Kein Verrat, sondern verantwortliche Politik
Das aufgezwungene Memorandum von 2015 war Ausdruck der Kräfteverhältnisse in Europa. SYRIZA musste daraus Konsequenzen ziehen. Für einen Grexit, also den angedrohten Rauswurf bzw. einen selbst veranlassten Ausstieg aus dem Euro, gab es weder einen überzeugenden Plan noch eine demokratische Legitimation. Die Neuwahlen gaben der neuen Regierung das Mandat für den Spießrutenlauf der letzten drei Jahre. Frustriert die Flinte ins Korn zu werfen, wäre damals ein leichtes gewesen. Sich der Aufgabe zu stellen, wie es Tsipras, Finanzminister Efklidis Tsakalotos und ihre griechischen Genossinnen und Genossen taten, verdient höchsten Respekt. Die SYRIZA-Regierung musste in den vergangenen drei Jahren über 450 Einzelmaßnahmen aus den Auflagen der Gläubiger umsetzen. An eigenständige Vorhaben war aus Geld- und Zeitmangel kaum zu denken, auch wenn an der einen oder anderen Stelle linke Akzente gesetzt werden konnten. Umgesetzt wurden aber nicht nur Kürzungen und regressive Steuererhöhungen, sondern auch Maßnahmen für den Aufbau eines modernen Staats, die auch aus linker Sicht überfällig waren. Mit der Einigung im Namensstreit mit der mazedonischen Regierung konnte zudem ein jahrzehntelanger Nachbarschaftsstreit beendet werden. Der Einsatz war also nicht umsonst. Mit dem Abschluss des laufenden Kreditprogramms ist Griechenland seinen Gläubigern noch längst nicht entronnen. Ein wichtiger Schritt zu mehr Souveränität ist aber getan. SYRIZA kann nun mit einer detaillierten Wachstumsstrategie in den nächsten Wahlkampf ziehen. Nach und nach werden sich die Spielräume zur Verbesserung der sozialen Lage erhöhen. Ab sofort endet die Ära, in der jegliche Maßnahme bis ins Detail mit den Gläubigern abgestimmt werden muss. SYRIZA hat versucht, aus schwierigsten Umständen das Beste zu machen. Ein tiefgreifender Wandel lässt sich nicht per Ordre de mufti beschließen. Argumente, Griechenland hätte sich mit einem Ausstieg aus dem Euro bessere Politikchancen verschafft, haben mich nie überzeugt. Entsprechende Pläne setzen Zugeständnisse der europäischen Partner voraus, die unrealistisch sind. Innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen Kompromisse zu schließen, zugleich aber seinen langfristigen Zielen treu zu bleiben, ist ein schwieriger Spagat, den die Linkspartei hierzulande aus Regierungsbeteiligungen in den Ländern und auf kommunaler Ebene kennt. Unter begrenzten Spielräumen konkrete Politik zu machen, ist jedenfalls kein Verrat, sondern verantwortliche Politik.
Axel Troost ist Vizevorsitzender der Partei DIE LINKE und Senior Fellow für Wirtschafts- und Europapolitik bei der Rosa Luxemburg Stiftung.
Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.