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von Panagiotis Sotiris

Spannungen im Mittelmeer

imago images / Thea Photography

Zurzeit eskalieren die Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland. Der Türkei geht es um den Status einer Regionalmacht, um nationalistische Bestrebungen und um Führungsansprüche. Griechenland dagegen hat sich den USA angenähert und der Logik anti-türkischer Bündnisse verschrieben. Wir haben es mit einer Rivalität zwischen zwei Staaten aber auch mit sich verschiebenden regionalen Bündnissen zu tun. Es handelt sich nicht um einen weiteren «Gebietskonflikt», sondern um einen Kampf um Macht, Einfluss und regionale Vorherrschaft innerhalb der imperialistischen Kette.

Einerseits lässt die Türkei verstärkt die Muskeln spielen, da sie den Rang einer Regionalmacht anstrebt, wie ihre Rolle im Syrien, ihre aktive Beteiligung am libyschen Bürgerkrieg sowie der Versuch zeigt, ihr Verständnis einer «gerechten» Verteilung von Förderrechten im Mittelmeer durchzusetzen. Es ist die Kombination des türkischen Nationalismus mit einer bestimmten Spielart des politischen Islam, hinter der sich bedeutende Teile der türkischen Bourgeoisie und andere politische Kräfte – zumeist mit nationalistischem Tenor – zusammenfinden.

Andererseits hat die griechische Außenpolitik eine Wende zum Schlechteren vollzogen – und zwar bereits unter der SYRIZA-Regierung - und näherte sich den USA an. Sie tendiert zu anti-türkischen Bündnissen. Zugleich ist der griechischen Regierung und Bourgeoisie bewusst, dass das Kräfteverhältnis zur Türkei kein ausgewogenes ist, weshalb wiederum die Logik des Dialogs einsetzt.

Auch andere Kräfte müssen berücksichtigt werden. Die Rivalität zwischen der Türkei und Griechenland bietet den USA die Möglichkeit, als Vermittler aufzutreten. In deren politischem, diplomatischem und militärischem Apparat bestehen allerdings Spannungen hinsichtlich der Türkei. Einerseits muss die Türkei Teil des «Westens» bleiben. Andererseits gibt es Stimmen, die aufgrund der türkisch-russischen Beziehungen für einen Bruch mit ihr eintreten.

Deutschland tritt als Vermittler auf, obwohl ihm dafür die erforderliche militärische Stärke fehlt. Gleichzeitig will Berlin das Flüchtlingsabkommen nicht gefährden und türkischstämmige deutsche Bürger*innen nicht verstimmen.

Frankreich versucht dagegen dem türkischen Streben nach einer bedeutenderen Rolle in der Region entgegenzuwirken - besonders weil die türkischen Bestrebungen um mehr Einfluss im Nahen Osten und in Afrika mit französischen Interessen kollidieren.

Israel, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten versuchen ebenfalls Druck auf die Türkei auszuüben. Daher erliegt Griechenland stets der Phantasievorstellung einer anti-türkischen Achse. Würde sich jedoch die Türkei einer Koalition gegen den Iran anschließen, änderte sich der Ton womöglich die Haltung dieser Länder.

Riskante Manöver in der Ägäis

In der aktuellen Krise geht es um territoriale Ansprüche in der Ägäis. Die Türkei lehnt jeden Gedanken an eine Ausweitung der griechischen Hoheitsgewässer auf 12 Seemeilen ab, betrachtet einen solchen Schritt als Kriegsgrund und erhebt ihrerseits Anspruch auf einige kleine Inseln.

Griechenland hat sich bislang an die Grenze von sechs Seemeilen gehalten, obwohl sein Luftraum zehn Seemeilen beträgt. Bei den kleinen Inseln beharrt es darauf, dass sie laut internationalen Verträgen griechisches Hoheitsgebiet seien.

Fraglich sind allerdings die Ausmaße ihres Festlandsockels und damit verbunden die einer Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Griechenland erklärt, das Völkerrecht sei auf seiner Seite und die Inseln hätten einen eigenen Festlandsockel. Demnach würde ihre AWZ zweihundert Seemeilen weit reichen oder, sofern die Distanz zur gegenüberliegenden Küste nicht groß genug ist, bis zur Mittellinie. Die Türkei lehnt eine solche Auslegung des Völkerrechts als ungerecht ab. Entgegen aller Rhetorik ist der Regierung in Athen bewusst, dass jede Verhandlung vor einem internationalen Gremium damit enden würde, dass die Türkei mehr zugesprochen bekäme.

Gleichzeitig hat die Türkei in einem Abkommen mit Libyen die jeweiligen AWZ ohne Berücksichtigung der griechischen Inseln festgelegt. Griechenland betrachtet wiederum dieses Abkommen als rechtswidrig. Das Völkerrecht beruht aber nicht nur auf abstrakten Prinzipien, sondern auch auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und Kompromisssuche.

Eine Rivalität zwischen zwei herrschenden Klassen

Jenseits der technischen Aspekte des Völkerrechts haben wir es mit einer Rivalität zwischen zwei Staaten (und zwei Bourgeoisien) im Kontext des modernen Imperialismus und mit sich verschiebenden regionalen Bündnissen zu tun. Zudem bietet diese Rivalität beiden Ländern eine Möglichkeit, eine gewisse Form von «nationaler Einheit» herzustellen.

Die Türkei hat zuletzt aggressiver agiert, doch Griechenland hat sich seinerseits auf die gefährliche Logik «anti-türkischer» Bündnisse eingelassen. Beide Regierungen scheinen eine militärische Konfrontation zu fürchten, andererseits besteht eine gewisse Versuchung, durch einen begrenzten militärischen Konflikt Verhandlungen herbeizuführen. Allerdings, die Präsenz vieler potenzieller «Verhandlungspartner» verkompliziert die Lage.

Außerdem befürchten die Griechen, bereits ein kleineres Scharmützel könne Verhandlungen unter ungünstigen Bedingungen erzwingen. In der Türkei fürchtet man dagegen, sie könnte als Aggressor dargestellt werden.

In Griechenland verfolgen Nea Dimokratia, SYRIZA und KINAL (die Nachfolgerin von PASOK) alle einen ähnlichen Ansatz, der darauf zielt, die USA und die EU dazu zu bewegen, Druck auf die Türkei auszuüben, an die Bündnisse mit Ländern wie Israel, Ägypten und den VAE anzuknüpfen und sich Frankreichs Bestreben, eine starke Präsenz im Mittelmeer aufzubauen, zunutze zu machen.

Verbinden wird dies mit symbolischen Bemühungen, um zu demonstrieren, Griechenland übe seine «Hoheitsrechte» aus. Deutlich wird dies in dem Beschluss, das griechische Seegebiet im Ionischen Meer und südlich des Peloponnes – Gebiete, auf die die Türkei keine Ansprüche erhebt – auf 12 Seemeilen auszuweiten.

Gleichzeitig haben Öl- und Gasbohrungen im Mittelmeer ehrgeizige Vorhaben befeuert, von denen sich Griechenland einen Geldregen erhofft. Daher würde der griechische Staat seine AWZ im Süden gerne maximal ausdehnen und versucht aggressiv Bündnisse für ein solches Ziel zu schmieden – beispielsweise durch die geplante EastMed-Pipeline, die von Israel über Griechenland nach Europa führen soll. Obwohl SYRIZA wie Nea Dimokratia versichern, Griechenland verteidige sich lediglich, beteiligt sich das Land an einer regionalen Rivalität um Ressourcen und Einfluss.

Aggression oder Verhandlungen

In Griechenland bestehen zwei gegensätzliche Tendenzen. Die eine heißt traditionell die «patriotische» Linie und drängt auf eine aggressivere Haltung gegenüber dem Nachbarland, eine unilaterale Erklärung von Hoheitsrechten, verstärkte Bemühungen um anti-türkische Bündnisse und auf die Bereitschaft zur militärischen Konfrontation. Ähnliche Positionen vertritt auch die griechische extreme Rechte.

Die zweite Tendenz wird von Parteien der rechten und der linken Mitte ebenso wie von der post-eurokommunistischen Linken vertreten. Sie betont die Notwendigkeit von Verhandlung und Kompromiss, um den Frieden zu sichern, selbst wenn dies größere Zugeständnisse erfordert. Dieser Appeasement-Gedanke hat die griechische Außenpolitik in verschiedenen Situationen beeinflusst, wurde aber nie dominierend. Denn er birgt zwei Probleme: Zum einen stellt sich die Frage, wie man mit Verhandlungen vorankommen soll, solange die Türkei so aggressiv auftritt. Zum anderen kann eine Rhetorik des Dialogs im Angesicht einer solchen Aggression wie eine Kapitulation wirken.

Grundzüge einer linken Antwort

Diverse Strömungen der griechischen Linken haben unterschiedliche Ansätze verfolgt. Die Kommunistische Partei (KKE) und andere Strömungen der anti-kapitalistischen Linken vertreten eine «anti-imperialistische» Position. Demnach besteht das Hauptproblem darin, dass Griechenland NATO- und EU-Mitglied ist und daher Gefahr laufe, in Konflikte hineingezogen zu werden, die zu bewaffneten Auseinandersetzungen führen könnten. Während diese Kritik auch auf die griechische Bourgeoisie zielt, die den Konflikt anheize, betonen die KKE und andere Strömungen zugleich den Aspekt der türkischen Aggression gegen die Souveränität Griechenlands.

Anti-imperialistische Positionen erfassen zwar den Kontext des modernen Imperialismus und seinen Zusammenhang mit dem spezifischen Regionalkonflikt, tendieren aber dazu, dessen Eigendynamik zu unterschätzen. Sie behaupten sogar, er werde von imperialistischen Kräften gesteuert. In manchen Versionen solcher klassisch anti-imperialistischen Positionen wird zudem Griechenlands Verantwortung für den Konflikt mit der Türkei unterschätzt.

Andere Positionen sehen in dem Konflikt einen Zusammenstoß zweier Bourgeoisien, dem man mit einer internationalistischen Haltung begegnen müsse. Dabei wird betont, dass es nicht um Souveränität, sondern um Förderrechte gehe – «Kein Blut für Öl» heißt es folglich, was mitunter noch mit der drohenden Klimakatastrophe verbunden wird. Das Einstellen der Öl- und Erdgasförderung wird gefordert.

Diese Position hebt den Interessenkonflikt zwischen zwei Bourgeoisien hervor, der imperialistische Kontext wird aber zu wenig berücksichtigt. Manche Varianten tendieren außerdem dazu, beide Länder als gleich aggressiv darzustellen, und laufen Gefahr, den scharfen Nationalismus der gegenwärtigen türkischen Regierung zu verharmlosen, während die Aggressivität des griechischen Kapitals überzeichnet wird.

Worin könnten Ausgangspunkte für eine radikale linke Perspektive bestehen?

Einige Vorschläge:

  • Anstatt vorgefertigte ideologische Konstruktionen auf eine spezifische Situation zu projizieren, die Anerkennung sämtlicher Aspekte des Konflikts ist entscheidend. Es ist wichtig, dem griechischen Nationalismus, etwa der Behauptung, Griechenland agiere rein defensiv oder habe das Völkerrecht auf seiner Seite entgegenzutreten. Genauso wichtig ist es, den nationalistischen Charakter der türkischen Außenpolitik und die Gefahren für den Frieden in der Region zu erkennen, die vom Streben nach dem Status einer «Regionalmacht» ausgehen.
  • Imperialistische Intervention oder Vermittlung sind keine Instrumente zur Herstellung von Frieden und Stabilität, sondern heizen den Konflikt an.
  • Die Strategie anti-türkischer Bündnisse mit autoritären oder reaktionären Ländern muss aufgegeben und durch Solidarität mit Bewegungen ersetzt werden, die für Demokratie und Selbstbestimmung kämpfen.
  • Solidarität zwischen Bewegungen in der Türkei und Griechenland ist von erheblicher Bedeutung, da sie die Möglichkeit bietet, auf beiden Seiten den Nationalismus zu bekämpfen und einen Widerstand gegen den Krieg zu fördern.
  • Weil der Klimawandel eine globale Krisensituation hervorruft, muss ein Moratorium bei der Suche nach fossilen Brennstoffen im Mittelmeer gefordert werden.
  • Es müssen Verhandlungen gefordert werden, die zur Deeskalation und Kompromiss beitragen können. Sie könnten der Türkei die Angst nehmen, vom Zugang zu Ressourcen abgeschnitten zu werden, während sie Griechenland garantieren könnten, dass der Konflikt über Hoheitsrechte in der Ägäis ein Ende hat.

Langfristig hängt ein dauerhafter Friede davon ab, ob in beiden Ländern wirklich demokratische und fortschrittliche politische Lösungen gefunden werden. Die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind ein Beispiel dafür, wie sich Neoliberalismus mit autoritärem Nationalismus, Säbelrasseln und Konflikten über regionale Macht und Ressourcen verbinden kann.


[Übersetzung von Gegensatz Translation Collective]


Panagiotis Sotiris lebt als Journalist in Athen und ist Redaktionsmitglied von Historical Materialism.


 

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.