 2008 auch Raum für fortschrittliche Politik im Land eröffnet. Mehrere feministische Gruppen, wie die Allianz gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, die Aurat-Stiftung oder die Demokratische Frauenvereinigung sind seitdem ein fester Bestandteil der pakistanischen Öffentlichkeit und erheben ihre Stimme für die Rechte der Frauen.
Erfolge der Feministinnen
Feministische Gruppen loben zwei jüngere Entwicklungen als große Erfolge, die werten sie als Meilensteine im Kampf um Gleichberechtigung.
Ein in 2010 im Islamabader Parlament verabschiedetes Gesetz erklärte sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu einer kriminellen Tat. Seitdem reduzierten sich die Fälle sexueller Belästigungen am Arbeitsplatz. Eine Umfrage der pakistanischen Tageszeitung Dawn nach der Einführung des Gesetzes ergab, dass 58,6% Frauen bestätigten, dass an ihrem Arbeitsplatz Beschwerden über Belästigung ernst genommen würden, 52% antworteten, dass sie oder ihre Kollegen Beschwerden einem internen Untersuchungsausschuss herantragen würden, und 57,3% gaben an, dass Frauen unangemessenes Verhalten und Missbrauch an ihrem Arbeitsplatz offen ansprachen. Das zeigt, dass das Gesetz einige Erfolge erzielt hat, da es vor dem Gesetz keine Mechanismen für den Umgang mit Belästigung am Arbeitsplatz gab.
Eine weitere positive Entwicklung war die Änderung des Strafrechtes in Bezug auf Ehrenmorde. Früher konnte der Blutsverwandte eines Ehrenmordopfers dem Täter vergeben, wenn auch dieser ein Blutsverwandter des Opfers war. So konnten Mörder einfach davon kommen und Morde an Frauen innerhalb ihrer Familien bagatellisiert werden. Feministische Gruppen hatten jahrelang eine Gesetzesreform gefordert. Die pakistanische Regierung änderte das Gesetz schließlich 2016, machte den Staat zum Kläger bei Fällen von Ehrenmorden und stellt damit sicher, dass Täter vor Gericht gestellt werden können, ganz unabhängig davon, was Angehörigen des Opfers möchten.
Obwohl es in Pakistan etwa 15 größere und kleine feministische Gruppen gibt, die auf Gleichberechtigung von Männern und Frauen hinarbeiten, gibt es in Pakistan noch viel in dieser Hinsicht zu erkämpfen. In den letzten Jahrzehnten haben feministische Gruppen in Pakistan durch konsequenten Widerstand gegen Konservatismus und Patriarchat Erfolge erzielt. Dennoch bleibt ganz klar, Feministinnen in Pakistan müssen sich weiterhin organisieren und ihre Kräfte bündeln, um den Prozess zu beschleunigen.
Shahzad Ali arbeitet als Praktikant bei der Partei Die Linke im Rahmen des CrossCulture Partnership Programm des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA). In Pakistan arbeitet er für ein Provinz-Parlament.
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