Schlechte Aussichten
Am kommenden Sonntag wählt Ungarn sein neues Parlament. Umfragen deuten darauf hin, dass die Machtverhältnisse sich kaum ändern werden. Wahrscheinlich wird die Koalition aus vormals liberaler, heute national-konservativer und rechtspopulistischer Fidesz und rechtskonservativer KDNP wieder eine bequeme Mehrheit erreichen. Dennoch überzieht die regierende Partei des Ministerpräsidenten Viktor Orbán das Land mit einer Hasskampagne.
Nach den Umfrageergebnissen von Mitte März kann die Regierungspartei mit mehr als der Hälfte der Stimmen rechnen, während die nationalistische Jobbik um die 15 Prozent erzielen wird. Die Werte für das Wahlbündnis aus Sozialisten (MSZP) und der grünen „Dialog“-Partei schwanken um 10 Prozent, während die Grünen (LMP), die sozial-liberale Demokratische Koalition, die sozial-liberale Együtt, die Satirepartei MKKP und die neue liberal-konservative Bewegung Moment mit Ergebnissen unter zehn Prozent rechnen müssen. Derzeit haben neben Fidesz/KDNP nur Jobbik, MSZP/Dialog, LMP, und Demokratische Koalition eine Chance die 5-Prozent-Hürde zu nehmen.
Der offizielle Wahlkampf begann Mitte Februar. Mit Plakaten und Straßenständen können die Parteien seitdem für ihre Positionen werben. Fidesz, die regierende Partei des Ministerpräsidenten Orbán, nutzt jedoch bereits seit 2015 als „Bürgerinformation“ bemäntelte Postwurfsendungen an alle Haushalte des Landes, um ihre Kampagne zu verbreiten.
Hauptsächlich geht es darin um Feinde, die das Land von innen und außen bedrohen. Seien es Flüchtlinge oder der US-Investor mit ungarischen Wurzeln, George Soros, die quasi in Kooperation danach trachten, das Land zu unterminieren. Die politische Opposition, die auf keinen Fall gewinnen dürfe, sei in diesen perfiden Plan involviert. Orbán suggeriert, dass das Land und Europa langsam und unmerklich von Muslimen eingenommen werden. „Der Westen wird fallen“, so der Ministerpräsident in seiner Rede zur Lage der Nation. Doch aufgrund seiner antiwestlichen und antisolidarischen Politik verliert er immer mehr Zustimmung im Mitte-Rechts Lager und wendet sich daher der extremen Rechten zu.
Da Fidesz die regionalen und zentralen staatlichen Medien sowie einen Großteil der privaten nationalen Nachrichtensender weitgehend kontrolliert, hat die Partei die Möglichkeit, die Gedankenwelt der Bevölkerung in ihrem Sinne zu manipulieren. Geschickt nutzt Orbán dabei seit Langem in der ungarischen Gesellschaft schwelende Ängste aus. Starke Ressentiments gegen Flüchtende sind weit verbreitet, auch wenn die meisten UngarInnen noch nie einen in persona zu Gesicht bekommen haben. Es ist eine symbolische Angst, die sich gegen alles Fremde und Andersartige richtet.
In den von Fidesz kontrollierten Medien dominieren wirtschaftliche Erfolge, die allerdings stark geschönt werden. Das Wirtschaftswachstum ist beachtlich, und auch die Löhne sind relativ stark gestiegen. Unter Berücksichtigung der Inflation sieht das Resultat jedoch wesentlich bescheidener aus. Die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung profitieren von der Entwicklung, während die Mehrheit mit einer der höchsten Mehrwertsteuern der Welt von 27 Prozent geschröpft wird. Ihre Absenkung für einige ausgewählte Lebensmittel ab 1. Januar d. J., also unmittelbar vor den Wahlen, ändert an der Gesamtsituation wenig. Das Arbeitsrecht wird zugunsten der Großunternehmen immer weiter aufgeweicht. Mit der Kampagne gegen die MigrantInnen soll von den eigentlichen Problemen des Landes abgelenkt werden. Auch diejenigen sollen Fidesz wählen, die unter deren Politik leiden.
GegnerInnen der Regierungspartei gehen aus Resignation nicht mehr wählen. Eine Wahlbeteiligung über 70 Prozent würde höchstwahrscheinlich die absolute Mehrheit für Fidesz verhindern. Doch die Opposition tut kaum etwas, um sozial benachteiligte Wählerschichten für sich zu gewinnen.
Während Fidesz Horroszenarien verbreitet, wirbt die Konkurrenz hauptsächlich mit Personenplakaten oder nichtssagenden Slogans. Eine Verbesserung der Lebensbedingungen der BürgerInnen wird kaum zum Thema gemacht.
Kooperation zwischen Dialog, Munkáspárt 2006 und Bálpárt
Für die Parlamentswahlen hat die Arbeiterpartei 2006 (Munkáspárt 2006), Mitglied der Europäischen Linken, ein Kooperationsabkommen mit der Linkspartei (Bálpárt) und der Partei „Dialog für Ungarn“ (Párbeszéd) geschlossen. Gergely Karácsony, der für „Dialog“ im Parlament sitzt und als gemeinsamer Kandidat des Wahlbündnisses ins Rennen geht, stimmt zu, im Falle einer Regierungsbeteiligung das Recht auf Wohnung und auf soziale Sicherheit in der Verfassung zu verankern. Angestrebt wird eine neue Verfassung. Das Abkommen ermöglicht darüber hinaus, dass Munkáspárt und Bálpárt in Wahlbezirken, in denen „Dialog“ KandidatInnen aufstellt, ebenfalls KandidatInnen nominieren können. Im Gegenzug unterstützen die beiden linken Parteien Karácsonys Kandidatur und machen Wahlkampf für ihn.
Munkáspárt und Dialog nähern sich seit Längerem einander an. So waren Mitglieder von „Dialog“ regelmäßig Gast auf dem Sommerfest von Munkáspárt, und es gab gemeinsame Diskussionsveranstaltungen zum Thema Grundeinkommen. Die politische Situation, die Ungarn immer mehr in die rechtsextreme Ecke treibt, zwingt grün-linke Parteien wie Dialog dazu, sich den kapitalismuskritischen Linken anzunähern.
Karácsony ist eines der Gesichter der gegenwärtigen Anti-Soros-Kampagne von Fidesz. Ein Plakat, das den US-Investor Soros in inniger Umarmung mit den Vorsitzenden der konkurrierenden Parteien zeigt, wurde im ganzen Land verbreitet. Sie halten Werkzeuge in der Hand, mit denen sie offensichtlich gerade einen Zaun beseitigen. Untertitel: „Sie würden die Grenze zerstören.“ Gemeint ist der Grenzzaun, den Orbán 2015 gegen die MigrantInnen an der kroatischen und serbischen Grenze errichten ließ. Eine drastische Demonstration der Methode der Regierungspartei, alle, die nicht ihre Position teilen, zu Staatsfeinden zu erklären und mit dem Thema Migration eine regelrechte Paranoia zu entfesseln.
Attila Vajnai, Vorsitzender von Munkáspárt 2006, befürchtet, dass die weitgehenden Anschuldigungen im Wahlkampf zukünftig zu Sanktionen gegen die betroffenen Oppositionsparteien führen werden. Das hat er selbst bereits erlebt. Er wurde aufgrund seiner politischen Tätigkeit am Arbeitsplatz diskriminiert und schließlich entlassen. Obwohl er vor dem Arbeitsgericht erfolgreich dagegen klagte, wurde seine Entlassung nach 25-jähriger Arbeitspraxis nicht rückgängig gemacht. Das Arbeitsrecht sei so aufgeweicht, dass ein Engagement in Oppositionsparteien inzwischen riskant und existenzgefährdend sei.
„Testwahl“ in Bieberfeld – Ist Fidesz doch zu schlagen?
Bei einer als Testwahl angesehenen Bürgermeisterwahl in der Stadt Hódmezövásárhegy (dt. Bieberfeldmarktplatz) Ende Februar konnte sich der von der gesamten Opposition unterstützte unabhängige Kandidat Peter Marki-Zay gegen den Fidesz-Kandidaten mit 58 zu 42 Prozent durchsetzen. Als vormalige Hochburg des Orban-Vertrauten János Lázár, der dort bei den letzten Kommunalwahlen 2014 61 Prozent der Stimmen erzielte, gilt diese Wahl als möglicherweise richtungweisend dafür, dass Fidesz auch auf nationaler Ebene zu schlagen sein könnte, Marky-Zay, politisch ein Konservativer, wurde vom gesamten Spektrum der Opposition von der Sozialistischen Partei, über die liberale LMP bis hin zur rechtsradikalen Jobbik unterstützt.
Vajnai sieht darin auch einen Beleg dafür, dass offizielle Umfragen zugunsten der Regierungspartei schöngerechnet werden. Zuvor sprach alles für einen Sieg von Fidesz. Allerdings litt Fidesz‘ Ruf in den letzten Wochen unter einem Korruptionsskandal, in den sowohl Orbán‘s rechte Hand János Lázár als auch sein Schwiegersohn verwickelt sind. Einige ungarische Firmen wurden bereits aufgrund der zweckentfremdeten Verwendung von Geldern von der EU-Antikorruptionsbehörde aufgefordert, mehrere Millionen Euro Fördergelder an die EU zurückzuzahlen. Dieses Thema spielte bei der Kommunalwahl eine große Rolle.
Sollten sich die anderen Parteien darauf konzentrieren, den Kampf gegen Korruption auf lokaler Ebene bürgernah zu präsentieren, sieht Vajnai gute Chancen, dass auch sie in den Wahlkreisen einzelne Mandate gewinnen können. So könne zumindest erreicht werden, dass Fidesz nicht wieder eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit erringt. Eventuell könnte sie sogar die Regierungsmehrheit verfehlen.
Wenn sich die Kandidaten auf soziale Themen fokussierten, etwa auf ein Wohnrecht für alle, stiegen die Chancen für die Wahlallianz aus Sozialistischer Partei und „Dialog“, einzelne Wahlbezirke zu gewinnen.
Allerdings ist die Opposition fragmentiert und schwach. Außerdem erschwert das Wahlgesetz, wonach eine Allianz aus zwei Parteien die 10-Prozent-Hürde, eine Allianz aus drei Parteien gar die 15-Prozent-Hürde überspringen muss, den Zusammenschluss mehrerer Parteien zu einem Wahlbündnis.
Hinzu kommt, dass viele Schlüsselfiguren der demokratischen Opposition weiterhin wichtige Positionen innehaben und die Vorzüge des gegenwärtigen Systems genießen. Sie sehen keinen Bedarf, dies durch eine breite Kooperation mit oppositionellen Partnern zu ändern. Denn stünde ein tatsächlicher Systemwandel an, würde das viele Vertreter der alten Eliten (vor allem aus der vormaligen Regierungspartei MSZP) von ihren Sesseln stürzen. Es reicht also nicht aus, Orbán abzuwählen. Solange die alten Eliten sich an ihre Machtpositionen klammern und kein gleichberechtigtes, demokratisches System geschaffen wird, wird sich nicht viel ändern.
Doch das ist dringend notwendig. Die noch junge Demokratie in Ungarn steht kurz davor, in eine Autokratie abzudriften. Die Wahlen werden zeigen, ob das Land einen weiteren Schritt in dieser Entwicklung geht oder ob es gelingt, den Weg für eine plurale und streitbare politische Kultur zu öffnen. Eine Kultur, die es letztlich ermöglicht, die wahren sozialen Probleme anzugehen, statt sich mit Geschichtsverklärung und herbeigeredeten Feindbildern immer weiter von der Außenwelt abzuschotten und große Teile der Bevölkerung in die Resignation oder die Emigration zu treiben.
Uta Wegner ist Mitarbeiterin im Bereich Internationale Politik der Bundesgeschäftsstelle der LINKEN mit Schwerpunkt Osteuropa.
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