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Werner Birnstiel

Coronavirus - Krisenbewältigung im Reich der Mitte

Xie Huanchi / imago images / Xinhua

In Chinas mehrtausendjähriger Geschichte wurden die Herrschenden immer mit daran gemessen, ob sie des Regierens würdig waren, also das „Mandat des Himmels“ besaßen, weil durch ihre Führungskraft Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Erdbeben, Trockenheit oder Hungersnot so gemeistert wurden, dass im Riesenreich kein Chaos aufkam. Auch heutzutage ist allenthalben davon die Rede, dass China mit seiner 1.400 Millionen-Bevölkerung nur bei Erhalt von „Stabilität“ unter Führung der KP Chinas seine Modernisierung fortzusetzen, zu erweitern und zu vertiefen vermag.

Die Anfang 2020 in Wuhan, Hauptstadt der zentralchinesischen Provinz Hubei, aus- gebrochene Coronavirus-Pandemie ist ein Prüffeld, auf dem die KP Chinas und die Regierungen aller Ebenen gefordert sind, Auswege aus der so nicht absehbaren komplexen Katastrophe zu finden. Entsprechend chinesischen Maßstäben ist zu handeln. Denn Wuhan hat 11 Millionen, die gesamte Provinz Hubei 57 Millionen Einwohner, in den fünf Nachbarprovinzen einschließlich der zentral regierten Stadt Chongqing sind es 390,28 Millionen Menschen. Insgesamt also 70 Millionen mehr als die Bevölkerungszahl der USA.

Mit chinesischer Rigorosität wurden Wuhan und die Provinz Hubei ab dem 20. Januar abgeriegelt. Inzwischen verkehren seit dem 08.04.2020 wieder Züge, Autobahnen sind kontrolliert befahrbar, in der Stadt ist die Lebensmittelversorgung gesichert. Laut chinesischer Presse hatte es logistische Probleme und Preistreiberei gegeben bei der Lieferung täglicher Gebrauchsgüter, bei Lebensmitteln, Gemüse, Früchten, medizinischen Gütern. Normale Lkw, Kleintransporter oder private Pkw mussten umfunktioniert werden, um größere Mengen an Fleisch stabil organisiert liefern zu können. Zu Bürgerprotesten kam es vor allem dort, wo Immobilienbesitzer nur geringe oder keine Kommunikation mit den Bewohnern zu Fragen der Krisenbewältigung bei Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hatten. Steigende Ängste führten zu emotionalen Protesten von Bürgern angesichts der Langzeit–Quarantäne.

Chinas Strategie im Kampf gegen Corona

Überraschend war Präsident Xi Jinping am 10. März nach Wuhan gereist, um vor Ort den Stand der Maßnahmen zu „inspizieren“, generell hatte Ministerpräsident Li Keqiang die Bewältigung der Notsituation zu verantworten - eine doppelt schwierige Aufgabe, denn die rasch eskalierende Corona-Epidemie fiel mit dem quasi „heiligen“ Frühlings-fest 24. – 30. Januar 2020 zusammen. Normalerweise gehen da mittlerweile um die  450 Millionen Chinesen auf teilweise sehr lange Reisen zum obligaten Familienbesuch, Begegnungen mit Freunden, auf Tourismustour. Ab dem 15.Januar bis etwa 10. Feb-ruar hätte sich das Land seine Feiertagsruhe ausgiebig gegönnt. Daraus wurde nichts. Für die Stimmungslage in der Bevölkerung eine psychologisch schwere Belastungsprobe.

Auf dem Höhepunkt der Coronakrise reagierte Chinas Führung rasch: Präsident Xi Jinping hatte als verbindliche Zielstellung in einem Artikel der Zeitschrift „Qiushi Journal“ am 1. März den „Kampf gegen die Epidemie mit wissenschaftlichen und gezielten Maß-nahmen“ angekündigt, um den Sieg in diesem „Volkskrieg“ zu erreichen. Es ging um

  • erhöhte Anstrengungen bei der Schaffung institutioneller Mechanismen zur Epidemie-Schutzvorsorge und -Kontrolle;
  • die qualitative Verbesserung des nationalen Gesundheitsgefahren-Managements durch Wissenschaft und Technologie. Dabei Ausweitung der Kooperationen mit ausländischen Forschungseinrichtungen auch durch Integration von chinesischer und westlicher Medizin; 
  • die Gewährleistung sozialer Stabilität durch die Weiterführung von Reformen und Gesetzen, die den Schutz vor Epidemien erhöhen durch eine bessere Risiko-analyse im gesamten Gesundheitswesen;
  • Schaffung eines koordinierten Systems der Bewertung und Entscheidungsfindung, der Vorsorge und Kontrolle bei Gefahr eines Epidemie-Ausbruchs;
  • die Nutzung der Digitaltechnologie einschließlich der Big Data, künstlicher Intelligenz, Cloud Computing in Regionen, wo ohne Zeitverlust vor einer Epidemie zu warnen ist, für die Nachforschung nach den Virusquellen, den Epidemie-Vorsorgeschutz und die richtige Verteilung der Ressourcen.
  • die Ausweitung der medizinischen Versicherungen und des medizinischen Hilfs-systems für am häufigsten auftretende Krankheiten.
  • Schaffung eines vereinheitlichten Systems von Notfall-Lieferungen entsprechender Materialien und Ausrüstungen.
  • Einrichtung eines Impfstoff-Reservesystems;
  • Verbot des Verzehrs von Wildtieren.

Wirtschaftlich steht im Mittelpunkt, Unternehmenspleiten zu minimieren, insbesondere von kleinen und mittleren Firmen mit bis zu 250 Mitarbeitern. Entlassungen drohen derzeit vor allem dann, wenn Mitarbeiter Forderungen nach vollem Lohnausgleich für vierwöchige oder längere Arbeitsunterbrechungen stellen. Über staatliche Stellen sollen Kompromisse gefunden werden.

Am 29. April verkündete Xi Jinping auf einer Sitzung des Ständigen Ausschusses des Politbüros des ZK der KP Chinas besondere Unterstützung für die Provinz Hubei durch finanzpolitische, steuerliche, direkte finanzielle Kredit- und Investitionshilfen sowie in der Außenhandelspolitik, um die wirtschaftlichen Einbrüche infolge der Coronakrise schrittweise auszugleichen. Beijing wird als Zentrum der Anti-Epidemieforschung rundum ausgebaut. Örtliche Parteikomitees und Regierungen sind „streng“ verpflichtet Arbeitsplätze zu erhalten, neue zu schaffen und den Lebensunterhalt der Bewohner sicherzustellen. Bürger in existentiellen Notlagen werden ausdrücklich vorzugsweise unterstützt.  

Keine selbstlose Solidarität

International folgt China seiner Grundlinie, multilaterale Zusammenarbeit gerade auch in Krisenzeiten umzusetzen. Bemerkenswert war, dass die WHO bereits am 3. Januar 2020 über den Ausbruch einer „neuartigen, bisher unbekannten Lungenkrankheit“ in Wuhan informiert wurde, ab 5. Januar dann täglich intensiv. Bereits am 4. Januar wurde der Direktor des US- „Zentrums für Seuchenbekämpfung und -prävention“ zur Sache informiert. Die dann folgenden Lügen und Verleumdungen zur Coronakrise aus dem Weißen Haus gegen China entsprachen dem Politikstil der regierenden Administration. Umso wirksamer war, dass China vor allem in Entwicklungsländer Experten zur Coronavirus-Bekämpfung entsandte und Schutzausrüstungen sowie medizinisches Material lieferte. Ebenso nach Italien, Tschechien, Ungarn. Und Deutschland nutzt auf seine Weise Möglichkeiten zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Am 27. April präsentierte sich Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer auf dem Flughafen Leipzig, um der Anlieferung von 10,3 Millionen Schutzmasken aus China durch das größte Frachtflugzeug der Welt beizuwohnen, eine von der Ukraine für die Bundeswehr gemietete noch aus sowjetischer Zeit stammende AN-225. Mit kleineren AN-124 werden weitere 15 Millionen Schutzmasken importiert.

Das internationale Engagement Chinas ist zweifelsfrei kein selbstloser Samariterdienst, sondern greifbare Hilfe zur Coronakrisen-Bekämpfung, zugleich orientiert auf die Durchsetzung eigener Interessen. Basierend auf den Prinzipien der friedlichen Koexistenz geht es Peking darum, in einer „multipolaren Welt“ die Globalisierung als langfristigen Prozess mitzugestalten. Für die EU und China ein neuer Bereich, um eine langfristige komplexe Kooperation zu starten.

Übergreifend wird in China deutlich, dass diese Krise institutionell und technisch Entwicklungen beim Ausbau des „Sozialismus chinesischer Prägung“ befördert, indem die politische Rahmensetzung durch die Partei für den Ausbau marktwirtschaftlicher Strukturen bei zentraler makroökonomischer Steuerung vorangetrieben wird. Die gleichzeitige Erweiterung der Handlungsspielräume für die Privatwirtschaft befördert eine Produktivkraft-Entfaltung, die es immer wieder flexibel zu kanalisieren gilt. Für die KP Chinas ist dabei entscheidend, diese hohe Entwicklungsdynamik gesamt-gesellschaftlich in soziale Gerechtigkeit, soziale Stabilität und soziale Sicherheit umzusetzen. Die Coronakrise belegt, dass das ein komplexer Lernprozess ist, der zu einer höheren Qualität des Gesundheitssystems führen muss, damit verbunden ebenso zu einer neuen Stufe innenpolitischer Transparenz.   

Auf der 3. Tagung des 13. Nationalen Volkskongresses wird ab 22. Mai 2020 in dieser Richtung Bilanz gezogen und zum 14. Fünfjahrplan 2021 - 2025 beraten, wie es in näherer Zukunft gesellschaftspolitisch weitergehen soll. Das umso mehr, da am 1. Juli 2021 der 100. Jahrestag der Gründung der KP Chinas begangen wird mit einem umfassenden Rückblick und Vorausschau auf Schwerpunkte beim Aufbau des „Sozialismus chinesischer Prägung“ bis zum 1. Oktober 2049, dem 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik.


 

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