Aufstand für soziale Gerechtigkeit im Iran
Welche Strukturen konkret hinter der Mobilisierung stecken, ist von außen schwer zu beurteilen. Fest steht, dass es eine ganze Reihe von Gründen gibt, gegen das Regime zu demonstrieren, und dass diese Proteste nicht so leicht zu ersticken sein werden.
Die Kundgebungen begannen in der Stadt Maschhad, einem religiösen Zentrum und Hochburg der Konservativen. Sie sollen von Hardlinern, darunter dem 2017 unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Ebrahim Raisi, angestoßen worden sein, um den als Reformer geltenden aktuellen Präsidenten Hassan Rouhani zu schwächen.
Der Konflikt zwischen Konservativen und (vermeintlichen) Reformern in der iranischen Politik besteht schon lange. Rouhani hatte sich zuletzt den Hardlinern angenähert. Doch mit dem Haushaltsplan, den er vor wenigen Wochen vorlegte, zog er erneut ihren Unmut auf sich. Denn der Plan sieht Beschneidungen bei den Privilegien der zahlreichen religiösen Stiftungen und den Unternehmen in den Händen der Revolutionsgarden vor. Diese machen 60 Prozent der iranischen Wirtschaft aus und bilden den materiellen Basis des reaktionären Regimes.
Doch gleichzeitig sind massive Kürzungen bei Sozialhilfeleistungen vorgesehen, von denen Millionen Iraner betroffen sind, die derzeit unter der hohen Arbeitslosigkeit und geschwächten Wirtschaft leiden. Genau deren Unzufriedenheit wollten sich die Konservativen zunutze machen, um gegen Rouhani zu mobilisieren. Doch die Proteste haben sich verselbständigt und richteten sich gegen das gesamte Regime und vor allem gegen die soziale Ungerechtigkeit, für die dieses Regime steht.
Gründe für Unzufriedenheit gibt es reichlich
Mit dem Atomdeal mit den Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland hatten viele Iraner die Hoffnung auf wirtschaftliche Aufschwung verbunden. Doch der Aufschwung war kleiner als erhofft. Bei der Bevölkerung kam nichts davon an. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei über 12 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 30 Prozent. Der Iran mischt sich in den Kriegen in Syrien und im Jemen ein, unterstützt schiitische Gruppen im Ausland wie die Hizbollah im Libanon und schiitische Milizen im Irak. Die Kosten dafür sind immens, allein für die militärische Intervention in Syrien gibt die iranische Regierung Schätzungen zufolge über 6 Milliarden Dollar im Jahr aus. Die Einkommensungleichheit ist unter Rouhani gewachsen, die neoliberale Umstrukturierung der iranischen Wirtschaft intensiviert. Millionen leben unter der Armutsgrenze. Gerade sie sind von den beschlossenen Kürzungen der Sozialhilfe betroffen.
Zugleich sind Korruption, Vetternwirtschaft und Selbstbereicherung allgegenwärtig bis in die höchsten Kreise hinein. Ein Vorfall erhitzt besonders die Gemüter: Nach dem Abschluss des Atomdeals hatten einige Banken mit hohen Zinsen geworben. Viele Mittelstandsfamilien fühlten sich angesprochen. Einige lagerten ihr gesamtes Vermögen ein. Dann gingen diese Banken pleite und die Regierung unternahm kaum etwas zur Entschädigung der Betroffenen.
Andererseits verschärfen gravierende Umweltprobleme die soziale Lage. Durch ungesteuerte Ausbeutung der Grundwasservorräte, vor allem durch die Landwirtschaft, wurde Wasserknappheit zu einem massiven Problem. Der Urmiasee, der größte Binnensee Irans, ist in den letzten Jahrzehnten auf ein Drittel seiner ursprünglichen Größe geschrumpft. Viele Regionen leiden unter so starker Dürre, dass viele Bauern ihre Ländereien aufgeben mussten.
Wegen der ständigen Repression durch die Staatsgewalt ist es schwierig, die seit Jahren vorliegenden Missstände offen zu kritisieren. Die Menschenrechtslage hat sich, trotz gegenteiliger Erwartungen, unter Rouhani nicht verbessert. Noch immer werden Oppositionelle willkürlich verhaftet. Menschen werden hingerichtet oder ausgepeitscht, Frauen diskriminiert.
Politische Auseinandersetzungen unter den führenden Eliten kommen hinzu. Seit Jahren gibt es Spekulationen über den Gesundheitszustand des Revolutionsführers Ayatollah Chamenei, der seit 1989 im Amt ist. Der dadurch ausgelöste Machtkampf um eine mögliche Nachfolge ist längst im Gange. Statt sich um die wirklichen Probleme im Land zu kümmern, spielen die Eliten des Landes Machtspiele und spinnen Intrigen.
Welche Auswirkungen der letzte Aufruhr in der Bevölkerung haben wird, ist schwer vorauszusagen. Fakt ist, dass aus linker Sicht die Berechtigung der sozialen Proteste und die Einhaltung der Menschenrechte im Vordergrund stehen sollten. Demokratisch progressive Kräfte sind auf internationale Solidarität angewiesen.
Gleichzeitig muss jegliche staatliche ausländische Intervention abgewiesen werden. Denn in Syrien waren es ähnliche Ausgangsbedingungen, die schließlich durch fremde Einmischung zu einem brutalen Bürgerkrieg führten.
Julia Wiedemann ist Referentin im Bereich Internationale Politik in der Bundesgeschäftsstelle der DIE LINKE und arbeitet zum Schwerpunkt Naher und Mittlerer Osten und Türkei.
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