Nationales versus EU: Europas Linke zwischen Annäherung und Abgrenzung
Derzeit stagnieren die Linken in den größeren Kernländern der EU oder verlieren an Einfluss. Und offensichtlich trifft diese Entwicklung insbesondere jene Parteien, die jenseits traditioneller Politik und Symbolik stark auf linkspopulistische Elemente ihrer Politik und auf charismatische Führung setzen, so dass sich die Frage nach den Bedingungen des Erfolgs auch dieser neuen Parteienprojekte und darüber hinaus linkspopulistischer Strategen stellt.
2019 − eine neue Situation?
Zu den Meldungen 2014 gehörten u.a.: das Inkrafttreten von Obamas Gesundheitsreform, die Besetzung der Krim, die Wiederwahl des Ungarischen Regierungschefs Victor Orban nun mit Zweidrittelmehrheit, die Wahl Matteo Renzis (PD) zum Ministerpräsidenten Italiens, der Ausbruch von Ebola, der Gaza-Krieg, das Ausrufen des Kalifats in Syrien durch den IS (Islamischer Staat), die Vertreibung der Jesiden, das schottische Referendum, die Enthüllungen von Edward Snowden zum NSA, der Beginn der Pegida-Demonstrationen im Dezember 2014.
Betrachtet man diese Meldungen heute im Jahr 2019, so verweisen sie auf Kontinuitäten und Veränderungen von Entwicklungen, deren Rückwirkungen auf die politischen Landschaften zum Teil erst im Verlaufe der letzten vier Jahre bedeutsam wurden.
Weltweit und auch in Europa haben sich die Kräfteverhältnisse verändert. Mit Trump, Erdogan, Bolsonaro, Kurz, Salvini oder Orban kamen Menschen in das höchste Amt ihrer Länder, die ihrerseits Demokratie geringschätzen oder offen in Frage stellen. Sie betreiben aktiv die Durchsetzung eines autoritären Kapitalismus (vgl. Candeias/Bussemer 2019).
Verantwortung für globale Probleme wie Klimaerwärmung, Naturzerstörung wird von ihnen nicht mehr übernommen. Auf eine Politik des Dialogs folgt eine neue Welle der Militarisierung bis hin zu neuer nuklearer Bewaffnung. Das soziale, politische und kulturelle Auseinanderdriften von Gesellschaften wird in Kauf genommen oder durch weitere soziale Kürzungen mit befördert. Zäune und Mauern sollen helfen gegen weltweite Migration infolge von Krieg, Hunger, Armut und Umweltzerstörung. All dies wird getragen von neuen und alten Konservativen und einer sich etablierenden autoritären und radikalen Rechten, auch in Europa.
Auch die EU hat sich verändert. Die Bearbeitung der Krise 2008/2009 führte zu einem Schub der Europäisierung von Finanz- und Haushaltspolitiken durch Schuldenbremse, Kontrolle der nationalen Haushalte insbesondere der Eurozone und zur Herausbildung neuer europäischer Instrumente, wie Eurogroup (Treffen der Finanzminister der Euro-Staaten) oder Europäisches Semester (Überprüfung der nationalen Haushalts- und Reformentwürfe, bevor diese von den nationalen Parlamenten beschlossen werden). Mit der Politik der Memoranden wurde in Griechenland erstmals erfolgreich eine Methode der radikalen Außerkraftsetzung nationaler Souveränität und der bedingungslosen Unterordnung von Sozialpolitik unter die Haushalts- und Finanzpolitik praktiziert. Seit Jahren bestimmt sozialstaatlicher Rückbau, die Privatisierung öffentlicher und sozialer Infrastrukturen die herrschende Politik. Europaweit werden die Liberalisierung und Deregulierung der Arbeitsmärkte durchgesetzt und dies mehrheitlich von konservativen, sozialdemokratischen oder sozialistischen Parteien. Aber diese Aushöhlung von Demokratien auch hinsichtlich ihres sozialen Gehalts wirkt zugleich auch auf die politischen Systeme und verändert sie national und europäisch.
Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse
Dies zeigte sich bereits bei den Europawahlen im Jahr 2014. Die beiden großen Parteienfamilien: Konservative und Sozialdemokraten/Sozialisten verloren deutlich an Zustimmung infolge der von ihr betriebenen Politik des Sozial- und Demokratieabbaus und der Unfähigkeit auf neue globale Herausforderungen adäquat zu reagieren. Die sich seit 2014 abzeichnende Tendenz verstärkte sich vor allem in den Kernländern der EU bis 2019 bei den nationalen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Nach derzeitigen Umfragen zu den Europawahlen würden Konservative und Sozialdemokraten/Sozialisten je ca. 50 Sitze im Europäischen Parlament auch infolge der Verluste in ihren Ländern verlieren.
Ein Teil der früheren konservativen oder sozialdemokratischen Wählerschaft orientierte sich in den nördlichen Teilen Europas eher rechts, während der Protest gegen europäische Austeritätspolitik im europäischen Süden deutlich nach links ging, vor allem mit Blick auf die Wahlergebnisse der Linken in Spanien, Portugal und natürlich Griechenland. Eine solche vereinfachende Nord-Süd-Teilung gibt es 2019 nicht mehr, schon mit der radikal rechten Regierung in Italien, spätestens aber mit dem Erstarken der politischen Rechten in Spanien zeigt sich, dass sich das Diskursfeld mit dem Konflikt von Unabhängigkeit Kataloniens versus erstarkten eines spanischen Nationalismus verschieben kann (vgl. Candeias 2019). Auf die nachlassende Dynamik und Bindungskraft von Parteien der radikalen Linken soll später differenzierter eingegangen werden.
Wirft man derzeit einen Blick auf die im Europaparlament vertretenen Parteifamilien bzw. Fraktionen, so liegt der Anteil jener Parteien, die theoretisch für ein linkes Lager stehen, gegenwärtig mit Linken, Grünen und Sozialdemokraten/Sozialisten bei ca. 33 %. Dabei liegt der Anteil der Sozialdemokraten/Sozialisten bei Umfragen zu den Europawahlen derzeit unter 20 %, der Anteil der radikalen Linksparteien mit derzeit 6,6% unter ihrem Ergebnis von 2014, der Anteil der Grünen mit 6,8% leicht über ihrem Ergebnis von 2014.
Die Liberalen gewinnen dank der Entscheidung Macrons mit „En March“ sich diesen zuzuordnen, um unter diesem „Dach“ dominierende Kraft zu sein. Ihr Anteil beträgt derzeit 16,3% in den Umfragen.
Die eigentlichen Gewinner der Wahlen auf nationaler Ebene seit 2014 sind die Rechtsparteien. Ihr Anteil wuchs zwischen 2017 und 2018 doppelt so schnell wie jener der Linken. Dieser Anteil umfasst heute, wenn man auf europäischer Ebene die Fraktion der Euroskeptiker und Nationalkonservativen (EKR) mit derzeit 13,33%, die Fraktion der Rechtspopulisten und radikalen Rechten (ENR) mit derzeit 11,35%, die Europaabgeordneten der FIDESZ und die möglichen Abgeordneten der spanischen VOX und weitere Fraktionslose – wie die Vertreter der faschistischen Jobbik zählt, insgesamt 27%.
Rechtspopulistische, nationalkonservative oder zur radikalen Rechten offene Rechtsparteien, die nachfolgend als Rechtsparteien zusammengefasst werden, mit starken nationalistischen oder völkischem Flügel sind stärkste oder zweitstärkste Parteien oder Teil der Regierung in Belgien, Frankreich, Österreich, in den Niederlanden, in Polen, Schweden, Slowenien, Tschechien und Ungarn. Dieser nationalistische Trend wird sich nach den Europawahlen 2019 auf europäischer Ebene noch deutlicher zeigen als bisher.
Die regierende österreichische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) und die in Italien ebenso mitregierende Lega wollen mit der Alternative für Deutschland (AfD), der Partei Die Finnen und der dänischen Volkspartei (DF) künftig eine neue „Europäische Allianz der Menschen und Nationen“ (EAPN) bilden und sich zur stärksten Fraktion im Europaparlament entwickeln. Die EU solle „eine Union des gesunden Menschenverstands“ (Sauerbrey, 2019) werden: gegen offene Grenzen, gegen libertäre Lebensweisen geprägt durch Vielfalt und Diversität, gegen Gendergerechtigkeit und gegen die Eliten wie auch gegen die Demokratie mit dem Ziel grundlegender Veränderung der EU.
In welchem Maße sich die Arbeit des Europäischen Rates infolge des Regierungsreintritts der Lega in Italien und der FPÖ in Österreich verändert, müsste gesondert analysiert werden. Wenn es jedoch tatsächlich trotz der Widersprüche innerhalb der Rechten – etwa der Widerspruch zwischen Freihandel einerseits und einem sich abgrenzenden protektionistischen Nationalismus anderseits (hierzu ausführlicher Klute, 2019) zur Bildung einer gemeinsamen Rechtsfraktion kommen sollte, will diese neue und womöglich stärkste Fraktion im Europaparlament den EU-Kommissionspräsidenten stellen, zumindest aber an die Wahl des Kandidaten der Konservativen an Bedingungen knüpfen. Ziel ist die Ausweitung politischer Macht und die unmittelbare Einflussnahme auf die Agenda der EU. Diese mitzubestimmen im Sinne einer Rechtsverschiebung der Politik nicht nur auf dem Feld der Asyl- und Migrationspolitik soll nun auch auf europäischer Ebene durchgesetzt werden. Gerade hier können sie auf die erfolgreiche Rechtsverschiebung der Flüchtlings- und Migrationspolitik verweisen, auf die durch sie beförderte zentrale mediale Themensetzung dieses Politikfeldes – gerade auch im Vorfeld von Wahlen. Nach Befragung von Eurobarometer vom November 2018 ist EU-weit Einwanderung das zentrale Problem der EU. Allerdings stellt sich dies anders da, wenn nach den dringlichsten Sorgen auf nationaler Ebene gefragt wird. Danach gefragt stehen Arbeitslosigkeit und steigende Preise, Inflation und Erhöhung der Lebenshaltungskosten an erster Stelle vor Einwanderung (Eurobarometer 2018).
Es geht den Rechtsparteien jedoch nicht nur um die Besetzung und Neuausrichtung von Politikfeldern – auch die Institutionen der EU sollen verändert, besser so zurückgebaut werden, so dass sie die vier Freiheiten gewährleisten: Kapital, Waren, Dienstleistungen und Personenverkehr – letzterer mit Beschränkungen in Bezug auf kontrollierte Zugänge zu Arbeitsmärkten und vor allem hinsichtlich der Zugänge zu Sozialleistungen wie z.B. Kindergeld.
Wenn auch die Forderung nach Abschaffung des Europäischen Parlaments der AfD populistisch überhöht sein sollte, so wird die Stoßrichtung klar: direkte Demokratie national statt europäischen Parlamentarismus. Es wird also einerseits um einen Um- bzw. Rückbau der EU selbst gehen, der sich vor allem dort erfolgreich durchsetzen wird, wo demokratische oder regulierend-einschränkende Verfahren dem Durchgreifen freier Wirtschaft entgegensteht und über die Rechtsparteien hinaus konservative Kapitalfraktionen eigene Interessen durchsetzen wollen und wo der Widerstand gesellschaftlich und politisch nicht die Kraft hat gegenzusteuern.
Wie sieht es nun mit den Gegenkräften aus?
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums stehen Linke, Sozialdemokraten/ Sozialisten und Grüne. Ein rechnerisches Bündnis zwischen diesen Parteien käme derzeit lediglich auf ca. 34% – also auf ein gutes Drittel der Sitze im künftigen Europaparlament. Zählt man die nun doch mitwählenden Briten dazu, kämen die Parteien dank der Labour Party auf ca. 40 % der Wählervoten.
Allerdings verbindet dieses rechnerische Bündnis von Grünen, Sozialisten/Sozialdemokraten und Linksparteien bisher kein strategisches Projekt. Unter Martin Schulz als Präsident des Europaparlaments herrschte bis 2017 de facto eine große Koalition im Europaparlament, dominiert von den Deutschen und ihrer auf nationaler Ebene ebenso bestehenden großen Koalition. Diese scheint zwar nach den Verlusten der Sozialdemokraten in Deutschland – sie bewegt sich in Umfragen deutlich unter 20 % – aufgebrochen zu sein. Ob jedoch durch den Druck von Labour und den portugiesischen Sozialisten – derzeit bei 37% in den Umfragen, der sozialdemokratischen Parteien in den skandinavischen Ländern, die in ihren Ländern mit über 20% noch immer stärkste Parteien sind und einem politischen Druck von (radikal) links durch die griechische Syriza und den möglicherweise ca. 50 Abgeordneten der Linksparteien im Europaparlament und durch Teile der Grünen ein Linksruck der Politik der Sozialdemokratie möglich ist, bleibt abzuwarten. Einiges wäre schon möglich, gerade mit Blick auf die sozial-ökologische Frage, auf die Finanzmarkt- und EZB-Politik. Auch der von den europäischen Sozialdemokraten (SPE) vorgeschlagene Pakt für nachhaltige Entwicklung verbunden mit sozialen und ökologischen Zielen, gestützt auf einen Fonds für einen sozial-gerechten Strukturwandel – im Sinne der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung bekäme die Unterstützung von Grünen und Linken.
Dies wird maßgeblich auch vom außerparlamentarisch-begleitenden Druck abhängen, vor allem auf die politisch schwankenden Sozialisten wie die spanische PSOE, derzeit zwar stärkste Partei jedoch ohne Strategie und Projekt.
Bisher ist die progressive Allianz der Sozialdemokraten (S&D) zweitgrößte Fraktion des EU-Parlaments. Sie vereint – wie andere EP-Fraktionen auch – völlig unterschiedliche Parteienprojekte, aber darüber hinaus auch noch Parteien mit divergierenden und zum Teil gegensätzlichen politischen Ausrichtungen. So realisieren die portugiesischen Sozialisten unter dem Druck der von links gestützten Minderheitsregierung eine eher links-sozialdemokratische Politik. Hier wirkt der gesellschaftliche wie politische Druck des Bloco de Esquerda und der Coligação Democrática Unitária (CDU, einer rotgrünen Allianz unter Einschluss der Kommunisten). Einen solchen Druck kann Unidos Podemos auf die spanische PSOE derzeit nicht entfalten. Ähnlich strategielos agieren die österreichischen Sozialdemokraten unter dem sich verschärfenden Druck von rechts. Die schwedischen und dänischen Sozialdemokraten sind noch immer stärkste Kraft in ihren Ländern und im Kampf zur Verteidigung sozial-ökologischer Standards − allerdings mit starker Rechtsorientierung in der Migrations- und Flüchtlingsfrage. Gerade auch die dänischen Sozialdemokraten stehen für Maßnahmen, die zum rechtspopulistischen Instrumentarium gehören wie die Überlegungen zur Abschaffung des Asylrechts.
Die rumänischen Sozialdemokraten wurden aufgrund Ihrer Justizgesetze, die Amtsmissbrauch und Korruption de facto legalisieren sollen, aus der Fraktion der Sozialdemokraten ausgeschlossen. Die französischen, polnischen, niederländischen und tschechischen Sozialdemokraten/Sozialisten kämpfen um ihr politisches Überleben und gegen das Abrutschen in die völlige Bedeutungslosigkeit. Offen ist, ob der Weg der Sozialdemokraten in Deutschland mit Untersetzung der sozialen Frage mit Mindestrente, Mindestlohn, Verlängerung der Arbeitslosenversicherung ausreichen wird, um wieder über die 20%-Marke zu kommen. In den Umfragen zu Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen liegt sie derzeit zwischen 11 und 14%.
Und die Grünen in Europa? Sie sind derzeit stärker als die Linksparteien. Ihre Stärke fußt maßgeblich auf den Erfolgen der Grünen in Deutschland mit 19% vor den Sozialdemokraten und etwas schwächer in Frankreich mit 8% vor der Parti Sozialiste (PS). Darüber hinaus gewinnen die Grünen auch in Belgien, den Niederlanden, Schweden, Finnland und in Litauen. Offen ist, ob sich die in Polen erst 2019 neu gegründete linkslibertäre-Grüne Partei Wiosna (Frühling), die in Umfragen derzeit zwischen 9 und 10% liegt, und die tschechischen Piraten, die derzeit in Umfragen bei 19% liegen, nach den Wahlen der Fraktion der Grünen anschließen werden, oder eher vergleichbar mit der 5-Sterne-Bewegung Italiens zunächst ohne fraktionelle Anbindung bleiben.
Die Entwicklungen der Parteien dieser beiden Parteifamilien: Sozialdemokraten/Sozialisten und Grüne – haben natürlich ihrerseits Einfluss auf die Entwicklung der Linksparteien hinsichtlich ihrer Rolle, Möglichkeit und Fähigkeit gesellschaftliche Mehrheiten für einen Richtungswechsel der Politik zu organisieren, im Kampf gegen eine gesellschaftspolitische Rechtsverschiebung und für ein Europa und eine EU, die sozial, demokratisch, ökologisch und friedlich wird. Das mit dem sich vollziehenden Rechtsruck die Bedingungen nicht einfacher werden, ist klar.
Wie aber sieht es bei den Parteien der radikalen Linken aus?
Zu den Parteien der radikalen Linken werden in der Politikwissenschaft jene gezählt, die sich selbst links von den Sozialdemokraten/Sozialisten verstehen. Aber gerade auch bei den Parteien der radikalen Linken hat sich im Vergleich zu 2014 viel verändert.
2014 konnten die Linksparteien im Vergleich zu 2009 die Zahl ihrer Sitze im Europaparlament halten und dort ausbauen, wo sie zuvor bei den nationalen Parlamentswahlen stark waren wie Syriza in Griechenland mit 26,6%, die AKEL in Zypern mit über 26% – hier allerdings mit deutlichen Verlusten gegenüber den Wahlen zuvor, die Izquierda Unida, (IU) in Spanien mit 10,3% und Podemos mit knapp 8%. In Portugal erreichten der Bloco Esquerda und die linksgrüne Allianz CDU mit insgesamt über 17%. Die Linke steigerte sich in Finnland auf fast 10% und behauptete sich in der Tschechischen Republik auf hohem Niveau. Die französische Front de Gauche (FG) kam auf bemerkenswerte 6,33%. DIE LINKE in Deutschland kam auf 7,4%. Darüber hinaus legte sie zu in Luxemburg (5,76%), Slowenien (5,47%), Italien (4,03%) und Österreich (2,14%).
Im Jahr 2019 gehören folgende Parteien noch immer zu den starken Linksparteien mit deutlich über 20% Zustimmung: Syriza mit ca. 26 – 27% in den Umfragen vom April 2019 und die zypriotische AKEL mit 23 – 25%. Die portugiesischen Linken kommen zusammen mit dem Bloco – derzeit 8% – und der CDU – derzeit 7 – auf insgesamt auf 15%.
Seit dem 2. Halbjahr 2018 vollziehen sich jedoch bei den Linksparteien – vor allem in den Kernländern der EU – Entwicklungen, die nachdenklich stimmen. Spaniens Unid@s Podemos liegt derzeit bei den Umfragen zu den EP-Wahlen bei 11% – damit deutlich niedriger als noch vor einem Jahr. Wobei das Ergebnis der Parlamentswahlen vom April 2019 auch das Ergebnis der Europawahlen beeinflussen wird.
Die Ursachen für diese Entwicklung von Unidos Podemos können hier nicht ausführlich diskutiert werden. Klar ist jedoch, dass die innerlinken Konflikte zur strategischen Ausrichtung der Partei, zum Verhältnis zu den Sozialisten – die sich immer wieder neu stellende Frage der Linken nicht nur in Spanien – und zur Frage des Umgangs mit den Unabhängigkeitsbewegungen vor allem der Katalanen, die Handlungs- und Mobilisierungsfähigkeit der Partei deutlich beeinträchtigten und spätestens mit der Abspaltung prominenter Vertreter der Partei das Bild der inneren Zerrissenheit nach außen sichtbar wurde. Der Politikwissenschaftler Luis Ramiro beschreibt das Dilemma der spanischen Linken wie folgt: „Beide Strategien – Linkspopulismus und Ablehnung jedes Bündnisses mit der IU oder linke Strategie und Bündnis mit der ‚etablierten‘ linksradikalen IU – waren nicht zielführend. Die spanische radikale Linke hatte noch nie ein so hohes Maß an Unterstützung erfahren, aber das war nur ein schwacher Trost angesichts der verfehlten eigenen Ziele von Podemos.“ (Ramiro, 2019)
Auch La France Insoumise (LFI) mit Jean-Luc Melenchon liegt in den Umfragen von 2019 mit ca. 8% deutlich unter dem Wahlergebnis der Parlamentswahlen von 2017 und noch deutlicher unter dem Ergebnis der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen von 2017 mit 19,2%. Die Kommunistische Partei Frankreichs (PCF) stagniert bei ca. 2%. Das Phänomen der Gelbwesten machte sichtbar, dass auch das neue Parteien-Bewegungs-Projekt LFI nur einen Teil der Wählerschaft anspricht und nur zu einem Teil die Prozesse politischer Entfremdung aufbrechen kann.
Das gilt in gewisser Weise auch für Teile der Linken, die mit ihrer Initiative „Aufstehen“ 2018 ebenso eine parteienübergreifende Sammlungsbewegung gründeten, von einem Teil ihrer Protagonisten auch in enger Anlehnung an LFI. Der Rückzug Sahra Wagenknechts im März 2019 nimmt dieser Bewegung jedoch ihr bekanntestes Gesicht. Die LINKE in Deutschland, die 2018 noch stabil zwischen 9 und 10% lag, liegt nunmehr bei den Umfragen zu den Europawahlen zwischen 6 und 8%.
Auch die Sozialistische Partei (SP) in den Niederlanden stagnierte zwischen 2010 bis 2017 bei ca. 9 – 10 %. Sie erreichte bei den Provinzwahlen 2019 lediglich 5,9% – ein Trend, der sich möglicherweise bei den Europawahlen fortsetzt. Und das, obwohl sie sich in den letzten Jahren stark auf soziale Fragen und hier auf konkrete Projekte wie den Umbau der Pflegesysteme und den Umbau der Krankenversicherung konzentrierte. Zugleich führten die Versuche der SP-Führung, frühere Protestwähler durch Aussagen zur Migrations- und Flüchtlingspolitik zurückzugewinnen zu Konflikten mit Teilen der eigenen Parteibasis und sie unterstützenden gesellschaftlichen Organisationen. Aussagen zum Scheitern der multikulturellen Gesellschaft und die Ablehnung von Wirtschaftsmigration als Quelle der Vertreibung einheimischer Arbeitskräfte führten vor allem in den Städten, insbesondere Amsterdam zur Abwanderung vieler früherer Linkswähler zu den Grünen. Eine ähnliche Entwicklung erlebte die belgische Arbeiterpartei PTB, die noch bei Umfragen im Juni 2017 fast ein Viertel der Wähler erreichte (24%), nun aber bei den Umfragen 2019 bei 8% liegt.
D.h. derzeit stagnieren die Linken in den größeren Kernländern der EU oder verlieren an Einfluss. Und offensichtlich trifft diese Entwicklung insbesondere jene Parteien, die jenseits traditioneller Politik und Symbolik stark auf linkspopulistische Elemente ihrer Politik und auf charismatische Führung setzen, so dass sich die Frage nach den Bedingungen des Erfolgs auch dieser neuen Parteienprojekte und darüber hinaus linkspopulistischer Strategen stellt.
Ohne dies hier ausführlich diskutieren zu können, ist offensichtlich, dass populistische Strategien – auf die sich LFI und Podemos bewusst stützen – unter bestimmten Bedingungen oder Konfliktkonstellationen nicht greifen oder ins Leere laufen. Podemos und LFI sind maßgeblich entstanden infolge der Auswirkungen der Austeritätspolitiken ihrer Länder. Podemos entstand im Zuge der Bewegung der Platzbesetzungen; LIF speiste sich als partizipierender Teil der Bewegung Nuit debuit gegen die neuen neoliberalen Arbeitsmarktgesetze und etablierte sich als starke Sammlungsbewegung ab 2017 auch infolge der Implosion der französischen Sozialisten. Beide Parteienprojekte waren vor allem in den Hochzeiten gesellschaftlicher Mobilisierungen gegen die Austeritätspolitik erfolgreich – also in Zeiten, in denen die soziale Agenda die gesellschaftlichen Diskurse dominierte. Mit der Verschiebung dieser Diskurse und der medialen Durchsetzung rechtspopulistischer dominierter Auseinandersetzungen wie zu Migration und Einwanderung verändern sich jedoch die Wirkungsbedingungen der Linken. Das gilt vor allem auch für jene Parteienprojekte, zu deren Stärken die neuen Formen des Politischen, die medial-diskursive Vernetzung der verschiedenen Widerstände und deren Verstärkung und Bündelung über charismatische Ansprachen und Personen gehören. Sie verlieren an Wirkung.
Warum ist dann aber kein weitergehender Strategiewechsel möglich? Diese Frage kann hier nicht ausführlich diskutiert werden. Angemerkt sei hier nur, dass Strategieentwicklung unter den veränderten Bedingungen des Erfolgs der Linken von jenen durchgesetzt werden müsste, die gerade mit der bisherigen Strategie erfolgreich waren. Deshalb bedarf politische Führung neben der Fähigkeit, langfristige Wirkungen politischer Entwicklungen vorausdenken zu können, neben dem politischen Instinkt für den Moment beginnender politischer Umbrüche auch das kritisch-reflektierende Korrektive als genuiner Teil politsicher Führung. Unter den Bedingungen charismatischer Führung werden diese Korrektive jedoch eher verdrängt.
Die Linksparteien der skandinavischen Linken: So erklärte der Vorsitzende der schwedischen Linkspartei im Februar 2019, dass sie sich die Partei nicht dafür einsetzen wird, dass Schweden die EU verlässt. Damit vollzieht gerade jene Linkspartei, die traditionell für einen EU-Austritt warb einen radikalen Strategiewechsel. (Tügel, 2019) Die dänische rotgrüne Einheitsliste tritt erstmalig nicht mehr als Teil der Bewegung gegen die EU an, allerdings auch, um ihr linkes Profil stärker herausarbeiten zu können – vor dem Hintergrund der Parlamentswahlen im Juni 2019. Sie liegt in Umfragen derzeit zwischen 8 und 10% − ein Ergebnis, das sie selbst auf ihre sozial-ökologische Agenda und ihre klare Haltung in der Flüchtlings- und Migrationsfrage zurückführen.
Auch in jenen EU-Ländern, in denen die politische Linke bisher eher schwach war, sind Suchbewegungen mit unterschiedlichem Erfolg zu sehen. De Lenk in Luxemburg gelang bei den letzten Wahlen der Sprung über die 5%-Hürde. Nicht so erfolgreich sind noch immer die Versuche der österreichischen Linken trotz aller Bemühungen der KPÖ+ sich politisch-gesellschaftlich zu verankern. Der Versuch der italienischen Linken, analog wie 2014 mit Alexis Tsipras eine erneuerte gemeinsame Liste aufzustellen gelang nur mühselig. 2019 sollte sie vom populären Bürgermeister Neapels, Luigi di Magistris angeführt werden. Dies scheiterte – nun fehlt ein landesweit bekanntes Gesicht.
Veränderungen zeigen sich auch bei den Linken in den mittelosteuropäischen Ländern. 30 Jahre nach dem Zusammenbruch des Staatsozialismus wachsen neue und politisch anders geprägte Generationen heran, die sehr unterschiedlich mit dem Kommunistischen/ sozialistischen Erbe umgehen. Während sich die slowenische Levica klar links positioniert und der rote Stern auf ihre Verortung verweist, nutzt RAZEM neue Symbole wie die einander gereichten Hände und die Piraten mit deren legendäre Flagge.
Vor allem RAZEM versuchte – ähnlich wie PODEMOS – sich nicht auf der klassischen Links-Rechts-Achse zu verorten und experimentiert mit dem neuen Instrumentarium basisdemokratisch gestützter Politikformen und erreichen damit vor allem das junge akademisch geprägte Milieu. Sie liegen jedoch in den Umfragen derzeit nur zwischen 1 – 3%. Anders das slowenische Linksparteienbündnis Levica, das seit den letzten Wahlen mit 9,3% ins Parlament einzog und nun die Möglichkeit sieht, auch ins EU-Parlament einzuziehen. Sie liegen in den Umfragen derzeit bei 10%. Die tschechischen Piraten liegen bei 19% in den Umfragen und erreichen offenbar nicht mehr nur die jüngeren Generationen, aber gerade diese können Sozialdemokraten und Kommunisten kaum noch an sich binden.
Es gibt bis heute keine gesellschaftlich und parlamentarisch verankerten Linksparteien – also links von der Sozialdemokratie – in Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei. Gerade in diesen Ländern wirkt nicht nur das Erbe des Zusammenbruchs des Staatssozialismus nach, sondern mehr noch die Erfahrungen in den Jahren der Transition nach 1990: Teile der früheren kommunistischen Eliten wurden zu den neuen Eliten und bestimmenden Akteuren der kapitalistischen Transformation. Der untergegangene Sozialismus hatte lange vorher seine Anziehungskraft verloren, so dass es zunächst kaum einen Bedarf an neue gesellschaftliche Alternativen gab. Dort wo sich an den Rändern der Gesellschaft neue Organisierungen bildeten, die an der Notwendigkeit gesellschaftlicher Alternativen zum Kapitalismus festhielten, blieben sie kraftlos.
Es gibt auch keine relevanten Linksparteien in Ländern, in denen das Mehrheitswahlrecht bis heute das Zweiparteiensystem prägt, wie in Malta oder Großbritannien. In Großbritannien unterstützt die radikale Linke derzeit Momentum, jene Bewegung, die die Labour Party gesellschaftlich und politisch unterstützt und von links unter Druck setzt.
Dennoch sollte gerade in den Ländern mit einer schwachen radikal politischen Linken der Blick auf die gesellschaftlichen Proteste gerichtet werden. Denn diese könnten für künftige Linksprojekte in diesen Ländern die neue gesellschaftliche Basis bilden. Dazu gehören soziale Bewegungen wie in Ungarn gegen das „Sklavengesetz“, in Rumänien gegen die Korruption, in Polen gegen Abtreibung und Justizreform, in Österreich gegen den 12-Stunden-Tag bzw. die Donnerstag-Demonstrationen. Darüber hinaus ist es wichtig auch jene Projekte zu begleiten, die sich vor allem in Großstädten neuformieren als „Solidarity cities“ oder „Zagreb is Ours“ in Kroatien. Wobei sich hier die Frage stellt, wie eine über die Städte und urbanen Milieus hinausgehende gesellschaftliche Verankerung möglich ist. Eine andere Frage ist – welche Rolle die Städte bzw. großen Metropolen weltweit in den Kämpfen um Emanzipation spielen können (vgl. Christoph/Kron 2019).
Zur Zersplitterung der Linken in Europa
Auf die Beschreibung der Diversität der Linken im Verlaufe der Geschichte soll hier nicht weiter eingegangen werden (vgl. Hildebrandt 2010). Sie reproduziert sich jedoch immer wieder neu entlang alter und neuer Fragen, wie denen des Selbstverständnisses, der Organisationsweise, ihrer strategischen Ausrichtung, ihrem Verhältnis zu anderen Parteien – insbesondere der Sozialdemokratie, in ihrer Haltung zu Europa und später Europäischen Union.
Und obwohl der Wert Solidarität zu den linken Grundwerten gehört, bedeutet dies nicht, dass Linke automatisch aus sich selbst heraus, selbst da, wo es inhaltlich möglich wäre, komplementär solidarisches Handeln produziert.
Auch Linksparteien bleiben Akteure im Kampf um politische Macht, allerdings werden diese Kämpfe unterschiedlich geführt. In Portugal agieren der Bloco und die linksgrüne Allianz CDU sich gegenseitig akzeptierend neben, oder in Absprache miteinander. Sie stehen wie in Griechenland die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und Syriza oder in Frankreich LFI und PCF in Konkurrenz zueinander, oder aber finden Wege der Kooperation und organisatorischen Neuformierung wie in Spanien Unidos Podemos.
Die Fragmentierung der Linken auf europäischer Ebene ist nicht neu, es gab sie immer. Nach der Europawahl von 1989 bildeten sich zwei Linksfraktionen: eine eher eurokommunistisch ausgerichtete Fraktion: die Vereinigte Europäische Linke (VEL) und eine eher klassisch-kommunistische Fraktion: die Koalition der Linken (KdL). In den nachfolgenden Perioden fanden sich jedoch die Linksparteien in einer Fraktion zusammen, auch um auf diese Weise die Erweiterung ihrer Ressourcen und Rechte abzusichern.
Insofern ist der europäische Antritt von unterschiedlichen linken Projekten bei den Europawahlen 2019 zwar nicht völlig neu, allerdings verweist dies unter den Bedingungen einer seit 15 Jahren existierenden Europäischen Linkspartei (EL) auch auf deren Schwäche und nachlassende Ausstrahlungskraft. Es stehen sich also nun im Europawahljahr 2019 auf europäischer Ebene drei Linksprojekte gegenüber: Maintenant le Peuple (MLP, Jetzt das Volk) mit Jean-Luc Mélenchon, DiEM25 mit Yanis Varoufakis und die Europäische Linke mit Gregor Gysi – drei Plattformen mit starken Persönlichkeiten an ihrer Spitze, die auf unterschiedliche Weise auf europäischer Ebene zwischen Abgrenzung und Kooperation agieren. Die EL ist jedoch im Unterschied zu DiEM25 und MLP – soweit man das sagen kann – eine klassische europäische Partei, d.h. eine Partei von Parteien.
Betrachtet man die inhaltlichen Angebote von DiEM25, MLP und EL so unterscheiden sie sich weniger in ihrer Analyse des kapitalistischen Systems und ihrer grundsätzlichen Bewertung der EU als neoliberales und undemokratisches Projekt als vielmehr hinsichtlich der Konsequenzen ihrer Kritik in Bezug auf die Möglichkeit von grundlegenden Veränderungen national, europäisch und/oder international. Unterschiedliche Einschätzungen gibt es hinsichtlich der eigenen Stärke, der Einschätzung der Kräfteverhältnisse bis hin zur Einschätzung politischer Allianzen über die Linke hinaus mit Sozialdemokraten/Sozialisten und Grünen – eine immer wiederkehrende Frage der Linken.
»Maintenant le Peuple« (MLP, Jetzt das Volk) mit La France insoumise mit Jean-Luc Mélenchon
Am 12. April 2018 formierte sich mit der Erklärung von Lissabon ein zwischen verschiedenen Linksparteien in Europa und der französischen Bewegung La France insoumise (LFI) unter Mélenchon ein neues europäisches Wahlbündnis. In der Erklärung setzen sich die unterzeichnenden Parteien mit der Austeritätspolitik der EU auseinander und appellieren an die Linken in Europa, sich an der Aufgabe zu beteiligen, eine internationale populäre und demokratische Bewegung aufzubauen, die die Rechte und Souveränität der Völker verteidigt gegen eine Ordnung, die in die Katastrophe führe. Diese Erklärung wurde unterschrieben von Caterina Martins (Bloco de Esquerda), Jean-Luc Mélenchon (LFI) und Pablo Iglesias (Podemos).
Unterstützt wurde sie auch von der finnischen Linksallianz, der schwedischen Linkspartei und der dänischen rotgrünen Einheitsliste. Allerdings erklärten die skandinavischen Parteien nach einem Treffen der Parteivorsitzenden der GUE/NLG am 5. November 2018 in Brüssel, dass sie auch nach den Wahlen 2019 an einer erneuten GUE/NGL festhalten wollen, d.h. nicht für eine eigenständige Fraktion zur Verfügung stehen. Damit wird MLP aus eigener Kraft keine linke Fraktion im Europaparlament bilden können.
Dennoch sei angemerkt, dass mit Ausnahme der französischen Sammlungsbewegung die anderen unterstützenden Parteien zugleich auch Mitgliedsparteien der Europäischen Linkspartei (EL) sind. Die französische Parti de Gauche unter Mélenchon hatte nach einem erfolglosen Ausschlussantrag von Syriza aus der EL die Konsequenz gezogen, die EL zu verlassen, um eigenständig zu den Europawahlen anzutreten, weil – so eine Erklärung vom 2. Juli 2018 ‒ die Europäische Linkspartei sich „in der griechischen Frage und der Austeritätspolitik von Syriza in völlige Konfusion verstrickt“ habe. „Die Sozialkürzungen der griechischen Regierung, geführt von SYRIZA, seien nicht mehr hinnehmbar. Ja, die Tsipras-Partei hat Renten gekürzt, ins Streikrecht eingegriffen, Staatseigentum verkauft.“ (Hübner, 2018) Damit stellt sich die Bildung dieses Projektes gegen Syriza und zugleich gegen die EL.
Grundlage für diesen Schritt war der Beschluss der 4. Parteitag der Parti de Gauche vom 1.7.2018. Darin heißt es u.a.: „Bis zu dem Punkt, an dem das Streikrecht angegriffen, die Renten drastisch gekürzt, ganze Wirtschaftssektoren privatisiert wurden – alles Maßnahmen, gegen die unsere Parteien in jedem unserer Länder kämpfen. Jegliche Ambivalenz gegenüber dieser Politik, jegliche Umsetzung dieser Politik von einer Mitgliedspartei der EL missachtet die Anti-Austeritätspositionen der anderen Mitgliedsparteien.“ (Sattler, 2018)
Programmatische Klammer des Projektes ist die Betonung von nationaler Souveränität zur Bewahrung oder Wiedergewinnung sozialer Errungenschaften als Gegenmodell zu einer wirtschaftsliberalen Integration im Rahmen der EU. Folgerichtig heißt es in einer weiteren Erklärung des Bündnisses vom 27. Juni 2018 u.a.: „Wir stellen uns gegen die Gründungsverträge der Europäischen Union, weil sie die Rechte und Interessen der Unternehmer vor die Rechte und Interessen der Völker und des Planeten setzen.“ (Meyer, 2019)
Zu DiEM25 ist das Projekt von Varoufakis, der frühere griechische Finanzminister in der Syriza-Regierung. Sie tritt zu den Europawahlen unter dem Titel „European Spring“ an und stützt sich auf Dependancen u.a. in Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Portugal und Großbritannien. Sie arbeitet darüber hinaus mit kleinen Parteien wie Génération.s – einer Abspaltung von Benoit Hamon von den Sozialisten in Frankreich – zusammen, in Polen mit RAZEM, in Tschechien mit den Piraten. In Deutschland tritt die Bewegung als Wahlflügel von DiEM25 unter dem Titel „Demokratie in Bewegung“ an und hier mit ihrem Spitzenkandidaten Yanis Varoufakis, der so direkt „in der Höhle des Löwen“ Wahlkampf machen möchte und nur 0,5% der Wähler in Deutschland erreichen muss, um in das Europaparlament einzuziehen. Eine Sperrklausel wird es in Deutschland bei diesen Wahlen noch nicht geben. Aber angesichts der Schwäche der beteiligten Partner nach derzeitigen Umfragen, kann auch DIEM25 derzeit keine eigenständige Linksfraktion bilden.
Die Europäische Linkspartei (EL) wird bei diesen Wahlen mit zwei Spitzenkandidaten antreten: mit Violeta Tomič, Künstlerin und gewählte Abgeordnete von Levica im slowenischen Parlament, und dem belgischen Gewerkschafter Nico Cué. Beide können jedoch nicht die gleiche symbolische Kraft entfalten, wie 2014 Alexis Tsipras, der an der Spitze der EL den Kampf der europäischen Linken gegen die Austeritätspolitik anführte. Tsipras stand angesichts der Möglichkeit, als stärkste Partei eine erste Linksregierung in Europa zu bilden, für einen europäischen Kampf gegen die nationalen und europäischen Eliten.
Was dies unter dem Druck der Politik der Memoranden bedeutete, die weder von den Linken in Deutschland noch in Frankreich, Italien oder anderen Ländern noch von einer breiten europäischen Bewegung gegen Austerität, Sozial- und Demokratieabbau verhindert werden konnte, wurde erst mit dem Coup 2015 klar – die Unterwerfung der gesamten Regierungspolitik von Syriza unter Kontrolle und Diktat von Euro-Gruppe (die Runde der Finanzminister der Euro-Länder), EU-Kommission und IWF. Der Vorwurf, dass Syriza unter diesem Diktat keine linkssozialistische Politik umsetzt, ging an den realen Kräfteverhältnissen vorbei; die Vertreter des Finanz- und Wirtschaftskapitals der wirtschaftlich stärksten Länder der EU hebelten so auf neue Weise staatliche Souveränität aus. Die Solidarität der europäischen Linken verblieb letztlich hilflos. Es gelang nicht die Herausforderungen linker Regierungspolitik kritisch-solidarisch zu begleiten und hierfür neue Formen praktischer Solidarität und Kooperation zu entwickeln.
Diese Schwäche zeigt sich jedoch nicht nur im Umgang mit Syriza. Nach den Europawahlen 2014 gelang es nicht, die Forderungen des „Politischen Dokuments“ der EL in ein Arbeitsprogramm zu überführen und dafür nationale und europäische Ressourcen ausreichend bereitzustellen. Die EL – angewiesen auf die Ressourcen ihrer Mitgliedsparteien – blieb organisatorisch und strategisch hinter ihren selbstformulierten Anspruch zurück: eine Allianz für einen radikalen Politikwechsel durch die Entwicklung von konkreten Alternativen für die notwendige Transformation zu bilden (EL, 2018). Es gelang bisher nicht, ein alternatives Wirtschaftsmodell und eine soziale europäische Agenda zu entwickeln und mit dieser diskurspolitisch in die Offensive zu kommen. Die EL beschloss deshalb auf ihrem Berliner Parteitag 2016 die Organisierung von öffentlichen Foren. Aber auch diese konnten bislang keine öffentliche Wirkung entfalten.
Dass sich angesichts dieser Schwäche der EL alternative Projekte auf europäischer Ebene bilden würden, war eine Frage der Zeit und der Gelegenheiten. Aber alle drei Projekte der radikalen Linken: DIEM25, Maintenant Le Peuple und die EL erscheinen einen Monat vor den Europawahlen eher kraftlos, kaum mobilisierungsfähig.
Der Protestzyklus gegen die Austeritätspolitik auf nationaler und europäischer Ebene scheint derzeit erschöpft. Wie schnell jedoch neue Proteste entstehen können, die sich an keine – also auch keine linke Partei binden möchte – zeigen die Proteste der Gelbwesten in Frankreich. Während diese sich in bewusster Abkehr von politischen Akteuren verorten, richten andere, ebenso neu entstandene oder sich auf neue Weise formierende Bewegungen wie die Klimaproteste bis hin zu Fridays for Future oder die sich seit 2016 weltweit und in Europa formierenden feministischen Bewegungen – weit über das Spektrum des klassischen Feminismus hinaus – ihre Forderungen bewusst an die politisch Verantwortlichen.
Warum also schwierige Zeiten für linke Mobilisierungen
Mit der Migrationsbewegung von 2015 infolge von Kriegen, Armut, Not und Klimaveränderungen erreichen die Auswirkungen ungelöster globaler Probleme auf neue Weise direkt die europäischen Gesellschaften. Die politische Rechte antwortet auf diese neuen Herausforderungen mit Nationalismus, Rassismus, Fremdenhass und einer national ausgerichteten Sozialpolitik. Mit ihren suggerierten Versprechen schneller Lösungen durch Abschiebung und Abschottung und der Wiederherstellung alter Zustände ohne Angst und Unsicherheit, dem Versprechen direkter Partizipation und Mitbestimmung anstelle der Bürokratie europäischer Eliten, erscheinen sie erfolgreicher als derzeit die Linken. Wobei auch sie das Brexit-Chaos zu einer Relativierung ihres Anti-EU-Kurses zwingt. Nicht mehr: „Raus der EU“ ist die Devise, sondern deren grundsätzliche Veränderung.
Grundsätzliche Veränderungen der Verträge fordern auch die Linken – unabhängig davon, zu welchen Europäischen Projekten sie sich zurechnen. Allerdings fällt es den europäischen Linken schwerer, ihr Verhältnis von nationaler und europäischer Politik so zu bestimmen, dass sie auch europäisch mobilisierungsfähig ist, zumal ihre alternativen Projekte, entstanden aus gemeinsamen Diskussionen und Arbeitsprozessen, bisher nur vereinzelt entwickelt wurden.
In der Erklärung „Reclaim the Manifesto of Ventontene. What future for the EU?“ finden sich bemerkenswerte Überlegungen, die es lohnt aufzugreifen. Dass Erfolge und europaweite Mobilisierungen möglich sind, zeigten die Kämpfe gegen TTIP.
Selbst der paneuropäische Kampf von DiEM25 mit europäisch besetzten Listen, kommt über symbolische Aktionen kaum hinaus und ergreift keine Massen. La France Insoumise – die zentrale Kraft von Maintenant Le Peuple wurde von den überraschend erfolgreichen Gelbwestenprotesten in deren Schatten gedrückt und schafft es über Erklärungen hinaus nicht, europäisch wirksam zu werden. Für die EL stellt sich – angesichts der beiden konkurrierenden Projekte, die stark auf direkte Partizipation setzen ‒ die Frage, ob der Charakter der EL als Dachorganisation, also als Partei der Parteien langfristig erfolgreich sein kann. Die theoretisch mögliche individuelle Mitgliedschaft wurde kaum entwickelt. Die beiden öffentlichen Foren wie in Marseille 2017 und Bilbao 2018 – fokussiert auf Parteien und Gewerkschaften – konnten angesichts der Schwäche der meisten Linksparteien in Europa kaum mobilisierende Wirkung entfalten.
Die Wahlplattform der EL spielt in den Wahlkämpfen kaum eine Rolle. Wie auch schon 2014 führen die meisten Länder zu den Europawahlen nationale Wahlkämpfe (Hildebrandt 2017). Das ist angesichts der Kommunal-, Regional- und nationalen Wahlen vor oder nach den Europawahlen 2019 oder am Tag der Europawahlen selbst wenig verwunderlich. Im März 2019 fanden Parlamentswahlen in Estland, der Slowakei und in den Niederlanden Provinzwahlen statt. Es folgten am 11. April 2019 die Parlamentswahlen in Finnland und am 28.4.2019 die Parlamentswahlen in Spanien. Am 12. Mai sind Präsidentschaftswahlen in Litauen und am Tag der Europawahlen finden zeitgleich Kommunal- und Regionalwahlen in Spanien, in Deutschland in zehn Bundesländern und Parlamentswahlen in Belgien statt. Spätestens am 17. Juni folgen die Parlamentswahlen in Dänemark und im Oktober finden die Parlamentswahlen in Griechenland und Portugal statt. D.h. die nationale Ausrichtung der Europawahlkämpfe der Linksparteien ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Es bleibt jedoch die Lücke eines gemeinsamen europäischen Projektes. 2014 stand für ein solches Projekt symbolisch Alexis Tsipras mit der Möglichkeit einer ersten Linksregierung in der EU gegen das neoliberale Europa. 2019 fehlt ein solches zusammenführendes Projekt der Linken in Europa.
Zugleich relativiert die nationale Ausrichtung das Gewicht der Konkurrenz der europäisch agierenden Projekte: Maintenant Le Peuple, DiEM25 und Europäische Linkspartei. Deren maßgebliche Akteure wissen sehr wohl, dass ihr Projekt allein keine eigenständige Linksfraktion im Europaparlament bilden kann. Was aber ist angesichts dieser Realitäten möglich?
Zur inhaltlichen Ausrichtung von Maintenant de Peuple, DiEM25 und EL
Trotz aller bisherigen Einschränkungen lohnt ein Blick auf die inhaltliche Basis der drei linken Projekte. Deshalb nachfolgend ein vergleichender Blick auf ihre programmatischen Dokumente.
Zur Lissaboner Erklärung von MLP
Ziel der Unterzeichnenden ist der erwähnte Aufbau einer internationalen, populären und demokratischen Bewegung zur Verteidigung der Rechte und Souveränität der Völker. Denn keines der grundsätzlichen Probleme, die 2008/2009 zum Ausbruch der Krise führten, wurde gelöst. Im Gegenteil, der Zustand der Gesellschaften verschlechterte sich, eine nächste Krise wird nicht ausgeschlossen. Ziel der Unterzeichner ist deshalb der Kampf für eine gerechte, lebensfähige und nachhaltige Gesellschaft. Zu den zentralen Forderungen gehört grundsätzlich die Wiederherstellung der Souveränität der Völker, insbesondere die Souveränität ihrer Haushaltspolitik, die Verteidigung der Demokratie und ihre Ausweitung bis hin zur Wirtschaftsdemokratie, der Kampf für Feminismus und Ökologie.
Aufgrund der Tatsache, dass La France Insoumise in dieser Allianz eine zentrale Rolle spielt, ist zusätzlich ein Blick in das nationale Europawahlprogramm von LFI sinnvoll. Auch darin wird die Souveränität der Völker zentral gesetzt und mit einem Plan A verbunden, der unter der Bedingung, dass die Verträge nicht zu ändern sind, die Möglichkeit eines kollektiven Austritts der Länder aus der EU vorsieht. Nach diesem Plan können nationale Parlamente auch als Vetomacht agieren, z.B. in Form eines „parlamentarischen Monats“ der die Möglichkeit einräumt, dass nationale Parlamente europäische Texte abstimmen. Der darin verankerte Plan B beinhaltet den Austritt eines Landes aus der EU oder aber auch die Möglichkeit des Ungehorsams auf einzelnen Themenfeldern, z.B. eine Blockade des Beitrags Frankeichs zum EU-Haushalt. Dies könnte zu einem interessanten Instrument selektiver Verweigerung entwickelt werden (wobei dieses Mittel dann auch anderen Parteien in anderen Fragen dienen könnte).
Daneben finden sich im Europawahlprogramm von LFI eine Reihe von Themen, die zu einem Teil national bzw. im Alleingang nicht gelöst werden können, wie insbesondere die darin durchgearbeitete ökologische Agenda. Dieses „grüne Band“ durchzieht das Programm mit interessanten Vorschlägen und Forderungen. Dazu gehört u.a. ein europäischer Plan für einen abgestimmten Ausstieg aus Kohle und Kernenergie in der EU, um bis 2050 zu 100 % auf erneuerbare Energien umzustellen. Hierzu sollen – statt diese Übergänge zu privatisieren – EU-Energiewendefonds eingerichtet werden, eine europäische Umweltplanung und ein europäischer Meeresplan entwickelt, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU neu ausgerichtet und ein schrittweiser Aufbau eines „0-Abfall“-Europa durch Reduzierung der Abfallmenge durchgesetzt werden. Sie fordern eine Carbon-Steuer und das Verbot von Glyphosat. Gerade auf dem Feld der Klima- und Umweltpolitik könnten sich angesichts der Akzeptanz notwendiger Veränderungen Möglichkeiten der „Kooperation der Willigen“ bieten.
Hinsichtlich der sozialen Frage fordert LFI die Beendigung des Lohn-Dumpings und Durchsetzung der sozialen Harmonisierung von oben nach unten durch eine Nicht-Regressionsklausel für soziale Rechte, einen europäischen Mindestlohn in Höhe von 75 % des Medianlohns des jeweiligen Landes. Gefordert wird die Ausweitung des günstigsten Gewerkschaftsrechts auf alle Tochtergesellschaften derselben Gruppe, die in verschiedenen europäischen Ländern vertreten sind und in Bezug auf die Migrationsfrage – die Reform von Dublin und die Schaffung eines europäischen zivilen Rettungs- und Rettungsdienstes auf See.
DiEM25 verbindet das Europawahlprogramm mit einer konsequenten Demokratisierung der Europäischen Union. Ziel von DiEM25 ist es, Europa bis 2025 zu einer vollentwickelten Demokratie. In den nächsten zwei Jahren soll das EU-Parlament volle Souveränität erhalten, welche die nationale Selbstbestimmung respektiert und die Macht mit den nationalen, regionalen und kommunalen Parlamenten teilt. Dort, wo es sinnvoll ist, soll die Macht an die nationalen Parlamente, Regionalräte, Stadtparlamente oder Kommunen zurückgegeben werden. Eine verfassungsgebende Versammlung soll auf den Weg gebracht und für diese europäische Wahllisten etabliert werden. Diese Verfassungsgebende Versammlung soll innerhalb eines Jahrzehnts die europäischen Verträge ersetzen. Damit wird auch die „finale“ Form der EU als Föderation klar benannt.
Zu den Sofort-Forderungen gehören: die volle Transparenz der Entscheidungsfindung, öffentliche Sitzungen (per Livestream) von EU-Rat, Ecofin und Sitzungen der Euro-Gruppe, öffentlich einsehbare Protokolle von EU-Rat und EZB und Verhandlungspapiere bei wichtigen Verhandlungen – dies als Erfahrung des intransparenten Umgangs mit den Verträgen in den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP.
Innerhalb von 12 Monaten soll eine Neuordnung der Staatsschulden erfolgen, sollen Reformen bei Banken, Investitionen, Migration und gegen Armut durchgeführt werden – durch eine Neuinterpretation der vorhandenen Verträge und Richtlinien. Prominent fordert Varoufakis immer wieder einen Green-New-Deal mit 500 Milliarden Euro pro Jahr für die Rettung des Klimas. Zur Demokratisierung der EU schlägt DiEM25 für folgende Schritte und Zeitpläne vor:
In den nächsten zwei Jahren soll das EU-Parlament volle Souveränität erhalten, welche die nationale Selbstbestimmung respektiert und die Macht mit den nationalen, regionalen und kommunalen Parlamenten teilt. Eine verfassungsgebende Versammlung soll auf den Weg gebracht und für diese europäische Wahllisten etabliert werden. Diese Verfassungsgebende Versammlung soll innerhalb eines Jahrzehnts die europäischen Verträge ersetzen. Mit dieser starken Gewichtung wird für DiEM25 die Demokratiefrage „das demokratische Band“ zum zentralen Fokus ihrer Forderungen. Darüber hinaus wollen die Mitglieder von DiEM25 ein geeintes, realistisches, dezentralisiertes, egalitäres, kultiviertes, soziales, produktives, nachhaltiges, ökologisches, kreatives, internationalistisches, friedliches und offenes Europa, „ein befreites Europa, in dem Privilegien, Vorurteile und die Drohung mit Gewalt keinen Platz haben, in dem Europäer in weniger stereotype Rollen hineingeboren werden und gleiche Chancen haben, ihre Potentiale zu entfalten und über ihr Leben, ihre Arbeit und ihren Platz in der Gesellschaft selbst zu bestimmen“.
Auch die Europäische Linkspartei verfügt über ein Manifest zu den Europawahlen. Darin wird – und damit unterscheidet sich dieser Ansatz vom Manifest 2014 – zunächst auf die historische Rolle Europas als die des Vermittlers beschrieben, der auf einen Interessenausgleich hinarbeitet ohne Vollstrecker eines militärisch-industriellen Komplexes zu sein. Die Linke steht deshalb für ein Europa des Friedens, das die Neutralität einzelner Länder berücksichtigt, ein Europa, das die Ursachen von Konflikten bekämpft. Sie fordert eine gemeinsame, integrationsorientierte Flüchtlings- und Migrationspolitik und benennt als die wahren Ursachen von Fluchtbewegungen: Krieg und Armut. Folgerichtig fordert die EL einen sofortigen Produktions- und Exportstopp von Waffen. Sie lehnt die Aufrüstung der EU, die Europäisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik durch eine ständig strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) und Frontex ab. Die EL stellt sich gegen nukleare Aufrüstung und für einen Abbau des Raketen-Abwehrschirms.
Die EL steht für ein neues Wirtschafts- und Sozialmodell, für eine Demokratisierung der EU-Institutionen vor allem der EZB, für die Abschaffung der Kürzungsprogramme und des Fiskalpaktes. Sie fordert an Stelle dessen ein öffentliches Investitionsprogramm, die demokratische Kontrolle der Finanzmärkte und Banken, die Einführung einer Finanztransaktionsteuer, eine Steuerreform mit Mindeststeuern für große Konzerne und Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und -oasen und eine europäische Staatsschuldenkonferenz.
Das EL-Manifest verweist darauf, dass fehlende Antworten auf die konkreten Probleme der Europäerinnen und Europäer zum Erstarken der radikalen Rechten beigetragen habe. „Das Ausbleiben einer kollektiven humanitären und solidarischen Reaktion auf Geflüchtete hat rassistische und fremdenfeindliche Tendenzen in der EU gefördert. Die Anwesenheit von Männern, Frauen und Kindern aus der ganzen Welt ist nun ein strukturelles Merkmal aller europäischen Gesellschaften. Abermals entgegnen wir jeglicher Diskriminierung mit einem klaren Nein! Soziale Rechte müssen für alle Einwohnerinnen und Einwohner genauso wie Immigranten sichergestellt sein, damit diese nicht zum Sündenbock des Systems gemacht werden.“ (EL 2019) Gefordert sei eine Politik des Willkommens und der Gastfreundschaft. Die Anerkennung der Rechte von Migrantinnen und Migranten sei eben nicht nur eine Frage von Barmherzigkeit und Güte, sondern „ein fundamentaler Bestandteil jeder Art von Umverteilung“, heißt es im Manifest. Die EL fordert ein Ende der Festung Europas, die Schaffung sicherer europäischer Korridore für legale Migration und Asylsuchende sowie die echte Kooperation, geteilte Verantwortung und solidarische Lösungen, um wirtschaftliche und soziale Integration zu unterstützen. „Sowohl Asylverfahren als auch Programme zu Umsiedlung und Familienzusammenführung sollen beschleunigt werden. Unilaterale Verstöße von Mitgliedsstaaten, die sich weigern, diese Programme umzusetzen, sind zu verurteilen.“ (EL, 2019 Manifest)
Die EL wendet sich gegen die Kriminalisierung von NGOs und MenschenrechtsaktivistInnen und fordert den sofortigen Rückzug der türkischen Besatzungstruppen aus Zypern. Sie ist offen für einen EU-Beitritt der Türkei, aber nur, wenn Erdogan seinen Herrschaftsplan zur Islamisierung des Landes aufgibt, Menschenrechte und das Recht auf Meinungsfreiheit garantiert, statt Repressionen gegen demokratische Kräfte.
Die EL fordert eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, Kämpfe zur Bildung von Genossenschaften und Arbeiterselbstverwaltungen und die Übernahme von Betrieben sowie für die Schaffung von Sozialsystemen für ein Leben in Würde mit angemessenem Lohnniveau und ein universales Recht zum Zugang auf Rente. Die EL steht für Gleichberechtigung der Geschlechter, für die wirtschaftliche Stärkung von Frauen und hier auch für ein besseres Verhältnis von Berufs- und Privatleben.
Auf dem Feld der Ökologie und Klimapolitik fordert die EL: keine Privatisierung von Naturressourcen, Produktion und Verteilung von Energie in öffentlicher Hand, das Recht für alle auf Zugang zu Energie und Wasser, einen verbesserten öffentlichen Nahverkehr, die vollständige Umstellung auf regenerative Energien, eine Industrieproduktion in Europa, die lokal ausgerichtet ist etc.. Die EL kämpft gegen für Ernährungssouveränität unter Bedingungen einer ökonomischen und ökologischen nachhaltigen Landwirtschaft, für den Schutz der Biodiversität und für ein neues Konsumtionsmodell. Alle, die in Europa leben sollen Zugang zu natürlichen Ressourcen Land, Luft, Wasser, Energie haben, sollen Kultur, Bildung, sozialen Schutz in Anspruch nehmen können. Die EL richtet sich gegen Freihandelsabkommen, die hauptsächlich der Ausbeutung von Bodenschätzen dienen. Was fehlt, ist die Untersetzung, wie diese Forderungen konkret umgesetzt werden sollen.
Wenn im Programm von DiEM25 die Demokratiefrage das rote Band beschreibt, im Programm von La France insoumise der Klimaschutz das grüne Band bildet, so ist es im Manifest der EL die Asyl- und Migrationspolitik und Menschenrechte für alle die in der EU bzw. in Europa leben.
Thema | Maintenant le Peuple (MLP) | DiEM25 | EL |
Grundsätzliche Sicht auf Verträge | Plan A – Vertragsänderung im Sinne der linken sonst Plan B – einseitiger Ausstieg auch bei Einzelfragen | Änderung über europa-weites Referendum bis 2025 neuer Verfassungsvertrag | Auf der Grundlage der Verträge ist eine sozial-ökologische Transformation nicht möglich – sie müssen geändert werden |
Themen | Volkssouveränität – Gegen Sozialdumping Neu-Ausrichtung der Fiskalpolitik Ökologischer Umbau, Rechte und Freiheiten | Demokratisierung der EU New Deal für Europa mit über 500 Mrd. € pro Jahr in die | Frieden, Migrations- |
Zentrale Begriffe | Souveränität der Völker, Plan A und B, solidarischer Protektionismus | Demokratie, Nachhaltigkeit, Wohlstand und Solidarität, fairer Welthandel, Green-New Deal | Souveränität der Völker, Solidarität, Power to the people, soziale Sicherungen für alle – Menschenrechte |
Stärken der | Starke ökologische Ausrichtung, Klima – Zentral gesetzt – „ein grüner Faden“ | Konkreter Vorschlag zu einem demokratischen Ausstieg aus den Verträgen über demokratischen Prozess | Menschen– Bürger und Freiheitsrechte zentral gesetzt für Alle – |
Themen | Maintenant le Peuple (MLP) | DIEM25 | EL |
Gegen Sparpolitik und Sozial-dumping | Gegen die Politik der Austerität gegen Sozial- und Umweltdumping | Neustart der EU auf der Grundlage der Verträge eine sozial-ökologische Transformation nicht | |
Fiskal-politik und Rolle der EZB | Neuausrichtung der Budget-Politik EZB-Präsident soll vom EP gewählt werden | Neuausrichtung der EZB durch Demokratisierung - New Deal mit 500 Mrd. Euro pro Jahr | Demokratisierung EZB, Finanztransaktions-steuer |
Migrations-politik | Starker Fokus auf die Bekämpfung der Flucht-ursachen – menschenwürdige Ablehnung | Offene Grenzen, Ablehnung des EU-Türkei-Abkommens, gemeinsames Asylsystem | Offene Grenzen |
Friedens- und Sicherheits-politik | Austritt | Kein Verkauf und | Abschaffung der NATO – diese habe sich überholt, Ablehnung von PESCO und der Militarisierung der EU. Ablehnung von Waffenexporten. |
Was trotzdem geht
Was die Linksparteien verbindet, ist die von allen Parteien geteilte Kritik am Kapitalismus, der neoliberalen Austeritätspolitik, der Zerstörung von Sozialstaatlichkeit und am Demokratierückbau. Alle Linksprojekte und die darin mitwirkenden Parteien setzen sich ein für soziale Gerechtigkeit und fordern das Ende der Austeritätspolitik. DiEM25 will z.B. ein soziales Europa, „das anerkennt, dass Freiheit nicht nur Freiheit von Einmischung bedeutet, sondern auch grundlegende Güter erfordert, die einen Menschen frei von Not und Ausbeutung machen“ (DiEM25, 2018). LFI steht gegen Sozial- und Umweltdumping für Mindestlöhne entlang 75% des Medians in den jeweiligen Ländern (LFI, 2018). Die EL fordert eine Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und weitere Maßnahen für ein soziales Europa (EL, 2019).
Betrachtet man ihre Plattformen, so stellen DiEM25, MLP und EL die EU-Verträge grundsätzlich in Frage. Allerdings wird nur von FLI die Forderung nach einem Austritt gestellt. In das EL-Programm wurde der Terminus Neustart nicht aufgenommen, es bleibt jedoch bei der Feststellung, dass auf gegebener Grundlage keine Veränderungen möglich sind (EL, 2019). DiEM25 geht von einem demokratischen Weg der Umgestaltung der EU-Verträge aus, der auf eine Neukonstituierung hinaus läuft (DiEM25, 2018). Auch die Frage der Souveränität der Völker findet sich in allen drei Programmen.
Alle drei Projekte (MLP, DiEM25 und EL) räumen den ökologischen und klimapolitischen Fragen einen zentralen Platz ein. DiEM25 fordert ein Investitionsprogramm mit 500 Milliarden Euro jährlich über öffentliche Banken finanziert für nachhaltige Infrastrukturen und den ökologischen Umbau. Die EL fordert ein neues ökologisches Entwicklungsmodell und benennt hier erste Eckpunkte wie keine Privatisierung von Naturressourcen, sondern Zugang zu diesen für alle und eine lokal ausgerichtete Industrie, Maßnahmen gegen den Klimawandel, Ernährungssouveränität und Schutz der Meere. Diese Stichworte finden sich alle auch bei LFI.
In der Flüchtlingsfrage gibt es Differenzen hinsichtlich der Frage von offenen Grenzen für Geflüchtete, die von DiEM25 und EL gefordert werden. Diese Position findet sich so nicht bei LFI. Aber einig ist man sich bei der Bekämpfung der Fluchtursachen.
LFI ist für den Austritt Frankreichs aus der NATO, für die EL ist diese überholt und gehört abgeschafft. DIEM25 fordert keine Waffen an Länder, die Menschenrechte verletzen, die EL ist gegen die Militarisierung der EU und so auch gegen PESCO. LFI und EL sprechen sich klar gegen die nukleare Bewaffnung aus.
Alles in allem, es gibt unterschiedliche Positionen, unterschiedliche Gewichtungen und die konkrete Konfliktlinie: Nationales vs. EU mit dem Primat des Nationalen (LFI) , Primat der EU (DiEM25) oder wie bei der EL eher vermittelnde Positionen.
Es gibt darüber hinaus jedoch eine Reihe von Themen, die in einer künftigen neuen Linksfraktion arbeitsteilig bearbeitet werden könnten. Das grüne Band von FLI, das demokratische Band von DIEM25 und der menschenrechtliche Ansatz in der Migrations- und Flüchtlingsfrage der EL könnten gemeinsam oder komplementär diskursiv weiterbearbeitet werden. Die Substanz für Kooperation ist reichlich gegeben. Was fehlt sind politisch gewollte Arbeitsstrukturen, die ggf. über die Parteienprojekte hinausgehend entwickelt werden – auch im Anschluss an neue und alte soziale Bewegungen.
Dass auch innerhalb der EP-Fraktionen eine solche Arbeit möglich ist, beschreibt das grüne Manifest der GUE/NLG. Es ist anschlussfähig an einen neuen Green-New Deal und an Überlegungen von La France Insoumise und an die z.B. von Attac Austria formulierten sieben Wege und zehn Vorschläge für eine linke Offensive in Europa und nicht zuletzt anschlussfähig zu den Forderungen Fridays for future.
So wird im Grünen Manifest der GUE/NLG z.B. gefordert, dass bis 2030 die Treibhausgase um 65% reduziert und bis 2050 eine CO2-neutrale Wirtschaft erreicht werden soll. Ein Ausstieg fossiler Energie soll bis 2030 erfolgen, ebenso der Ausstieg aus der Atomkraft. Hierfür müssen jedoch auch die gerechten Übergänge durch entsprechende Fonds abgesichert werden. Alles in allem wird hier – getragen von der GUE/NGL für ein Themenfeld eine europäische Agenda formuliert. Dies ist – angesichts des Potentials jener, die für MLP, DiEM25 und EL bereits heute stehen – auch auf anderen Feldern möglich. Es muss politisch gewollt und organisatorisch zusammengeführt werden. Warum nicht dazu auch jene Plattform-Ideen nutzen, die in Berlin, London, Paris, Wien längst diskutiert werden (Candeias/Bussemer, 2019).
Die radikale Linke hat das Potential für die Entwicklung einer gemeinsamen Agenda, um endlich aus der Defensive herauszukommen, sie muss sich allerdings entschließen das zu wollen und hierfür national und dringend auch auf der europäischen Ebene zusammenführend die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung stellen. Es wird Zeit, dass sich die Linksparteien ihrer europäischen Verantwortung stellen.
Literatur:
DiEM25, Europa demokratisieren. Europa wird demokratisiert oder es wird zerfallen
Sauerbrey, Anna, 2019: Die Rechtspopulisten in der EU formieren sich, Tagesspiegel v. 10.4.2019
Hübner, Wolfgang, 2018: Sammeln und Spalten, Neues Deutschland v. 4. Juli
Klute, Jürgen, 2019: Europas extreme Rechte sucht ein Parlamentsdach
Tügel, Nelli, 2019: Öxit, Frexit, Swexit – lieber doch nicht, in: Neues Deutschland v. 13. April, 3
Cornelia Hildebrandt arbeitet am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und beschäftigt sich insbesondere mit der Entwicklung linker Parteien und Bewegungen in Europa.
Dieser Artikel ist zunächst auf der Webseite "die-zukunft.eu" erschienen
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