Zum Hauptinhalt springen

Jacob Migenda und Kerstin Schöneich

Keine Erlösung für die lateinamerikanische Linke

Salvador heißt Erlöser, doch für die Linke war die Parlamentswahl keineswegs die erhoffte Erlösung vom Rechtsruck auf dem Kontinent.

Die Hauptstadt San Salvador war überschwemmt von Wahlwerbung. Laternenmasten, übergroße Billboards, Busse und sogar normale Autos waren bedeckt mit Plakaten. An Straßenecken wurden Fahnen geschwungen und den Autofahrer*innen Flyer zugesteckt. Die bunte Werbung und das zuversichtliche Lächeln der Kandidat*innen ließen sogar den allgegenwärtigen Stacheldraht vergessen, mit dem die Menschen ihre Häuser vor der Gewalt der Banden zu schützen versuchen.

Zur Wahl stehen deutliche Gegensätze

Schließlich gab es bei der Wahl auch klare Alternativen. Seit neun Jahren stellte die linke Front für die Nationale Befreiung „Farabundo Martí“ (FMLN) den Präsidenten und die Regierung. Ihr schärfster Widersacher ist die rechtskonservative Allianz für die nationale Erneuerung (ARENA). Es stehen sich nicht einfach zwei wenig unterscheidbare Parteien der Mitte wie die SPD und die CDU gegenüber, sondern ehemalige Kriegsgegner. Während die FMLN im Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 gegen die rechte Militärjunta kämpfte, wurde die ARENA zur Unterstützung der rechten Generale gegründet. Der linke Präsident Salvador Sánchez Cerén ist Ex-Commandante der Guerilla, während der Vater eines heute führenden ARENA-Politikers 1980 den Mord an dem regimekritischen Erzbischof Oscar Arnulfo Romero anordnete. Dieser Mord löste damals den Bürgerkrieg aus.

Auch die politischen Ziele beider Parteien sind grundverschieden. Die ARENA-Regierungen verfolgten in den 1990er und frühen 2000er Jahren eine zutiefst neoliberale Wirtschaftspolitik. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnete sich dadurch immer weiter. Hunderttausende Bewohner des Landes wanderten aus. Zurzeit leben etwa 3 Millionen in den USA.

Erfolge und Probleme der Linksregierung

Als 2009 Mauricio Funes im Rahmen des allgemeinen Linksrucks in Lateinamerika zum Präsidenten gewählt wurde und damit die erste linke Regierung in der Geschichte des Landes bildete, änderte sich die Politik fundamental. Trotz der stets angespannten Haushaltslage wurden Gehälter angehoben, eine kostenlose Gesundheitsversorgung etabliert und allen Schüler*innen kostenloses Schulessen sowie Schuluniform und Schuhe garantiert. Durch die staatliche Förderung der lokalen Schuhmacher*innen wurden so mehrere Tausend neue Arbeitsplätze geschaffen. Solche sozialpolitischen Maßnahmen zeigen heute messbare Erfolge: Durch die Reduzierung der Unterernährung und die bessere medizinische Versorgung sind Kinder in El Salvador gesünder und früher oft tödliche Krankheiten wie Denguefieber oder Gelbfieber inzwischen unter Kontrolle gebracht.

Andere Probleme ging die linke Regierung allerdings weniger an: El Salvador ist eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder der Welt. Bodenerosion durch Monokultur, Plastikmüll in den Mangrovenwäldern, Ernteausfälle, Artensterben und Waldbrände sind nur einige Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat.

Die Sicherheitslage ist prekär. Banden bekriegen sich täglich in den Städten, die Kriminalität grassiert. Eines der repressivsten Abtreibungsgesetze der Welt bringt Frauen massenweise in überbelegte Gefängnisse. Nicht zuletzt zeigen sich die üblichen Abnutzungserscheinungen einer längeren Regierungszeit in der Gestalt von Korruption.

Rechter Gegenwind kommt aus dem Staatsapparat

Die größte Herausforderung kommt von der rechten Opposition. Die FMLN stellt den Präsidenten. Doch im Parlament sind die Rechten in der Mehrheit und von den Verwaltungsbehörden bis zum Verfassungsgericht befinden sich nahezu alle Institutionen weiterhin in den Händen von ARENA-Anhänger*innen. Sie torpedieren die Arbeit der Regierung, wo sie nur können.

Diese Mehrheitsverhältnisse ziehen sich bis zu den unteren Wahlbehörden durch, weshalb die Gefahr von Wahlbetrug durch die Rechten immer im Raum steht. Angesichts dessen war bekannt, dass man bei dieser Wahl leichte Verluste der FMLN erwarten konnte.

Eine schwere Niederlage für die FMLN

Dennoch war das Ergebnis für die Linke ein Schock. Denn die FMLN und ihre Verbündeten erhielten nur noch knapp eine halbe Million Stimmen und verloren damit gegenüber der letzten Wahl mehr als 350 000. Auch wenn ARENA ebenfalls leichte Verluste in Kauf nehmen musste und weitere rechte Parteien keine nennenswerten Zugewinne errangen, haben die Rechten jetzt eine ausreichende Parlamentsmehrheit um alle Vorhaben der Regierung niederstimmen zu können. Eine eigenständige linke Regierungspolitik ist dadurch praktisch unmöglich geworden.

Ursachen der Niederlage

Für diese Wahlschlappe werden drei Hauptgründe genannt: Erstens der starke Gegenwind aus Staatsapparat und Medien, die fast ausschließlich in den Händen der Rechten liegen.

Zweitens, die politische Unzufriedenheit der Bürger wegen der unzureichenden Umsetzung des politischen Programms der FMLN. Viele Menschen profitieren trotz extremer Armut von keinem der neuen sozialen Projekte, und die Sicherheitslage ist weiterhin prekär.

Drittens, der Aufruf des populären Großunternehmers und Bürgermeisters von San Salvador Nayib Bukele, die Wahl zu boykottieren oder ungültig zu wählen. Dadurch stieg die Zahl der ungültigen Stimmen um rund 125.000 an.

Vor allem dieser Aufruf ist für die Linke ärgerlich. Denn er geht auf ein Zerwürfnis zwischen Bukele und der FMLN zurück, die ihn vor drei Jahren wegen seiner Popularität bei der Kommunalwahl aufgestellt hatte. Als Bukele kürzlich kundgab, er wolle bei der kommenden Präsidentschaftswahl kandidieren, lehnte die FMLN ab. Als Reaktion auf seine Selbstnominierung kam es zu einem Parteiausschluss. Nun plant Bukele seinen eigenen Wahlantritt und testete mit dem Wahlboykott seine Chancen für kommendes Jahr. Dass er damit der Linken schadete, war ihm gleichgültig.

Während Bukele gute Chancen haben dürfte, im nächsten Februar in den Präsidentenpalast einzuziehen, stehen die Chancen für die FMLN, die Präsidentschaft zu verteidigen, sehr schlecht. Die Leidtragenden dieser Spaltung dürften am Ende die Menschen sein, denen die bisherigen Sozialprogramme einen kleinen Schritt aus der Armut ermöglicht haben.

Jakob Migenda und Kerstin Schöneich von linksjugend [’solid] reisten zur Wahlbeobachtung nach El Salvador.

Zurück zur Übersicht

Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.