Es ist wichtig, dass Demokraten im Parlament sind
Oliver Schröder: Es ist ein Alptraum, dass in Italien die protofaschistische Partei bei den Wahlen die Parlamentsmehrheit gewonnen hat und dass Frau Meloni die italienische Ministerpräsidentin geworden ist. Wie sehen Sie dieses Wahlergebnis?
Giorgio Marasá: Das ist leider sehr wahr. Vor uns steht nun die schlimmste rechte Regierung, die man sich vorstellen kann. Der problematischste Punkt ist, dass es sich hierbei nicht um die einzige rechte Regierung in Europa handelt. Nicht nur, dass Frau Meloni die Führung des Landes übernommen hat, ist ein Problem, sondern auch die allgemeine Zusammensetzung der Regierung ist es. Sie haben völlig Recht. Diese Regierung wird mit Sicherheit die Ungleichheiten in unserem Land vergrößern und darauf auch die denkbar schlechtesten Antworten geben. Wir glauben, dass wir gegen diese Rechte eine möglichst große und starke Opposition aufbauen sollten. Wir müssen eine klare Linie der gesamten progressiven Opposition bilden.
Oliver Schröder: Ihre Partei hat in einer Koalition mit den Grünen an der Wahl teilgenommen und zusammen mit ihnen auch Wahlkampf gemacht. Am Ende erhielt ihre Koalition 3,6 Prozent der Stimmen, zwölf Abgeordnete im Parlament und vier Senatoren. Das ist kein schlechtes Ergebnis. Aber hätten Sie mehr erreichen können?
Giorgio Marasá: Zunächst einmal sind wir sehr glücklich über das Ergebnis, das wir erzielt haben. Denn es war nicht einmal selbstverständlich, dass überhaupt eine progressive Kraft so ein Ergebnis bekommen und ins Parlament ziehen würde. Wir haben es geschafft, die Wahlhürde zu überwinden und wieder ins Parlament einzuziehen. Denn in dieser Periode wird es wichtig sein, dass demokratische Kräfte im neuen Parlament präsent sind. Wie Sie bereits sagten, hatten wir eine gemeinsame Liste mit der Grünen Partei aufgestellt, die auf der Tatsache basiert, dass soziale und ökologische Gerechtigkeit zusammengehen müssen. Wir haben die Absicht, diesen Weg fortzusetzen und zu vertiefen. Denn dieses Thema wird für die Zukunft entscheidend sein.
Wir freuen uns aber auch darüber, dass sich viele junge Wähler für uns entschieden haben. Das bedeutet, dass wir einen Teil der Stimmen und einen Teil der Zukunft abfangen konnten. Das wird für die nächsten Jahre sehr wichtig und grundlegend sein.
Oliver Schröder: Sie wollen eine wichtige Oppositionskraft sein. Von der rechtsextremen Regierung kann viel Schlimmes ausgehen. Ein Beispiel könnten die Flüchtlingsboote sein. Hunderte oder Tausende von Flüchtlingen aus Afrika, die vor Armut und Kriegen fliehen, versuchen, nach Italien, nach Lampedusa, nach Sizilien zu kommen. Was wird diese Regierung mit den Rettungsbooten und der humanitären Krise vor unserer Haustür machen?
Giorgio Marasá: Die Aussichten sind wirklich nicht schön. Es wird auf jeden Fall schlimmer sein als im letzten Jahr, und wir werden wahrscheinlich mit einer ähnlichen Situation konfrontiert sein, aber mit einem stärkeren Akzent als zu der Zeit, als Salvini Innenminister war. Während des Wahlkampfes sprachen die Rechtsextremisten offen über eine militärische Sperre an der Grenze, an unserer Seegrenze. In Anbetracht dieser armen Menschen, die vor dem Krieg fliehen, sollten wir nach unserem Beitrag fragen. Denn jeder Krieg sollte als gleichwertig betrachtet werden. Aber die Rechtsextreme betrachten diese Menschen, die vor Krieg und Armut fliehen, als unsere Feinde. Dagegen werden wir uns auf jeden Fall wehren. Wir werden uns sowohl im Parlament als auch auf der Straße dagegen wehren. Und auch mit Leuten wie Mediterranea oder den anderen NGOs, die im Moment am Mittelmeer präsent sind, werden wir in Verbindung stehen. Wir werden versuchen, etwas zu tun, das wesentlich, aber auch sehr einfach ist: Menschen helfen, der Menschheit helfen. Das ist etwas, was wir nicht allein machen können.
Hier gibt es jedoch noch ein wichtiger Punkt, den man berücksichtigen sollte: In der Migrationsfrage brauchen wir eine stärkere europäische Solidarität. Alle sollten bedenken, dass diese Grenze am Mittelmeer nicht nur die italienische Grenze ist. Sie ist eine europäische Grenze, und wir sollten alle Grenzen öffnen. Das bedarf Offenheit und eine gemeinsame, solidarische, europäische Anstrengung.
Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.