Neue Welle der Repression in Belarus – ein Protokoll
Bisher gibt es in Belarus zwei politische Gefangene, die wegen „Gewalt oder Androhung von Gewalt gegen einen Angestellten der Behörden für innere Angelegenheiten“ verurteilt wurden. Im Sommer 2018 begannen Repressionen von bis dato nicht gekannter Intensität gegen JournalistInnen, BloggerInnen, GewerkschafterInnen und politische AktivistInnen. Das Besondere an dieser Welle: Nicht einmal fadenscheinige Gründe werden dafür noch angeführt.
Was ist konkret geschehen?
Proteste gegen die „Parasiten-Verordnung“ - Repression gegen die Gewerkschaften
Derzeit läuft ein Gerichtsverfahren wegen angeblicher Steuerhinterziehung gegen die führenden Vertreter der unabhängigen Gewerkschaft der Beschäftigten der Radioelektronik Gennadi Fedynitsch und Igor Komlik. Dieses ist eindeutig politisch motiviert und stellt eine Strafmaßnahme für die Beteiligung ihrer Gewerkschaft an den Protesten gegen die „Parasiten-Verordnung“von 2017 dar.
Anlass der Proteste war ein von Staatspräsident Lukaschenko im April 2015 unterzeichnetes Gesetz, mit dem eine Sondersteuer für Arbeitslose unter dem bezeichnenden Titel „Über die Verhütung sozialen Schmarotzertums“ eingeführt wurde. Alle BürgerInnen, die länger als sechs Monate arbeitslos sind, sollen demnach für die vom Staat bereitgestellten Sozialleistungen bezahlen. Obwohl die Arbeitslosenrate offiziell nur ein Prozent beträgt, wurden fast zehn Prozent der 4,5 Millionen Werktätigen angeschrieben. Doch bei einem Durchschnittsgehalt von 350 Euro kann sich kaum jemand in Belarus eine Strafgebühr von 200 Euro leisten.
Die Proteste richteten sich aber nicht nur gegen das unsägliche Gesetz, das in der Öffentlichkeit „Parasiten-Verordnung“ genannt wird. Die Gewerkschaften fordern u.a. mehr soziale Rechte, die Wiedereröffnung geschlossener Fabriken, die Besteuerung der Reichen und schließlich den Rücktritt Lukaschenkos.
Homophobie auf Staatsebene - Repressionen gegen LGBTQ
Am internationalen Tag des Kampfes gegen Homophobie und Transphobie wehte an der britischen Botschaft die Regenbogenfahne. Das belarussische Innenministerium reagierte darauf mit scharfen homophoben Äußerungen. LGBT und der Kampf für ihre „Rechte“ stellten ein Kopieren [fremder Praktiken] dar. „Belarus beruht auf den traditionellen Institutionen von Familie und Ehe. Wir stehen für das Wahre – sie werden damit nicht durchkommen“, hieß es in einer Erklärung des Innenministeriums. Im Anschluss daran setzten Repressalien gegen LGBT-AktivistInnen ein. Viktoria Biran, Aktivistin und Mitbegründerin des Projekts MAKEOUT.BY hatte als Reaktion auf die Erklärung des Ministeriums in den Straßen von Minsk drei Fotos aufgenommen, in denen sie ein Poster mit der Aufschrift „Ihr seid eine Kopie.“ hochhielt. Daraufhin wurde sie von der Polizei einbestellt und für „das Abhalten einer nicht genehmigten Großveranstaltung“ mit einer Geldbuße belegt.
Am 23. Juli stürmte die Polizei den Nachtclub „Burleske“, einen Treffpunkt der LGBT-Gemeinde in Minsk. Dies ist die dritte Durchsuchung des Clubs in diesem Jahr, eine Schikane, durch die Angst und Schrecken verbreitet werden sollen.
Repressionen gegen Journalisten und Blogger
Ebenfalls am 23. Juli wurde Sergej Petruchin, ein Blogger aus Brest, offiziell über laufende Ermittlungen gegen ihn informiert. Demnach ermittelt der Bezirksuntersuchungsausschuss wegen „Beleidigung in einer öffentlichen Rede, entweder gedruckt, im öffentlichen Raum oder in den Medien“. Im Falle einer Verurteilung droht dem Blogger eine Haftstrafe bis zu drei Jahren. Petruchin hatte wiederholt ausführlich über die Massenproteste im vergangenen Jahr berichtet.
Am 7. August wurden die Nachrichtenagenturen Tut.by und BelaPAN gestürmt und durchsucht. Den bei dieser Aktion festgenommenen 18 JournalistInnen wurde vorgeworfen, sich unerlaubten Zugang zum gebührenpflichtigen Dienst der staatlichen Nachrichtenagentur BelTA verschafft zu haben. "Tut.by" und "BelaPAN" gehören zu den bekanntesten und renommiertesten unabhängigen Medien im Land. Pawlik Bykowski, Journalist der Deutschen Welle und einer der Inhaftierten, reichte Beschwerde ein, die jedoch zurückgewiesen wurde.
Julia Tscharnjauskaja, die Lebensgefährtin von Juri Zisser, dem Gründer von tut.by, berichtete auf Facebook von der Polizeiaktion: „Das erste Mal in den zwanzig Jahren seines Bestehens wurde tut.by durchsucht. Bisher sind mir noch keine Details bekannt. Die Angestellten werden daran gehindert, das Büro zu betreten. Marina Solatawa (Chefredakteurin) wird derzeit verhört. Mein Mann versucht herauszufinden, was los ist.“
Bereits im Juli hatte die Steuerfahndung die Wohnung des Gründers und Direktors der unabhängigen Nachrichtenagentur BelaPAN, Ales Lipai, gestürmt. Lipai wurde der Steuerhinterziehung verdächtigt, weil er seine Steuererklärung einige Tage zu spät eingereicht hatte. Er beglich die ihm auferlegte Gebühr umgehend und erklärte seine Steuern und sämtliche Ausgaben in vollem Umfang. Dennoch wurde gegen ihn Anklage erhoben. Dahinter wird die Absicht vermutet, unabhängige Medien durch Schikane und ökonomischen Druck zu behindern.
Verfolgung von Menschenrechtlern
Fünf Beobachter des Menschenrechtszentrums „Wjasna“ und des belarussischen Helsinki-Komitees wurden am 3. Juli in Minsk festgenommen, während sie bei einer friedlichen Versammlung als Berichterstatter anwesend waren. Eine weiteren Beobachterin wurde auf dem Weg zur Polizeistation festgehalten, wo sie sich nach ihren KollegInnen erkundigen wollte. Alle Verhafteten wurden nach drei Stunden wieder freigelassen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Menschenrechtsbeobachter festgenommen werden. Dieses Vorgehen widerspricht selbst dem häufig kritisierten Grundgesetz von Belarus, wonach Beobachter von Großveranstaltungen nicht deren Teilnehmer sind. Die Behörden begründen ihre Aktionen pauschal mit dem Vorwurf der „Begehung einer Straftat“.
Am 26. Juli rief die Polizei den Menschenrechtsaktivisten und Anwalt Leonid Sudalenko aus der Stadt Gomel an, wie die Menschenrechtsseite „Wjasna“ berichtet. Er wurde davon informiert, dass die Polizei dem Hinweis eines Gomeler Bürgers nachgehe. Angeblich habe dieser die Behörden aufgefordert, Sudalenko für Verleumdung zu belangen, da er einen Beitrag auf Facebook mit „gefällt mir“ markiert habe.
Missachtung des Rechts auf friedliche Versammlung und Meinungsfreiheit
Eine im Juli von dem Oppositionspolitiker Mikalai Statkewitsch organisierte „Aktion für Befreiung und Solidarität“ wurde von Zivilpolizisten verhindert. Etwa 30 Teilnehmer wurden festgenommen. Fast alle wurden ohne Protokoll wieder freigelassen, obwohl man einige über sechs Stunden lang festhielt. Statkewitsch war bereits vor Beginn der Aktion verhaftet worden und wurde mit einer Geldbuße belegt. Offizielle Veranstalterin war die sozialdemokratische Partei „Narodnaja Hramada“.
In Brest wurde eine Unterschriftensammlung mit dem Hinweis auf das Verbot von Massenveranstaltungen unterbunden. Die AktivistInnen strebten eine kollektive Beschwerde bei der Präsidialverwaltung gegen den Bau einer gesundheitsschädlichen Batterieanlage bei Brest an. 40 000 AnwohnerInnen der Stadt haben die Beschwerde bereits unterzeichnet.
Dies sind nur die bekannten Fälle von Repression. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Fälle, deren Opfer es nicht wagen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Die konkreten Ziele dieser Welle politischer Unterdrückung sind noch nicht bekannt. Eines ist zweifellos die Zerschlagung der Opposition in Belarus - unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung.
Pawel Katarscheuski ist Politikwissenschaftler und im Bezirksvorstand Minsk der belarussischen Partei „Gerechte Welt“ aktiv.
http://spring96.org/ru/news/90461
http://belsat.eu/en/news/tut-by-office-searched-in-minsk/
http://mvd.gov.by/main.aspx?guid=200595
https://belaruspartisan.by/politic/433707/
https://news.tut.by/society/601672.html
https://euroradio.fm/ru/gomelskogo-pravozashchitnika-leonida-sudalenko-podozrevayut-v-klevete
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