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Alicja Flisak

Widerstand von unten

Das Patriarchat in Polen hat eine doppelte Basis. Die eine ist die traditionelle, katholische Familie, die andere ist der Staat, der seit Jahren keine emanzipatorische Politik betreibt. Die Machtübernahme durch die konservative Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) im Jahre 2015 und die damit einhergehende, wachsende Verflechtung der Politik mit der katholischen Kirche brachte eine reale Gefahr der Konsolidierung von restriktiven Geschlechterrollen für Frauen mit sich. Das Thema der sexuellen Selbstbestimmung und der Einschränkung der reproduktiven Rechte, ist seitdem ein ständig wiederkehrendes Element der öffentlichen, politischen Debatte, und die Kämpfe gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes mobilisieren eine neue, gesellschaftlich breit aufgestellte feministische Bewegung.

Im März gab der Ausschuss für Justiz und Menschenrechte eine positive Stellungnahme zu der Gesetzesinitiative »Stoppt die Abtreibung« ab. Das Gesetz würde die Option des Schwangerschaftsabbruches aufgrund schwerer Schädigung des Fötus aufheben. Dies beträfe aktuell 95 Prozent der circa 1.000 legalen Schwangerschaftsabbrüche, die in Polen durchgeführt werden.

Erneute Protestwellen

Zu der fatalen Lage haben die polnischen katholischen Bischöfe deutlich beigetragen, indem sie in einem im März 2018 verfassten Brief die Wiederaufnahme der legislativen Arbeit an der Gesetzesinitiative gefordert haben. Diese Entwicklung löste erneut eine Protestwelle aus.

Bereits am 3. Oktober 2016, gingen in ganz Polen 90.000 Menschen auf die Straße, um an dem Schwarzen Protest (Czarny Protest) gegen die geplante Verschärfung zu demonstrieren. Damals wurde eine Gesetzesinitiative ins Leben gerufen und ein Gesetzentwurf vorbereitet, welcher den Schwangerschaftsabbruch komplett verbieten sollte. Dabei hat Polen bereits eine der schärfsten Abtreibungsgesetzgebungen Europas, die einen Abbruch nur dann ermöglicht, wenn die Gesundheit oder das Leben der schwangeren Person gefährdet ist, wenn die Schwangerschaft Folge einer Straftat war, oder wenn pränatale Untersuchungen eine unheilbare Krankheit oder unumkehrbare fetale Behinderung aufdecken. Die Regierungspartei hat zuerst das Vorhaben unterstützt, doch aufgrund des großen Widerstandes wurde das Gesetz vorerst abgelehnt.

Unmittelbar nach dem ersten Schwarzen Protest, entstand ein neues Regierungsprojekt, das ironischerweise »Für das Leben« heißt. Es handelt sich um eine Einmalzahlung in Höhe von ca. 1.000 Euro für Schwangere, die sich für die Geburt eines Kindes entscheiden, das eine schwere und irreversible Beeinträchtigung hat, oder bei dem eine unheilbare, lebensbedrohliche Krankheit diagnostiziert wurde. Diese brutale und menschenverachtende Sozialpolitik war eine Vorbereitung auf weitere Versuche, den Schwangerschaftsabbruch zu verbieten. Seitdem wurden auch weitere Restriktionen vorgenommen, die sich negativ auf die reproduktive Gesundheit oder Frauenrechte auswirken. So wurde zum Beispiel, trotz der von der EU-Kommission beschlossenen Aufhebung, die Rezeptpflicht für die Notfall-Kontrazeptiva (»Pille danach«), wieder eingeführt. Eine Verschreibungspflicht ist ein Nachteil vor allem für die Menschen, die sich in einer schwierigen, sozio-ökonomischen Lage befinden, die außerhalb von Großstädten leben, für Jugendliche oder für diejenigen, die sexuelle Gewalt erfahren haben. Die Verschreibungspflicht bedeutet, dass ein Besuch bei dem Frauenarzt oder der Frauenärztin notwendig ist, was in Polen nicht immer problemlos und zudem kostspielig und zeitaufwendig ist.

Laut Schätzungen der feministischen Organisationen werden jährlich 80.000 bis 200.000 Schwangerschaftsabbrüche im Ausland oder illegal durchgeführt, wobei eine genaue Zahl sich aufgrund der rechtlichen Lage nicht ermitteln lässt. Da die Ärztinnen und Ärzten einen Schwangerschaftsabbruch unter Berufung auf die Gewissensklausel verweigern dürfen und nicht verpflichtet sind, die Schwangere an eine andere Stelle zu vermitteln, können selbst jene Personen, die das Recht auf einen Abbruch hätten, ihre Rechte nicht immer durchsetzen. Allgemein bekannt ist jedoch, dass es trotz des Verbots in Polen nicht schwierig ist, eine Schwangerschaft zu beenden, doch das kann bis zu 1.000 Euro kosten. Viele, die durch eine ungewollte Schwangerschaft in eine Notlage geraten, machen sich deshalb auf den Weg ins Ausland. Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 1992 ist die Organisation und Nutzung solcher Dienste legal. Deshalb funktioniert seit einigen Jahren in Berlin eine Aktivistinnen-Gruppe Ciocia Basia (Tante Barbara), die schwangeren Personen aus Polen hilft, einen Schwangerschaftsabbruch in Deutschland sicher und straffrei zu organisieren. Aus ihren beschränkten Mitteln finanzieren sie auch Schwangerschaftsabbrüche für Personen, die die Kosten selbst nicht tragen können. Für das gesellschaftliche Engagement bekam Ciocia Basia 2017 den Clara-Zetkin-Frauenpreis. Ein Abtreibungsverbot führt nicht zur Senkung der Anzahl solcher Eingriffe, sondern zur Marginalisierung der Ärmsten in der Bevölkerung, die sich einen Abbruch nicht leisten können. Trotzt der Enttabuisierung des Themas in der Öffentlichkeit und der damit einhergehenden voranschreitenden Legitimierung der Forderung nach Auflockerung der Gesetzeslage, scheint eine Änderung vorerst nicht umsetzbar. Laut Umfragen des polnischen Meinungsforschungszentrums CBOS, sind 34 Prozent der polnischen Bevölkerung für eine Liberalisierung und 49 Prozent für den Erhalt des bisherigen Gesetzes. Nur neun Prozent der Befragten haben sich für eine Verschärfung ausgesprochen.

Gefahr des Freiheitsentzugs

Der Wahlerfolg der Rechts- und Gerechtigkeitspartei 2015 brachte die Gefahr des Freiheitsentzugs für die in Polen lebenden Frauen mit sich und war ein unmittelbarer Grund für die Organisation der neuesten Kämpfe für reproduktive Rechte. Über den Erfolg haben die Proteste und die Mobilisierung außerhalb der Großstädte entschieden. Zu weiteren bestimmenden Einflussfaktoren gehörten eine positive Berichterstattung der Mainstream-Medien, eine hohe internationale mediale Aufmerksamkeit sowie Unterstützung und Solidarität aus dem Ausland. Durch die soziale Vielfalt der feministischen Proteste, die sich u. a. in Alter, Klassenzugehörigkeit oder Bildung widerspiegeln, wurde bewiesen, dass der Kampf um reproduktive Rechte und sexuelle Selbstbestimmung entgegen der weit verbreiteten Überzeugung eine egalitäre Natur hat. Die neue feministische Bewegung mobilisiert nicht nur für Themen wie reproduktive Rechte oder sexuelle Selbstbestimmung, sondern organisiert einen allgemeinen Widerstand gegen die Regierung und die neoliberale Opposition, die in Hinsicht auf u.a. Frauenrechte keine emanzipatorischen Positionen vertritt. Aus dem ersten Schwarzen Protest entstanden weitere Bewegungen zum Beispiel gegen die Zerstörung des Białowieza-Urwalds, Luftverschmutzung, die Abhängigkeit der Gerichte von der Exekutive, die Duldung faschistischer Organisationen durch die Regierung sowie gegen Verletzungen der Arbeiterinnenrechte, die alle den konservativen Konsens hinterfragen. Die polnische feministische Bewegung ist ein Beweis dafür, dass ein selbstorganisierter Widerstand von unten möglich ist. Es ist nicht nur die größte Mobilisierung im Kampf um reproduktive Rechte seit 1993, sondern auch die einzige Bewegung, die es geschafft hat, einen Gesetzvorschlag der neuen Regierung zu stoppen.

Firdaus Latif, CC BY-NC-ND 2.0

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