Wird Kolumbien die eigene Geschichte überwinden?
Iván Duque gilt als Marionette des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe. Mit seiner rechten Agenda vereint er Teile der traditionellen Konservativen der kolumbianischen Gesellschaft. Bekannt ist der frühere Anwalt für sein Bekenntnis zum religiösen Fundamentalismus. Seine Wahlkampagne basierte auf der sich wiederholenden Botschaft, Kolumbien dürfe nicht zu einem zweiten Venezuela werden.
Ihm folgte Gustavo Petro mit 25 Prozent der Stimmen. Er trat als parteiunabhängiger Kandidat der sozialen Bewegung „Colombia Humana“ an und repräsentiert eine neue linke politische Kraft. Petro findet nämlich breite Unterstützung von verschiedenen Organisationen und Parteien, von sozialen Bewegungen Marcha Patriotica und Congreso de los Pueblos, von indigenen Bewegungen, sowie der Kommunistischen Partei und der Union Patriotica. Der ehemalige Bürgermeister von Bogota war bis 1991 Mitglied der M19-Guerilla. Mit seiner Kampagne gelang es ihm sowohl in ländlichen Gebieten, als auch in kleineren und mittleren Städten Menschen zu mobilisieren. Er wandte sich dabei gegen die Macht der politischen Eliten und sprach in erster Linie junge Menschen sowie die ärmsten Bevölkerungsschichten an.
Der erste Urnengang führte vor allem die tiefe Krise der traditionellen Parteien vor Augen. Der ehemalige Bürgermeister von Medellin, Sergio Fajardo, schaffte es zwar mit einer Kampagne, die auf Bildung und Korruption fokussierte, auf den dritten Platzmit knapp 24 Prozent der Stimmen. Dennoch reichte es nicht, ihn in den Stichwahl zu bringen. Dass Fajardo sich als Kandidat der Mitte unter dem Banner von Coalicion Colombia präsentierte,ein Bündnis, an dem unter anderem die Grünen des Landes beteiligt sind, half auch nicht weiter.
Dagegen erhielt GermanVargasLleras überraschend wenig Stimmen, obwohl er Teil der traditionellen politischen Elite ist und von ihr protegiert wird. Der Kandidat der Partei Movimiento Mejor war Vizepräsident und Wohnungsminister unter dem amtierenden Präsidenten Juan Manuel Santos.
Die Krise der traditionellen Parteien wird aber auch am Ergebnis des liberalen Humberto de la Calle deutlich, dem Kandidaten der Liberalen Partei und Verhandlungsführer der Regierung bei den Friedensverhandlungen mit den FARC-Guerilla. Er setzte im Wahlkampf auf die Verteidigung des Friedensabkommens und dessen Implementierung.
Friedensprozess weiterhin entscheidend
Der Friedensprozess und dessen soziale und politische Folgen verändern die kolumbianische Gesellschaft und spielten bei der Wahl eine entscheidende Rolle. Das Abkommen wurde 2016 in einem Referendum von einer knappen Mehrheit abgelehnt, um dann überarbeitet und vom Kongress doch noch angenommen zu werden.
So war die Bedeutung von Frieden und seine Auslegung ein wichtiges Element im Wahlkampf, obwohl das Abkommen selbst nicht direkt auf der Agenda der meisten Kandidierenden stand. Alle Kandidierende definierten den Frieden aus eigener Sicht und machten Vorschläge, wie er zu erreichen sei.
Der Großteil des Friedensvertrags wurde jedenfalls bis heute nicht umgesetzt, sondern lediglich 18 Prozent des Vereinbarten. Die FARC wurde entwaffnet und gründete eine politische Partei. Allerdings fand dieses Angebot bei den Parlamentswahlen im März dieses Jahres, abgesehen von weniger als einem Prozent der Wählenden, keine politische Unterstützung. Nichtsdestotrotz erhielt die FARC, dem Friedensabkommen entsprechend, insgesamt zehn Sitze in beiden Kammern des Parlamentes. Dadurch änderte sich die gesamte Zusammensetzung des Parlamentes kaum. Progressive Kräfte gewannen jedoch an Gewicht.
Eine weitere Konsequenz des Friedensabkommens ist die politische Öffnung im Land, die noch vor kurzem nicht denkbar wäre. Den Beweis dafür lieferte Gustavo Petro, dem im Wahlkampf eine außergewöhnlich breite Mobilisierung gelang. Er gewann vor allem in den Regionen, deren Bevölkerungen den Friedensvertrag mehrheitlich befürworteten. Die vom Krieg am stärksten betroffenen Regionen votierten also im Referendum für den Frieden und nun auch für Petro.
Außerdem ist mit dem ausgehandelten Abkommen der Frieden noch nicht ganz hergestellt. Denn die Verhandlungen mit ELN dauern noch an und erfuhren in den letzten Monaten einige Dämpfer. Dennoch machen diese Gespräche ebenfalls Hoffnung, an denen auch die Zivilgesellschaft teilnehmen kann. Falls Petro die Wahl gewinnt, werden auch hier rasche Erfolge erwartet, da er diesen zweiten Friedensprozess unterstützt und bereits seinen Wunsch offenbarte, ihn zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Sein konservativer Gegner Duque hingegen wird eine militärische Lösung anstreben.
Das Ergebnis der Wahl in Kolumbien wird womöglich auch internationale Folgen haben. Denn seit die politische Krise im benachbarten Venezuela sich vertieft, wächst international der Druck, dort zu intervenieren. Obwohl Petro sich von Maduro distanzierte, glaubt er, die Lösung im Nachbarland liege im politischen Dialog und die nationale Souveränität Venezuelas solle respektiert werden. Seine Wahl wäre ein Hindernis vor den Interventionsplänen. Im Gegensatz drohte eine weitere Verschärfung der Krise, gewänne Petros reaktionärer Gegner Duque. Denn dieser unterstützt jegliche Lösung der venezolanischen Krise, koste es, was es wolle.
Erstmals wurden in diesem Wahlkampf aber auch über neue Themen für Kolumbien diskutiert, wie die Energiewende, Überwindung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, Reform des Agrarsektors zur Überwindung von Monokulturen, Reduzierung der Umweltverschmutzungen. Auch das war ein Verdienst Gustavo Petros. Denn es war sein Regierungsprogramm, das sie in die öffentliche Debatte einbrachte.
Eine neue Perspektive
Es ist ein schwieriges Szenario, das sich bei den Stichwahlen abzeichnet. Hätten progressive politische Kräfte, wie die Grüne Partei und ihr Kandidat Sergio Fajardo oder Humberto de la Calle von den Liberalen Gustavo Petro unterstützt, hätte er eine reale Chance die Wahl zu gewinnen. Doch Fajardo erklärte bereits, er unterstütze ihn nicht. Dadurch hat nun der ultrarechte Politiker Duque bessere Karten. So sehen ihn auch die Umfragen vorne.
Ob das Land, das seit über 50 Jahren mit bewaffneten Konflikten erlebt, deren Ursachen die ungleiche Verteilung des Bodens und die eingeschränkten demokratischen Rechte waren, unter Duque sich eine neue Perspektive erarbeiten kann, ist fraglich. Dennoch entstand in Kolumbien durch den Friedensvertrag eine neue Perspektive, die es ermöglichen könnte, über Parteigrenzen hinweg einen politischen Wandel hinzubekommen.
Itayosara Rojas, Mitglied der Kommunistischen Jugend/ Kommunistischen Partei Kolumbiens
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