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Cem Sey

Türkei rutscht extrem nach rechts

Obwohl seine Partei ganze acht Prozentpunkte verliert, gewinnt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nun weitere fünf Jahre Zeit, um sein autokratisches Ein-Mann-System zu etablieren. Von nun an ist er aber vollkommen abhängig von der Gnade der Faschisten. Die islamistisch-nationalistische Koalition hat aber auch Widersacher. Denn die linke „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) erhielt 11,5 Prozent der Stimmen. Damit überwand sie die absurd hohe Wahlhürde von zehn Prozent und zog als drittstärkste Kraft erneut ins Parlament in Ankara ein.

Obwohl seine Partei ganze acht Prozentpunkte verliert, gewinnt Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan nun weitere fünf Jahre Zeit, um sein autokratisches Ein-Mann-System zu etablieren. Von nun an ist er aber vollkommen abhängig von der Gnade der Faschisten. Die islamistisch-nationalistische Koalition hat aber auch Widersacher. Denn die linke „Demokratische Partei der Völker“ (HDP) erhielt 11,5 Prozent der Stimmen. Damit überwand sie die absurd hohe Wahlhürde von zehn Prozent und zog als drittstärkste Kraft erneut ins Parlament in Ankara ein.

HDPs Erfolg ist nur ein kleiner und ungenügender Trost. Denn die Wahlen vom Sonntag werden das Land weiter nach rechts rücken lassen. Hier hilft auch nicht das Argument, der Wahlkampf sei ungerecht gewesen. Fakt ist, dass eine große Mehrheit der türkischen Gesellschaft tendenziell islamistisch-nationalistisch eingestellt ist. Deshalb müssen sich Demokraten in der Türkei auf eine lange Durststrecke einstellen, die auch noch nach Erdogans Abgang anhalten könnte.

Kaum eine Überraschung

Insgesamt bot das Wahlergebnis wenig Überraschung. Erdogan bleibt weiterhin der beliebteste Politiker des Landes. Bei der Wahl des neuen Staatspräsidenten erhielt er 52,5 Prozent der Stimmen, womit er den Wahlkampf schon in der ersten Runde für sich entschied. Die vagen Hoffnungen auf eine Stichwahl, und damit eine weitere Schwächung des Autokraten, waren am Wahlabend schnell verpufft.

Auch die parallel stattfindenden Parlamentswahlen brachten keine Überraschung. Die „Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) Erdogans verlor deutlich, erreichte aber zusammen mit ihrem faschistischen Bündnispartner „Partei der Nationalen Bewegung“ (MHP), in Deutschland bekannt als die Grauen Wölfe, weiterhin die politische Mehrheit.

Der erschreckende Fakt dieser Wahl offenbart sich bei einem Blick auf die Wählerwanderungen: Die AKP verlor rund zehn Prozent ihrer bisherigen Wähler. Die liefen mehrheitlich über zum nationalistischen Bündnispartner MHP. Gleichzeitig wechselten fast genauso viele MHP-Wähler zu der neugegründeten „Gute Partei“, einer Abspaltung von der MHP. Da die AKP- und MHP-Wähler bei der Präsidentschaftswahl geschlossen Erdogan ihre Stimmen gaben, konnte er gewinnen, obwohl seine AKP knapp acht Prozent einbüßte.

Dennoch kann sich Erdogan auf eine komfortable Mehrheit verlassen, wenn es in den nächsten fünf Jahren darum geht, die notwendigen Gesetze zu verabschieden, mit denen Erdogans Präsidialsystem fest etabliert wird. Viel mehr braucht er auch nicht.

Jetzt wird das autokratische System erst recht eingerichtet

In seiner ersten Rede nach der Wahl zeigte sich Erdogan dessen bewusst. Die Nation habe ihnen die Richtung gezeigt, sagte er seinen Anhängern in Istanbul. Nun trage er persönlich die Verantwortung für die administrative und die AKP zusammen mit der „Allianz der Bürger“ die legislative Verantwortung. „Das System wird nun geändert und wir werden das neue System schleunigst umsetzen“, sagte er.

Auch der Chef der Ultranationalisten MHP, Devlet Bahceli, sprach vor seinen Anhängern. MHP sei nun zur Schlüsselpartei geworden, erklärte er. Die Nation habe ihr den Auftrag gegeben, „auszubalancieren und zu kontrollieren“. Dass die MHP, deren Anhänger einen NSDAP-artigen Führerkult pflegen, nun der Königsmacher in der türkischen Politik geworden ist, daran ließ er keinen Zweifel. Genauso wenig, wie er mit dieser Rolle umgehen will: „Wir werden alle unsere Aufgaben umgehend erledigen, um das neue System zu etablieren.“

Die heimliche Gewinnerin der Wahl auf der Oppositionsseite ist die HDP. Sie hat nicht nur den Wiedereinzug ins Parlament geschafft, sondern auch ihren Stimmanteil im Vergleich zu den letzten Wahlen in 2015 leicht ausgebaut, obwohl sie unter enormem Druck stand. Erdogan wirft der Partei vor, Terror zu unterstützen. Ihre beiden ehemaligen Vorsitzenden, ihr charismatischer Chef, Selahattin Demirtas und tausende ihrer Funktionäre sitzen seit Monaten im Gefängnis – die meisten ohne rechtsgültige Urteile. Ihnen wurde nichts weiter als ihre Reden oder Tweets zur Last gelegt. HDP hat heldenhaft gekämpft. Dennoch spielten bei diesem Erfolg auch die Stimmen mancher CHP-Wähler*innen auch eine Rolle, die aus taktischen Gründen die HDP wählten.

Auf jeden Fall werden nun Erdogan und Bahceli anfangen die türkische Gesellschaft so umzuformen, wie es ihnen passt. Ab jetzt wird die relativ große liberale und demokratische Minderheit in der Bevölkerung dazu gezwungen, sich den Ideologien der religiös-nationalistischen Mehrheit anzupassen. Wie das Aussehen wird, zeigt die kleine Geschmacksprobe in den letzten Jahren – ohne Rechtsstaat, Redefreiheit oder Toleranz für Andersdenkende.

Erdogan will beispielsweise in der Zukunft verbieten, dass Menschen die im Gefängnis sitzen, für politische Ämter kandidieren, wie es der Kandidat der HDP, Selahattin Demirtas, zu Erdogans Ärgernis gerade tat und 8,1 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Wenn Erdogans Pläne wahr werden, dann werden zukünftig für Regierende Wahlen sehr einfach zu gewinnen sein: Sie müssten nur noch ihren politischen Gegnern der Terrorunterstützung bezichtigen, sie einsperren lassen, Beweise sind nicht mehr notwendig. Solche und weitere Gesetzesänderungen wären mit der neuen Parlamentsarithmetik durchaus möglich. Auf jeden Fall wird es in der Zukunft für Andersdenkende und Oppositionelle sehr schwer, die Machtverhältnisse zu ändern. Denn die regierende islamistisch-nationalistische Mehrheit hält jegliche Mittel in ihren Händen und wird abweichenden Meinungen kaum Gestaltungsraum lassen.

Das einzige, was Erdogan ab jetzt noch auf die Füße fallen könnte ist die Wirtschaft. Denn sein Erfolg basiert nach wie vor auf dem relativen Wohlstand seiner Klientel. Die internationalen Rahmenbedingungen, von denen auch die türkische Wirtschaft abhängig ist, sind jedoch andere geworden, seitdem die USA ihre Zinspolitik ändert und Protektionismus weltweit zunimmt.

Cem Sey ist freier politischer Korrespondent.

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Wichtiger Hinweis: Namentlich gezeichnete Beiträge geben die persönliche Meinung der Autorin bzw. des Autoren wieder.