Iraker wollen ein neues politisches System
Die Irakische Kommunistische Partei (IKP) kehrte mit zwei Sitzen ins Parlament zurück. In der Hauptstadt Bagdad wurde der Vorsitzende der Partei Raid Fahmi ins Parlament gewählt. Das zweite Mandat für die IKP ging an Haifaa al-Amin in Thi-Quar, im Süden des Irak.
Auf Platz zwei folgt mit 47 Mandaten die Liste Fatah (Eroberer), ein Bündnis dem Iran nahestehender schiitischer bewaffneter Organisationen um Hadi al-Ameri. Im Irak sind sie als “Volksmobilisierungseinheiten" bekannt. Der amtierende irakische Regierungschef Haidar al-Abadi konnte mit seiner Liste Nasr (Sieg) lediglich 42 Sitze holen. Auf den vierten Platz kam die Liste "Rechtsstaat" des ehemaligen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki, der ebenfalls dem Iran nahe steht. Viele Iraker*innen machen al-Maliki für die Verschlechterung der Lage im Land verantwortlich. Er regierte zwischen 2006 und 2014.
Das Wahlbündnis »Sayirun«
Die 10. Nationalkonferenz der IKP am 3. Dezember 2017 in Bagdad beschloss die Gründung einer breiten demokratischen und laizistischen Koalition, ließ aber die Tür offen für eine breitere nationale Allianz.
Die Partei bemühte sich zunächst, eine „Allianz der laizistischen und demokratischen Kräfte“ (A.C.D.P) aufzubauen. Sie trägt den Namen „Fortschritt“ und umfasst außer der IKP mehrere laizistische Parteien. Dann reagierte jedoch die vom Geistlichen Moqtada al-Sadr unterstützte Parteiformation “Nationale Einheit“ („al Istiqama“) auf den Appell zur Gründung einer breiten nationalen und religiöse Grenzen überschreitenden Allianz.
Die IKP entschied sich für eine Zusammenarbeit in dem Bündnis „Sayirun“ in dem neben der IKP die irakisch islamische Nationalbewegung „al Istiqama“ und drei weitere laizistische Parteien zusammenwirken. Die Partei „al Istiqama“, die sich auf die „al-Sadr-Bewegung“ stützt, genießt breite Unterstützung in der gesamten irakischen Gesellschaft, insbesondere bei den armen schiitischen Bevölkerungsschichten. Auch die seit drei Jahren populäre Protestbewegung Koordination der Ausschüsse des laizistischen Koordinierungskomitees ist dabei, mit den Kommunist*innen und Sadristen zusammenzuarbeiten.
Sayirun stellt soziale und politische Forderungen und könnte damit dem Land eine neue Perspektive geben. Es ist die erste Allianz dieser Art seit dem Sturz der Diktatur, die mit Unterstützung breiter Bevölkerungsschichten agiert.
Sayirun ist ein Projekt des Wandels, der Reform und des Aufbaus. Mit diesem Bündnis könnte erreicht werden, dass die beteiligten Gruppen gemeinsam vereinbarte Ziele anstreben.
Den linken und fortschrittlichen Kräften in Europa fällt es leichter, die Situation im Irak zu durchschauen, wenn sie davon ausgehen, dass sich dort zwei Lager in einem heftigen politischen und gesellschaftlichen Konflikt gegenüberstehen: das Lager der Reform und des Wechsels auf der einen sowie das Lager der ethnischen, religiösen und Stammes-Quotierung als auch der Korruption auf der anderen Seite. Nur wenn es gelingt, in den Block der Quotierungen einzudringen und mit moderaten Kräften zusammenzuarbeiten, ist es möglich, die derzeitigen Machtverhältnisse zu verändern.
Sayirun bietet die Möglichkeit, den Konflikt zwischen den Säkularen und dem Islam zu umgehen, das Nationale zu fördern und mit der Kultur des Entweder-Oder zu brechen. Sayirun ist ein wichtiger Schritt, um die auf Quoten basierende Hegemonie der Wahlkommission, das undemokratische Wahlgesetz und den Mechanismus der ungerechten Verteilung der Mandate zu überwinden.
Das macht „Sayirun“ zum Alptraum islamistischer Extremisten und sorgt dafür, dass deren Argumente, Verschwörungen und Behauptungen, sie seien die Einzigen, die gegen den Terrorismus kämpfen, ins Leere laufen. Die islamistischen Extremisten führen unter Einsatz gewaltiger Finanzmittel und mit Hilfe der großen Medien eine verbitterte Kampagne gegen die Allianz und deren zwei Hauptkomponenten, die kommunistische Partei und die Anhänger*innen Moqtada al-Sadrs.
Die neue Regierung
Der Dialog zwischen den Siegerlisten führte bisher zu keinem Ergebnis. Es gibt zwei konkurrierende Lager. Auf der einen Seite Sayirun, Nasr (Sieg) und einige Gruppen, die mit ihrem gemeinsamen Projekt einverstanden sind, auf der anderen Seite Fatah (Eroberer) und "Rechtsstaat". Letztere wollen das bestehende politische System beibehalten.
Zunächst konzentriert sich „Sayirun“ auf das Programm und nicht darauf, wer Ministerpräsident wird. Solche Details werden später entschieden. Generell sollte auch die Regierung die Vielfalt ausdrücken. Programmatische Verpflichtungen muss sie aber eingehen. Außerdem muss sich die Auswahl der Minister nach den Fähigkeiten und Kenntnissen der Kandidaten richten. Wenn eine solche Richtung nicht erkennbar ist, wird Sayirun in die Opposition gehen. Denn nur wenn eine Regierung auf dieser Grundlage gebildet wird, kann das Quoten-System überwunden werden.
Sayirun fordert außerdem, dass der Schattenstaat, der sich in den Sicherheitsorganen und anderen staatlichen Institutionen parallel eingenistet hat, aufgelöst wird.
Die große Herausforderung
Das gegenwärtige politische System des Irak ist gescheitert. Nichts von dem, was sich die Iraker*innen nach dem Regimewechsel im April 2003 erhofften, wurde erreicht. Eine echte demokratische und laizistische Alternative zur früheren Diktatur wurde verhindert. Stattdessen wurde versucht, erneut ein repressives, totalitäres Regime – sei es stammesbezogen, religiös, nationalistisch oder militärisch - aufzubauen. Dazu kommt die soziale, wirtschaftliche und politische Verwüstung, die der Irak von der zusammengebrochenen Diktatur ererbt hat. Diese Diktatur unterwarf alle politischen Kräfte außerhalb ihres Unterstützerkreises einer breit angelegten und vielseitigen Unterdrückung. Sie richtete sich insbesondere gegen Kommunist*innen und andere demokratische Kräfte.
Vom 1. bis zum 3. Dezember 2017 fand in Bagdad der 10. Kongress der IKP unter der Losung, "Für den Wandel zu einem demokratisch-bürgerlichen Bundesstaat und sozialer Gerechtigkeit" statt. Der Kongress arbeitete die Idee des Übergangs zu einer demokratischen Alternative aus.
Diese Veränderung kann nur durch den Aufbau eines alternativen politischen Systems erreicht werden, das mit dem Machtmonopol bricht, auf sekundären Identitäten beruht und dieses reproduziert. Die demokratische Alternative soll den Wiederaufbau der Ökonomie, der Gesellschaft und des Staates auf einer neuen Basis ermöglichen. Der Staat soll auf dem Prinzip der Staatsbürgerschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Bürger*innen fußen. Er soll niemanden auf Grund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, der Hautfarbe, der Religion, des Glaubens, der Meinung, des gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Status diskriminieren. Er soll ein Staat der Institutionen und des Rechts sein, der den Bürger*innen ein würdiges Leben in sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit garantiert. Er soll politische und gesellschaftliche Demokratie ermöglichen und beides miteinander verbinden.
Um diesen demokratischen Bundesstaat zu erreichen, ist ein entschiedener Kampf zur Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse zu Gunsten des Projekts der Veränderung und seiner Unterstützer*innen erforderlich. Diese kann erreicht werden durch eine starke demokratische Bewegung, durch die Bildung religionsübergreifenden Allianzen und die Mobilisierung eines breiten Spektrums von Kräften, die Reformen und Veränderung unterstützen, wobei der Kampf gegen Korruption ein Hauptfaktor in dieser Auseinandersetzung bleibt.
Rashid Ghewielib ist Journalist und Mitglied der Irakischen Kommunistischen Partei.
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