Die Schwarze Madonna mit Regenbogen
Als Reaktion auf eine homophobe Installation in einer von Płocks Kirchen platzierten Elżbieta und Anna im April 2019 Aufkleber und Plakate mit einem Gemälde von der Schwarzen Madonna von Tschenstochau in einem Regenbogenhalo. Daraufhin stürmten Polizeibeamt*innen in frühen Morgenstunden die Wohnung der Aktivistin Elżbieta Podlesna und beschlagnahmten während der Hausdurchsuchung ihr Computer und weitere Gegenstände als Beweismittel. Elżbieta Podlesna wurde in ein Internierungslager gebracht, was jedoch später vom Bezirksgericht in Płock als ungerechtfertigt befunden wurde. Am 6. Mai erschienen beide Aktivistinnen freiwillig auf der Polizeistation in Płock, um auszusagen. Am selben Tag warf die Staatsanwaltschaft Elżbieta Podlesna vor, religiöse Gefühle verletzt zu haben. Der gleiche Vorwurf richtete sich auch gegen Anna Prus, aber erst ein Jahr später.
Der Fall wurde weltweit von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Freemuse, Front Line Defenders, Human Rights Watch, ILGA-Europa, Helsinki-Stiftung für Menschenrechte oder Kampagne gegen Homophobie kritisiert. Unter dem Motto "Regenbogen beleidigt nicht" wurde vor Kurzem eine Solidaritätskampagne mit den Angeklagten in den sozialen Medien gestartet.
Die Geschichte von Elżbieta und Anna ist kein Einzelfall. Die Aktivist*innen, die während einer Equality-Parade in Częstochowa mit einem Bild von Maria demonstrierten, wurden ebenso vor Gericht gestellt. Doch die dortige Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Die Ermittler waren nämlich zu dem Schluss gekommen, dass es bei der Aktion keine Rede von Beleidigung religiöser Gefühle sein kann. Laut der Staatsanwaltschaft sei der Regenbogen weder beleidigend noch vulgär.
Auch in der Hauptstadt Warschau hatten Aktivist*innen aus dem Kollektiv Stop Bzdurom (Stop Unsinn) im Sommer 2020 aus Protest gegen allgegenwärtige queerfeindliche Rhetorik einige Denkmäler, u.a. ein Jesus-Denkmal, mit Regenbogenflaggen dekoriert. Daraufhin nahm die Polizei zwei Aktivist*innen wegen Verletzung religiöser Gefühle fest. Ein neuer Höhepunkt wurde vor einigen Tagen erreicht, als auf einer Auktion ein Bild der Madonna mit Kermit zum Kauf gestellt wurde. Diesmal reichte der stellvertretende Justizminister Marcin Romanowski persönlich eine Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft ein.
Erzkonservative hinter PiS
Ähnliche Vorfälle häufen sich seit der Machtübernahme der nationalkonservativen Recht- und Gerechtigkeitspartei (PiS) in 2016. Um an die Macht zu kommen, hat die Partei von Jaroslaw Kaczynski Allianzen mit rechten Akteuren geschlossen, die zwar gesellschaftlich keine Mehrheit bilden aber einen wichtigen institutionellen Einfluss ausüben. Dazu gehören u.a. die katholische Kirche oder die Stiftung Ordo Iuris, deren Mitglieder auch als Expert*innen für die Regierung tätig sind. Dies hatte einen Rechtsruck und einen Rollback mit schwerwiegenden Auswirkungen auf die Rechte der Frauen und Queers zur Folge. Denn, unterstützt von der Regierung, versuchen diese Akteure gegen die sogenannte “Gender-Ideologie” vorzugehen und zielen dabei auf eine Umkehr von “Errungenschaften des Kulturmarxismus”. Gemeint ist damit nichts anderes als die Emanzipation von Frauen, die Anerkennung ihrer Gleichberechtigung, sowie die Gleichstellung von queeren Menschen und nationalen und ethnischen Minderheiten. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung solle dem ‘’Naturrecht” und der christlichen Doktrin untergeordnet werden.
Mit ihrem fundamentalistischen Kampf gegen Ehescheidungen, Empfängnisverhütung, Sexualleben, sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität, Schwangerschaftsabbruch und In-Vitro-Methode verzeichneten diese Konservativen durchaus Erfolge. So erklärten sich zahlreiche Städte und Gemeinden in Polen zu “LGBT-Freizonen”, der Schwangerschaftsabbruch wurde trotz massiver Proteste verboten und die Notfallverhütung ist nunmehr, entgegen den EU-Vorschriften, rezeptpflichtig. Doch ideologische Projekte der Rechten und ihr Kampf um Schutz der heteronormativen Familie gehen viel weiter. Die Themen Verbot der Sexualerziehung, Erhebung von Scheidungsgebühren oder Verhältnis zwischen Kunst und Religion rücken immer mehr ins Zentrum der öffentlichen Debatte. Der Streit um Gender und sexuelle Selbstbestimmung führt zur starken Mobilisierung der rechten Szene und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. So wurde im Juli 2019 eine LGBT-Demonstration in Bialystok überfallen. Ein geplanter Terroranschlag auf die Pride-Parade in Lublin scheiterte knapp durch die Intervention von Polizeibeamt*innen. Später berief sich die Staatsanwaltschaft auf Expert*innen und erklärte, die Gaskanister, an denen Feuerwerkskörper befestigt waren, hätten zum Tod vieler Menschen führen können.
Ein positiver Bruch mit Konservatismus
Der Kampf für LGBTQI-Rechte und für die Partizipation von queeren Menschen in der Gesellschaft gewann in den letzten Jahren trotz des massiven Rechtsrucks viel an Sichtbarkeit. Denn die in der letzten Zeit zunehmenden Angriffe auf die Queers in Polen führten zu einer Gegenbewegung. Soziale Bewegungen sind entstanden, die das Schicksal von queeren Menschen in der Öffentlichkeit thematisieren und sich gegen Homo- und Transfeindlichkeit, gegen Ausschluss, Missbrauch und andere Formen der Gewalt gegenüber Menschen, die nicht in das heteronormative Gesellschaftsbild passen, aussprechen. Zwischen 2018 und 2020 fanden dutzende neue Gay-Pride-Paraden u.a. in kleinen Ortschaften statt, an denen sich tausende Menschen beteiligten. Dieser Bruch mit der nationalkonservativen, katholischen Ideologie ist eine dauerhafte Errungenschaft und ein guter Ausgangspunkt auf dem Weg zu einer emanzipierten Gesellschaft.
Die Unterstützung für die gleichgeschlechtlicher Partnerschaften liegt in Polen bei 56 Prozent und für die Ehe für Alle bei 41 Prozent. In jeder Altersgruppe bis 60 gibt es mehr Unterstützer*innen als Gegner*innen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Bildung und Wohnort beeinflussen ebenfalls die Einstellung: Je größer die Stadt und je höher die Bildung, desto höher das Toleranzniveau. Interessanterweise befürwortet auch die Wählerschaft der offen homofeindlichen Parteien wie Konfederacja oder Kukiz’15 mehrheitlich die gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Die Aufwärtstrends entsprechen den Ergebnissen der Umfragen aus den letzten Jahren. Das Argument die Gesellschaft sei für solche Umbrüche nicht bereit, verlor ihre Glaubwürdigkeit.
Probleme und Chancen für die Linke
Natürlich werden die reaktionärsten Teile der PiS-Wählerschaft durch die tägliche hasserfüllte Propaganda der Geistlichen oder des staatlichen Fernsehens stark angesprochen, aber dies ist immer noch nicht der dominierende Faktor. Homofeindlichkeit ist kein Thema, das für die PiS breite Massen mobilisiert. Sie ist für sie auch nicht so entscheidend, wie das ökonomische Profil und das große Versprechen der Auseinandersetzung mit den Fehlern der kapitalistischen Transformation und der neuen „Eliten“. Homofeindliche Politik findet unter dem ideologischen Deckmantel der Wiederherstellung der polnischen Werte und Souveränität, aber auch durch soziale Reformen, die sich keine Partei nach 1989 in dieser Form getraut hat. Die PiS hat ihr Flaggschiff Kindergeld-Programm umgesetzt, Banken besteuert und das alte Rentenalter wiederhergestellt. Für Millionen von PiS-Wählern ist die Angst vor der Rückkehr des technokratischen Neoliberalismus und die Herrschaft derer, die Polen nach 1989 "ausverkauft" haben, der wichtigste Mobilisierungsfaktor.
Ein Problem für linke Parteien. Denn während die Regierungspartei von einer Mehrheit der Arbeiter*innen unterstützt wird (60 Prozent), genießt die linke Partei Lewica Razem die geringste Unterstützung in dieser Gruppe unter allen Parteien (!). Diese Statistiken sind sehr sorgeerregend für die Linke, die trotz ihrer sozialen Programmatik die Wählerschaft bisher nicht durchdringen kann.
Doch trotz ihrer sozialen Demagogie ignorierte die PiS stets die Forderungen des streikenden Pflegepersonals, der Lehrkräfte oder der Bergbauarbeiter*innen. Besonders jetzt in der allgegenwärtigen wirtschaftlichen Krise gerät die Regierung immer mehr in Widersprüche, was ein neues Gelegenheitsfenster für linke Parteien öffnet, um ihr eigenes soziales Profil zu stärken. Sie darf dabei aber die Gefahren nicht unterschätzen, die von den Rechten ausgehen und sollte solidarisch mit den LGBTIQ, den Frauen oder den ethnischen Minderheiten, für ihr Schutz und für mehr Rechte für diese Bevölkerungsgruppen eintreten.
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