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Walter Baier

Stimmt die Richtung?

Für die Kommunistische Partei Österreichs (KPÖ), die bei der Nationalratswahl 2019 im Rahmen eines Bündnisses kandidierte, ist das Ergebnis bitter. Sie erlitt auf niedrigem Niveau wiederum einen Verlust.

Dabei soll man sich vor vereinfachenden Interpretationen hüten:

Oft heißt es, diese Wahl sei ungewöhnlich gewesen. Aufgrund der Polarisierung und des Mobilisierungsschwungs der Grünen sei eine alternative linke Kandidatur von allem Anfang an chancenlos gewesen.

Die Wahl 2019 war im Unterschied zu 2017 nicht durch die Themen Sicherheit und Migration dominiert. Im Vordergrund standen die Korruption der FPÖ und die Umweltkrise. Das ist gut und auch für eine alternative Linke per se keine unfreundliche Konstellation. Allerdings verfügt die KPÖ im Bereich der Umweltpolitik über kaum entwickelte Positionen und eine nur geringe Glaubwürdigkeit.

Den Ausgangspunkt einer Analyse bildet die Krise des überkommenen, österreichischen Parteiensystems, die bis in 1980er Jahre zurückreicht. Die verfestigten Parteiloyalitäten haben sich aufgelöst. Wir sehen starke Schwankungen in den Ergebnissen der Parteien. Neue Parteien entstehen und vergehen. Die Koalition zwischen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) und der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP), prägend für die Geschichte der Zweiten Republik, ist nur mehr eine unter mehreren Optionen.

So erleben wir eine „Schicksalswahl“ nach der anderen, die links von der Mitte immer durch die Frage geprägt sind, ob und wie die rechtsradikale, deutschnationale Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) von der Regierung ferngehalten werden kann.

Eine lang anhaltende Rechtsentwicklung

Die seit drei Jahrzehnten im Abstieg befindliche Sozialdemokratie erreichte einen weiteren Tiefpunkt. Man muss sich den Trend in Erinnerung rufen:

Hatte die SPÖ 1986 noch 43 Prozent der Stimmen, und landete sie 2008 bei 29,3 Prozent, so erreichte sie 2019 nur mehr 21,22 Prozent.

Man könnte denken, dieser Rückgang werde von den Grünen aufgefangen. Das trifft jedoch nur im Vergleich zu 2017 zu. In der Langzeitperspektive zeigt sich ein anderes Bild:

1986 machte die Summe der für die SPÖ, die Grünen und die KPÖ abgegebenen Stimmen 49 Prozent aus. 2008 kamen die drei Parteien bei der Nationalratswahl zusammen auf 41 Prozent.

Bei den Wahlen 2017 und 2019, bei denen mit Jetzt und Wandel zwei neue, zumindest in der Wahrnehmung vieler, „linke“ Parteien hinzugekommen waren, sank der gemeinsame Stimmenanteil auf 38 Prozent.

Die Rechtsentwicklung im Trend ist evident.

Man muss zudem den qualitativen Aspekt berücksichtigen: Ein Votum für die SPÖ war, und ist, ein Klassenvotum, während ein Votum für die Grünenan einer kulturellen Konfliktlinie ansetzt.

Nicht die Prominenz, die Fragen der Kultur und der Lebensweise in der heutigen Politik einnehmen, ist ein Problem, sondern die gleichzeitige Stilllegung der Klassenperspektive. Ihre Übersetzung in kulturelle Konflikte ist charakteristisch für die neoliberale Hegemonie und bildet die Hauptursache der Rechtsentwicklung.

Aber wie sollen die 16 Prozent für die FPÖ erklärt werden?

Was kann eigentlich noch alles passieren, ohne dass was passiert: das Ibiza-Video, der Rauswurf aus der Regierung, die Aufdeckung der Korruption in der Endphase des Wahlkampfs – und dann werden die Deutschnationalen noch immer von 16 Prozent der Wählenden unterstützt?

2002, in einer ähnlichen Situation, verlor die FPÖ zweidrittel ihrer Stimmen, stürzte auf 10 Prozent ab und spaltete sich. Man muss also feststellen, dass die FPÖ zwischen 2002 und 2019 den Sockel ihrer konsolidierten Stammwähler_innenschaft von 10 Prozent auf 16 Prozent ausweitete.

Die These, dass die Wahlen 2019 unter für die Linke außerordentlich ungünstigen Umständen stattgefunden haben, ist somit schon mit Blick auf die Vergangenheit fragwürdig. Vor allem aber besagt sie nichts für die Zukunft. Denn die Krise des Parteiensystems, die Rechtsentwicklung und die Stabilisierung bzw. die Integration des Neofaschismus ins politische System sind strukturelle, langfristige Tatsachen.

Das Problem der Linken, einschließlich der KPÖ, sind daher nicht die Umstände, sondern sie selber.

 

Zum Abschneiden des Bündnisses „Wir können“ * und des „Wandel“ **

Dass das Bündnis „Wir können“, in dem die KPÖ agierte, zumindest ein sichtbares Ergebnis erzielt hat, das knapp aber doch über dem des „Wandel“ liegt, verdankt sich dem Einsatz von einigen Hundert Aktivist_innen, einem sehr glaubwürdig auftretenden Spitzenkandidaten und den Bündnispartner_innen der KPÖ.

Der Bundesvorstand der KPÖ muss sich dennoch fragen, ob die Wahlkampflinie, die ja im Wesentlichen ein im Hinblick auf die bevorstehenden steirischen Landtagswahlen mit der steirischen KPÖ geschlossener Kompromiss war, geeignet ist, die Partei bundespolitisch fitter zu machen.

Wenn die Wahlkampflinie darauf zielte, durch eine Engführung auf Mietenpolitik und die Kritik an hohen Politiker_innengehältern, zu punkten, was einherging mit der Ausklammerung einiger progressiver Forderungen, die traditionell von der KPÖ vertreten werden, so ist das Ergebnis ernüchternd. Weder ist gelungen, in das traditionelle SPÖ-Potential in nennenswertem Ausmaß einzudringen noch einen sichtbaren Teil der 1,6 Millionen Nichtwähler_innen zu gewinnen, und ebenso wenig konnte man aus dem großen Potential der enttäuschten FPÖ-Wähler_innen schöpfen. Von diesen 500.000 Stimmen gingen 258.000 an die ÖVP und 235.000 an die Nichtwähler_innen.

Gleichzeitig erlitt die KPÖ bzw. das Bündnis „Wir können“ Verluste in den großen Städten. Sie verlor selbst in der steirischen Landeshauptstadt Graz, obwohl die beliebte KPÖ-Stadträtin Elke Kahr an zweiter Stelle auf der Bundesliste kandidierte.

In Graz verlor die KPÖ auf einem (im Vergleich zu den Gemeinderatswahlen) sehr niedrigem Niveau. Ebenso wie in Wien und in den Landeshauptstädten kam es in Graz zu einem politischen Erdrutsch zugunsten der Grünen. Doch in Graz fällt dieser extrem aus: Die Wählerunterstützung für die Grünen stieg dort von 6 Prozent auf 27 Prozent.

Kann also das schlechte Abschneiden der KPÖ mit der „grünen Welle“ erklärt werden?

Die 660.000 Stimmen der Grünen setzen sich folgendermaßen zusammen:

- 193.000 ehemaligen SPÖ-Wähler_innen

- 154.000 Stimmen der Grünen von der letzten Wahl

- 91.000 von den Neos

- 59.000 von Jetzt

- 54.000 von der ÖVP

- 28.000 Nichtwähler

- 23.000 „Sonstige“

An die Grünen hat die KPÖ eine beträchtliche Stimmenzahl abgeben müssen. Dass sie sich im Wahlkampf polemisch und undifferenziert gegen jede Art von CO-2-Steuer ausgesprochen hat, hat sicher nicht geholfen diesen Effekt abzumildern.

Das führt zur nächsten Frage, nämlich den rund 22.000 Stimmen der Partei „Wandel“.

Mit der Wahlteilnahme von „Wandel“ ist der bisherige Anspruch der KPÖ, als einzige Partei fähig zu sein, das Spektrum links von Sozialdemokratie und Grünen bei nationalen Wahlen zu repräsentieren, aufgehoben. Jeder weitere Versuch, eine Einheit dieser Linken im Rahmen der KPÖ verwirklichen zu wollen, ist obsolet.

Das Bündnis unter Beteiligung der KPÖ hat bei dieser Wahl mit 32.484 Stimmen 0,68 Prozent der Stimmen bekommen. Der „Wandel“ bekam 21.902 Stimmen und damit 0,46 Prozent.

Alle diese Stimmen haben eines gemeinsam: Sie wurden bewusst links von Sozialdemokratie und Grünen abgegeben – trotz des allgemein konstatierten Trends unter linken Wähler_innen, aus taktischen Gründen SPÖ oder die Grünen zu wählen.

Die sich daraus ergebende Wahrheit ist konkret und eindeutig.

Zählt man diese Stimmen zusammen, so ergibt sich, dass 2019 auf dem gegebenen niedrigen Niveau um 37 Prozent mehr Stimmen links von der SPÖ und den Grünen abgegeben wurden, als 2017.

Schlussfolgerungen

  • Die österreichische Linke und die KPÖ müssen sich darauf einstellen, dass die konstatierten ungünstigen Faktoren struktureller Natur sind. Wenn es nicht gelingt, die Strategie auf diese einzustellen, werden sie sich von Wahl zu Wahl immer ungünstiger auswirken.

  • Der grundsätzliche Mangel des österreichischen Parteiensystems, dass nämlich eine bundesweit wirksame, systemkritische linke Partei fehlt, besteht weiterhin. Die angesichts der Umstände skurrile Tatsache konkurrierender Kandidaturen zweier linker Kleinparteien mit sehr ähnlichen Programmen zeigt allerdings auch, dass das Potential für die Linke größer ist, als es im Stimmenergebnis der KPÖ zum Ausdruck kommt.

  • Das Fehlen einer wirksamen Linkspartei wird in breiteren Kreisen als ein Mangel wahrgenommen. Das ist nicht nur an der Teilnahme der Partei „Wandel“ an der Wahl abzulesen. Wie sich die sichtbar gewordenen Differenzierungserscheinungen in der SPÖ und die Widersprüche bei den Grünen entwickeln, falls es zur Koalition mit der ÖVP kommt, ist nicht abzusehen. Die KPÖ kann nicht entscheiden, ob Neues entsteht. Sie muss sich allerdings entscheiden, ob sie sich daran beteiligen will oder nicht. Dazu muss sie innere Voraussetzungen schaffen:

    • Vor allem muss sie sich von der Idee verabschieden, dass sie selbst das organisatorische Dach und das Label darstellen wird, unter dem sich alle systemkritischen Kräfte vereinigen würden. Dieses Dach wird einen anderen Namen und eine andere organisatorische Struktur haben.

    • Die KPÖ muss zu ihren eigenen Qualitäten stehen. Sie ist eine in sozialen und politischen Kämpfen erfahrene Partei, die sich speziell an die sozial benachteiligten Menschen wendet, deren Interessen sie vertritt. Das ist es, was sie einer neuen linken Partei mitzugeben hat.

    • Die KPÖ hat sich seit dem Fall der Mauer sehr verändert. Sie sollte sie sich keinen Rückschritt gestatten, sondern sich darum bemühen, ihre Erkenntnisse im Hinblick auf das Bild der heutigen Arbeiter_innenklasse und die neuen Probleme der Gesellschaften (Ökologiekrise, Migration, Digitalisierung der Arbeitswelt, Feminisierung, Prekarität) weiterzuentwickeln und zu vertiefen.

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*) Der Name des Bündnisses, an dem sich die KPÖ beteiligte, lautete „Wir können“. Als Kurzbezeichnung, die neben dem Langnamen in Versalbuchstaben auf dem Stimmzettel steht, wurde mit Rücksicht auf die bevorstehenden Landtagswahlen in der Steiermark als „KPÖ“ festgelegt.

**) Der „Wandel“ ist eine neu entstandene Kleinpartei mit einem Programm, das sie links von Sozialdemokraten und Grünen lokalisiert.


Walter Baier ist Mitglied des Bundesvorstands der KPÖ. Er war von 1994 – 2006 ihr Parteivorsitzender.


 

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.