Hoffnung auf eine demokratische und pluralistische Türkei nicht aufgeben
Am 7.12.2017 reiste ich in die Türkei, um dem Prozess gegen den Co-Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Selahattin Demirtaş beizuwohnen. Er befindet sich bereits seit 13 Monaten in Haft. Ihm drohen, im Falle einer Verurteilung 142 weitere Jahre Haft. Wie so oft zuvor weigerte sich Demirtaş auch an diesem Verhandlungstag, sich von der Untersuchungshaft im westtürkischen Edirne per Video zu der Verhandlung in Ankara zuschalten zu lassen. Seinen Antrag, persönlich und ohne Fesseln vor Gericht erscheinen zu dürfen, lehnte das Gericht ab.
Die Verhandlung fand in seiner Abwesenheit statt. Das Gericht lehnte auch seine Forderung nach Freilassung ab. Aus angeblichen Sicherheitsgründen wurden ausländische Prozessbeobachter ausgeschlossen und durften nicht an der Verhandlung teilnehmen. Vor dem Gerichtsgebäude in Sincan demonstrierten hunderte Anhänger der HDP mit Protestrufen und kurdischen Liedern gegen das Vorgehen der Staatsmacht gegen Demirtaş und die HDP.
Der Verhandlungsverlauf im Prozess gegen die HDP Co-Vorsitzende Figen Yüksekdağ ließ aus rechtsstaatlicher Perspektive ebenfalls zu wünschen übrig. Anträge der Verteidigung wurden zügig abgelehnt, der Prozess verschoben. Das Gericht beschloss auch die nächste Verhandlung auf dem Gefängnisgelände in Sincan abzuhalten.
Beide Prozesse sind Teil der Willkürjustiz der Erdoğan-Administration. Sie sind Schauprozesse und haben nichts mit demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien zu tun. Vielmehr sind sie Symbole der systematischen Verfolgung von Andersdenkenden in der Türkei und sollen gezielt zur Kriminalisierung jeglicher Opposition führen.
Es ist kein Zufall, dass die Willkürjustiz der Erdoğan-Administration Selahattin Demirtaş trifft. Denn er war bis zu seiner Inhaftierung einer der unergiebigsten Kontrahenten Erdoğans war und leistete erbitterten Widerstand gegen dessen Plänen das Präsidialsystem einzuführen. Bei der Parlamentswahl im Juni 2015 hatte er mit seiner Partei 13 Prozent der Stimmen erreicht und Erdoğans islamisch-konservative AKP um die absolute Mehrheit gebracht.
Wir werden uns nicht davon abbringen lassen, unsere Solidarität mit allen demokratischen Kräften in der Türkei - insbesondere mit den inhaftierten VolksvertreterInnen unserer Schwesterpartei HDP, die den Weg der Demokratie und Toleranz weitergeht, klar zu demonstrieren. Die brutale Verfolgung von oppositionellen PolitikerInnen, JournalistInnen und MenschrenrechtsaktivistInnen durch die türkische Justiz wird uns die Hoffnung auf eine demokratische und pluralistische Türkei nicht nehmen können!
Hakan Taş ist Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin und Beobachter der Gerichtsprozesse gegen Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ
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