Die Wahlen in Nigeria und die Chancen für einen Wandel
Bei den an diesem Wochenende beginnenden Wahlen in Nigeria steht viel auf dem Spiel. Zunächst geht es um die Präsidentschaft von Afrikas wichtigstem Öl-Exporteur und der größten Volkswirtschaft des Kontinents – am Bruttoinlandsprodukt gemessen belegt es weltweit Platz 25. Den Gewinner*innen ist beträchtlicher Reichtum sicher, denn Nigerias Amtsträger*innen zählen zu den bestbezahlten der Welt – von Korruptionsgeldern aus dem Öl-Geschäft ganz zu schweigen.
In Nigeria haben sich jahrzehte lang Militärdiktaturen mit zivilen Regierungen abgewechselt und die bedeutenden Potenziale dieses «Giganten Afrikas» untergraben. Ein Großteil der 180 Millionen Nigerianer*innen lebt in extremer Armut und hat mit der maroden öffentlichen Infrastruktur zu kämpfen. Die zahlenmäßig große politische und wirtschaftliche Elite hingegen konnte sich mit ihren prächtigen Villen, Privatschulen und Einkaufszentren eine abgeschottete Welt schaffen. Ihre Angehörigen genießen Zugang zu Bildung und medizinischer Behandlung rund um den Globus.
NigeriasGrenzen wurden vor mehr als hundert Jahren willkürlich von der britischen Kolonialmacht gezogen. So gelingt es der Politik seit der Unabhängigkeit kaum, eine stabile nationale Einheit innerhalb der Landesgrenzen zu etablieren. Häufig vertiefen Wahlkämpfe die regionalen und religiösen Spaltungslinien. Der öffentliche Diskurs im Vorfeld der diesjährigen Wahl hat gelegentlich gar das Gespenst des Staatszerfalls heraufbeschworen.
Teile des Landes sind von Konflikten geprägt: Seit 2010 hat der islamistische Aufstand von Boko Haram in weiten Gebieten des Nordostens Dörfer und Städte zerstört, über 20.000 Menschen das Leben gekostet und zu mehr als drei Millionen Vertriebener geführt. Auch die Kämpfe zwischen Viehhirten und Bauern im Zentrum und Süden des Landes haben bereits Tausende Opfer gefordert und zerstörte Dörfer hinterlassen. Die sezessionistische Biafra-Bewegung im Südosten wiederum ist zwar nicht bewaffnet, genießt aber breite Unterstützung.
Jenseits davon hoffen die Nigerianer*innen weiterhin auf eine Regierung, die zumindest eine stabile Stromversorgung bereitstellt – im energiereichen Nigeria bis heute ein Luxusgut. Als Investitionen von mehreren Milliarden Dollar in das staatliche Stromnetz keine spürbaren Verbesserungen brachten, wurde eine Privatisierung als Lösung propagiert. Doch auch das hat die Lage nicht verbessert.
Glaubhaft saubere Wahlen würden zur Legitimität der politischen Führungsschicht beitragen und Maßnahmen der Regierung gegen die sich verschlechternde sozioökonomische Lage ermöglichen. Die Wahlen sind auch ein Prüfstein für die nigerianische Demokratie und die Robustheit noch junger Traditionen und Institutionen ziviler Regierungsführung. In gewissem Sinne ist ihre Durchführung schon an sich ein Erfolg; es sind die sechsten Wahlen seit dem Übergang von der Militärdiktatur zur Demokratie 1999. 2019 verzeichnet Nigeria mit zwei Dekaden seine bislang längste Phase ununterbrochener Demokratie.
Eine kompromittierte Demokratisierung
An den bevorstehenden Wahlen werden erstmals auch nach dem Übergang zur Demokratie 1999 geborene Nigerianer*innen teilnehmen können.Viele junge Wähler*innen haben keine eigenen Erinnerungen an die Ära militärischer Diktatoren, deren Demokratisierungsversprechen zum Scheitern verurteilt waren oder bestenfalls kosmetische Veränderungen bewirkten. Ab den späten 1980er Jahren und vor allem während der 1990er forderte eine dynamische Demokratiebewegung die Militärdiktatoren heraus und erzeugte großen öffentlichen Druck für die Abhaltung von Wahlen.
Sie formulierte klare politische Vorschläge für die Demokratisierung des Landes. Einer der wichtigsten war die Einberufung einer Souveränen Nationalkonferenz (SNC), auf der Vertreter*innen der nigerianischen Völker und politischer Kräfte noch vor der Abhaltung von Wahlen eine offene Diskussion über die Fundamente der nigerianischen Föderation führen und eine neue Verfassung ausarbeiten sollten. Gefolgt von einem Referendum sollte die SNC die Basis für den Aufbau einer neuen Demokratie schaffen.
Doch General Abdulsalami, der nach blutigen Machtkämpfen in den vorangegangenen Jahren an die Macht gekommen war, ließ stattdessen mit Unterstützung der USA und der EU Wahlen auf Grundlage einer Verfassung abhalten, die das Militär entworfen und per Dekret erlassen hatte. Die Wahlen von 1999 konsolidierten das Regime.
Wahlsieger wurde der frühere Militärdiktator General Olusegun Obasanjo, dessen PDP bis 2015 an der Macht blieb. Nach acht Jahren als Präsident stellte Obasanjo die Machtübergabe an Umaru Yar’adua sicher.Als Umaru Yar’adua 2010 einer unheilbaren Krankheit erlag, übernahm sein Vize Goodluck Jonathan die Präsidentschaft. Seit 1999 ist er bis heute der einzige Staatschef ohne historische Verbindungen zu Militärdiktaturen. 2015 verlor er die Wahlen gegen den All Progressive Congress (APC) von General Buhari, der die Unterstützung von Ex-Generälen genoss.
In den Jahren davor war der politische Raum für die Partizipation weiterer Parteien neben den drei vom Militär 1999 zugelassenen geöffnet worden. Zu dem Zeitpunkt hatte das alte Regime seine Macht jedoch bereits stark gefestigt und genügend Reichtum zur Finanzierung einer klientelistischen Politik angehäuft. Wie der Wahlsieg der APC 2015 zeigt, können von der alten Gardeinstituierte neue politische Parteien den Konsens in der Elite verschieben und einen Regierungswechsel vorantreiben, sofern ein kollektives Interesse daran besteht.
Krisen und Konflikte im Übergang zur Demokratie
Während bei den bevorstehenden Wahlen sich die öffentliche Aufmerksamkeit vor allem auf die Präsidentschaftskandidat*innen richtet, bleiben der entscheidende Faktor für den Ausgang nigerianischer Wahlen die Gouverneure der Bundesstaaten. Dem Regierungsapparat unterhalb der Bundesebene stehen rund 50 Prozent der Öleinnahmen zur Verfügung mit dem die Gouverneure in der Vergangenheit häufig auch Schlägertrupps anheuerten.
Rekrutiert werden deren Mitglieder oft bei Jugendorganisationen sowie ethnischen und religiösen Milizen. Bei den Wahlen 2003 und 2007 trugen die Beziehungen von Gouverneuren zu solchen Gruppierungen erheblich zur Eskalation der Gewalt bei, die noch lange nach den Wahlen anhielt. Aus einigen dieser Gruppen gingen später das Movement for the Emancipation of the Niger Delta (MEND) und ähnliche Gruppierungen hervor, die ab 2006 zu Geiselnahmen und Bombenanschlägen auf Ölanlagen übergingen.
Im nordöstlichen Bundesstaat Borno wurden die Führer der islamistischen Gruppe Boko Haram vom Gouverneur angeheuert, um politische Probleme mit Gewalt zu lösen. Nach einem Zerwürfnis mit ihrem Geldgeber entwickelte sich die Gruppierung zu einer der gefährlichsten Terrororganisationen der Welt.
Die Hauptkandidaten
Der amtierende Präsident und ehemaliger Militärdiktator Muhammadu Buhari setzte sich bei den Wahlen 2015 als Kandidat des damals wichtigsten Oppositionsbündnisses APC durch. Geholfen haben ihm dabei ein asketisches Auftreten und sein erwiesener Einsatz gegen die Korruption – ein erfrischender Kontrast zu den sonst unersättlichen Politiker*innen.
Buhari hatte zuvor dreimal erfolglos für das Amt des Präsidenten angetreten. 2015 schließlich finanzierten Teile des mächtigen politischen Establishments inklusive korrupter Überläufer von der PDP seine Kampagne. Diese neuen politischen Allianzen verschlossen ihm jedoch jede Möglichkeit den Kampf gegen die Korruption effektiv zu führen.
Sein größter Makel bleibt indes, dass er zu der Gewalt von Viehhirten aus seiner im Norden beheimateten Ethnie der Fulani weitgehend geschwiegen hat. Viele betrachten die bevorstehende Wahl als ein Referendum über Buharis Umgang mit dem Konflikt.
Der wichtigste Gegenkandidat Atiku Abubakar, ein reicher Unternehmer und ehemals Vizepräsident, ist ebenfalls ein Fulani aus dem Norden. Er präsentiert sich im Wahlkampf als Retter, der den Mangel an Sicherheit und die wirtschaftliche Misere Nigerias beenden will, wird aber als ehemaliger Zollbeamter, der binnen kurzer Zeit steinreich wurde, nur schwer den Verdacht von Korruption und Vetternwirtschaft los.
Abgesehen von den Hauptkandidaten haben Buharis regierende APC und Abubakars PDP viel gemein. Auf einem politischen Terrain, auf dem Macht als ein Spiel gilt und Weltanschauungen wenig zählen, sind viele ihrer führenden Figuren in den vergangenen fünf Jahren von der einen zur anderen Partei gewechselt – Abubakar war bis vor einigen Monaten selbst Mitglied der APC.
Ein Ausblick über die Wahlen 2019 hinaus
Neben Buhari und Abubakar sind im Präsidentschaftswahlkampf auch einige bemerkenswerte Außenseiter angetreten, etwa Omoyele Sowore, Gründer der radikalen Online-Nachrichtenagentur Sahara Reporters, Kingsley Moghalu, früher Vizechef der Zentralbank, und der charismatische Redner Fela Durotoye.
Diese Kandidaten sind angetreten, um das korrupte politische Establishment herauszufordern, und haben bestimmte Wählergruppen mit ihrem auf Sachfragen fokussierten Wahlkampf und der Forderung nach einem Paradigmenwechsel in der Politik begeistert. Für eine aussichtsreiche Kandidatur fehlt es ihnen aber noch an Ressourcen, flächendeckenden Parteistrukturen und Verbindungen.
Dennoch bieten sie eine Vision dessen, wie Politik sein sollte. Junge öffentlich sichtbare Intellektuelle diskutieren bereits über die Wahlen 2023 und hoffen auf die Konsolidierung alternativer politischer Plattformen, die tatsächlich Möglichkeiten einer Veränderung eröffnen könnten.
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