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Katrin Voß und Andreas Bohne

Corona-frei in den Wahlkampf

Tansania ist Corona frei. So ließ zumindest Präsident John Magufuli vor wenigen Tagen verlauten. Dies wird nicht nur von Seiten der Internationalen Weltgesundheitsorganisation (WHO) angezweifelt, sondern erscheint auch vor dem Hintergrund der bislang sehr lockeren und frühzeitig zurückgenommenen Maßnahmen als nicht sehr realistisch. Hinter Magufulis Erklärung trotz aller Zweifel stecken wahlpolitische Überlegungen.

Ein tansanischer Aktivist berichtet, in Tansania seien die Corona-Tests nahezu völlig eingestellt. Ausnahmen gelten lediglich für Fernfahrer im grenzüberschreitenden Verkehr. Neue Erkrankungs- oder Todesfälle werden verschwiegen. Aus dem Gesundheitsministerium gibt es seit April keine neuen Angaben zum Covid-19-Verlauf. Weder in öffentlichen Verkehrsmitteln noch in Geschäften oder religiösen Einrichtungen werden Masken getragen oder andere Schutzmaßnahmen angewendet. Das öffentliche Leben geht scheinbar unverändert weiter.

Magufuli beschreitet in der Verleugnung der globalen Pandemie den Weg, den vor ihm bereits andere Präsidenten wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro gegangen sind. Es geht ihnen dabei nicht nur um den Glauben an die eigene Allmacht, sondern vor allem um den politischen Machterhalt und die Gunst einer potenziellen Wählerschaft. Der Wahlkampf, für die Ende Oktober anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, scheint bereits vor dem offiziellen Start begonnen zu haben.

Wie in den meisten afrikanischen Staaten ist auch in Tansania die Mehrzahl der Bevölkerung im informellen Sektor beschäftigt. Die armen Schichten waren von den wenigen Maßnahmen zur Eindämmung des Virus am härtesten betroffen. Sie leben fast ausschließlich vom Tagesgeschäft und können weder auf Rücklagen zurückgreifen oder Sozialversicherungssysteme in Anspruch nehmen. Genau diese Gruppe ist nur allzu gern bereit, den Worten Magufulis eines Corona-freien Landes zu folgen, können sie dadurch ins normale Alltagsgeschehen zurückkehren. Gerade von dieser am stärksten gefährdeten Gruppe wird Magufuli verehrt wie ein Held. Dass er für sein politisches Kalkül genau ihr Leben riskiert, wird dabei übersehen.

Ob und inwieweit Magufuli dagegen Covid 19 für Einschränkungen der Oppositionsparteien während des Wahlkampfes nutzen wird, ist derzeit noch nicht absehbar. In den fünf Jahren seiner Amtszeit zeigte sich jedoch deutlich, dass er mit unterschiedlichen Mitteln versucht, seine politischen Gegner*innen zu schwächen. So werden oppositionelle Kräfte immer wieder unter Druck gesetzt. Gegen viele der Oppositionspolitiker*innen laufen Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung, Volksverhetzung oder ähnlichem. Wer diesem Druck nicht standhält, wechselt zur Regierungspartei CCM. In der letzten Legislaturperiode haben bereits 12 Parlamentarier*innen diesen Schritt gewählt. Gewalttätige Übergriffe mehren sich. Unlängst wurde auf den derzeitigen Parteiführer der konservativen Oppositionspartei Chadema, Freeman Mbowe, ein Attentat verübt. Als "populärster" Anschlag der vergangenen Jahre gilt sicherlich der Überfall auf den langjährigen Chadema Vorsitzenden Tundu Lissu 2017, der wie durch ein Wunder, die 16 auf ihn abgefeuerten Schüsse, überlebte.

Tundu Lissu wird sicherlich eine Schlüsselrolle im anstehenden Wahlkampf zufallen. Der derzeit aus Sicherheitsgründen noch in Belgien lebende Politiker plant bereits seine Rückkehr in die Politik. Er könnte die Person sein, hinter der sich eine breite Allianz gegen Magufuli vereint. So stehen er und der Parteiführer, der sich links verorteten Partei ACT, Zitto Kabwe, seit längerem im Austausch. Auch Kabwe gelang es den Einfluss seiner Partei in den letzten Monaten deutlich zu vergrößern. Dazu trug nicht nur eine fundierte Oppositionspolitik bei, sondern ebenso der Übertritt vieler Mitglieder der liberalen CUF. Damit dürfte die ACT von vielen ehemaligen CUF Stammwähler*innen profitieren, die insbesondere auf Sansibar vertreten sind. Inwieweit ideologische Differenzen eine mögliche Allianz beeinträchtigen, ist noch schwer abzuschätzen. Das Ziel, Präsident Magufuli abzulösen, ist jedoch ein starker Kitt der Differenzen verschließen könnte. Eine weitere große Herausforderung für eine mögliche breite Allianz ist die staatliche Wahlkommission. Fest in der Hand der Regierungspartei ist von ihr kaum eine unabhängige Arbeit zu erwarten. Bereits während der letzten Wahl wurden dieser Kommission Unregelmäßigkeiten ihrer Arbeit, zugunsten der CCM, vorgeworfen. Der Wahlkampf wirft seine Schatten voraus, bevor er gestartet ist.


Dieser Artikel wurde überarbeitet. Das Original erschien zunächst am 18. Juni 2020 im Neuen Deutschland.


 

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