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Michel Brandt

Die verlogene Mission

Am Montag, den 17. Februar, hat die EU eine rein militärische Marinemission zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen beschlossen. Wie genau das passieren soll, ist noch offen. Klar ist: Diese Mission soll keine Menschen aus Seenot retten. Das zeigt deutlich den Zustand europäischer Außen- und Fluchtpolitik: Der kleinste gemeinsame Nenner lautet Abschottungspolitik, die Einhaltung von Menschenrechten bleibt auf der Strecke.

Am Montag, den 17. Februar, hat die EU eine rein militärische Marinemission zur Überwachung des Waffenembargos gegen Libyen beschlossen. Wie genau das passieren soll, ist noch offen. Klar ist: Diese Mission soll keine Menschen aus Seenot retten. Das zeigt deutlich den Zustand europäischer Außen- und Fluchtpolitik: Der kleinste gemeinsame Nenner lautet Abschottungspolitik, die Einhaltung von Menschenrechten bleibt auf der Strecke.

Dass die EU-Marinemission keine Menschen im Mittelmeer retten soll, zeigt bereits ihr geplantes Einsatzgebiet: Mindestens 100 Kilometer vor Libyens Küste, nahe Ägypten, sollen die Kriegsschiffe patrouillieren. Dieses Gebiet ist weit weg von der Hauptfluchtroute von Libyen nach Europa. Die meisten Boote mit Geflüchteten legen im westlichen Teil der Landesküste ab und geraten bereits innerhalb der ersten 100 Kilometer vor der Küste in Seenot. Weil nicht ausgeschlossen ist, dass bei einer Marinemission auch schiffsbrüchige Geflüchtete aus Seenot gerettet werden müssten, soll die Operation gezielt dort zum Einsatz kommen, wo kaum Menschen von Seenot betroffen sind.

Die Militärschiffe der EU, so war es auch bei der Mission ‚EUNAVFOR MED „Sophia“, die im März ausläuft, hatten noch nie das Mandat, Menschen aus Seenot zu retten. Die Mission hat das auch ausdrücklich als Ziel abgelehnt. Es gehe um Schlepper- und Schleuserbekämpfung und, wenn man ums internationale Recht nicht drum rum kam, wurden auch Menschen aus Seenot gerettet. Heiko Maas und weitere EU-Außenminister scheuen sich nicht davor öffentlich zu sagen, dass die geplante Marinemission sofort eingestellt werden soll, wenn sich dadurch mehr Geflüchtete auf den Weg nach Europa machen. Diese Aussage ist zynisch, da ja überhaupt nicht vorgesehen ist, dass die Kriegsschiffe Menschen aus Seenot retten. In anderen Worten: Würden sie es doch tun, wars das.

Der symbolische “Erfolg„ dieser “Grundsatzentscheidung“, den Heiko Maas der deutschen Öffentlichkeit weiß machen will, ist heuchlerisch, wenn man weiß, dass Deutschland laut einer Recherche des Tagesspiegels im Jahr 2019 Waffenlieferungen im Wert von insgesamt 1,3 Milliarden an Länder exportiert hat, die libysche Konfliktparteien militärisch unterstützen. Unter anderem an die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und an Jordanien. Die Bundesregierung begrüßt also die Überwachung eines Waffenembargos, dass sie selbst umgeht. Damit macht sie sich unglaubwürdig.

Das verkündete Ziel der EU-Marinemission, die Überwachung des libyschen Waffenembargos, kann schon deshalb nicht eingehalten werden, weil die Schiffe nur die Seegrenzen Libyens überwachen können und der Waffenschmuggel über die Landgrenzen somit weiterhin stattfinden wird. Auch mit den geplanten Flugzeugen über dem Mittelmeer und dem Überflug mit Satelliten, die nur alle paar Stunden die Wüste überfliegen sollen, lässt sich der Waffenschmuggel nicht unterbinden.

Dass es bei der geplanten Mission im Kern um militarisierte Abwehr von Geflüchteten geht, zeigt die Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache, die als „Nebenziel“ der Operation deklariert wurde. Die EU bildet also weiter libysche Milizen aus, die noch nie einer staatlich-organisierten Küstenwache angehört haben und die schwerste Menschenrechtsverbrechen an Menschen auf der Flucht begehen. Sie fangen Geflüchtete auf ihrer Flucht von Libyen nach Europa im Mittelmeer ab und zwingen sie in libysche Internierungslager zurück, wo sie unter menschenverachtenden Bedingungen eingesperrt, gefoltert, vergewaltigt oder verkauft werden. Diese Menschenrechtsverbrechen an Geflüchteten nimmt die EU für den Ausbau ihrer Festung billigend in Kauf.

Überleben Geflüchtete diese Menschenrechtsverletzungen durch libysche Milizen und gelingt ihnen die Flucht auf das Mittelmeer in Richtung Europa, versucht die EU zu verhindern, dass sie ihr Recht auf ein faires Asylverfahren auf europäischem Boden wahrnehmen können. Doch weniger Seenotrettung führt nicht zu weniger Überfahrten! Seit Anfang 2020 ist sowohl die Anzahl derjenigen gestiegen, die über die zentrale Mittelmeerroute nach Europa geflohen sind, als auch die Zahl derjenigen, die völkerrechtswidrig zurück nach Libyen verschleppt wurden.

Es ist offensichtlich, dass die EU alles dafür tut, um Geflüchtete von ihrer Flucht nach Europa abzuhalten. Dafür ist ihr anscheinend jedes Mittel recht. Die neue EU-Marinemission ist ein weiterer Baustein der Festung Europa und der Abschreckung von Geflüchteten. Das ist unerträglich!

Wir als LINKE fordern eine staatlich-organisierte, zivile Seenotrettungsmission im Mittelmeer. Die Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache muss sofort beendet werden. Die EU und die Bundesregierung benötigen eine solidarische Außen- und Fluchtpolitik, die sich an Menschen- und Völkerrechten orientiert. Wir brauchen Solidarität statt militärischen Grenzschutz, wir sagen weg mit Frontex und Schluss mit der Festung Europa. Und: NEIN zu sinnlosen EU-Marinemissionen und Waffenlieferungen!


Michel Brandt ist Bundestagsabgeordneter der Partei DIE LINKE. Er ist außerparlamentarisch aktiv in sozialen, ökologischen und antirassistischen Bewegungen.


 

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.