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Pavel Katarzheuski

Autoritarismus in Belarus und die linke Alternative

Nikolai Petrov / imago images / ITAR-TASS

Am kommenden Sonntag, dem 9. August, wird in Belarus erneut gewählt. In einem Land, in dem oppositionelle Politiker*innen kaum als Kandidat*innen zugelassen und Lukaschenkos Kritiker*innen nicht selten eingesperrt werden oder gar spurlos verschwinden, bietet ausgerechnet die Präsidentschaftswahl wohl eher keinen Anlass für Veränderungsträume. Und doch gibt es so etwas wie Hoffnungsschimmer. Denn Lukaschenkos Wählerbasis schrumpft. Das bietet den radikalen Linken im Land die Chance, die Grundlagen für eine bessere Zukunft zu legen.

Seit knapp einem Vierteljahrhundert regiert in Weißrussland Alexander Lukaschenko mit harter Hand. Der Autokrat hatte die Präsidentschaftswahl 1994 in einem tatsächlich demokratischen Wettbewerb gewonnen, mit 45 Prozent der Stimmen im ersten und 80 Prozent im zweiten Wahlgang. Dies war dann auch die letzte weißrussische Wahl, deren Ergebnis von der internationalen Gemeinschaft und der eigenen Zivilgesellschaft als rechtmäßig anerkannt wurde.

Nach seiner Wahl errichtete Lukaschenko ein System, in dem die Kompetenzen der Exekutive, sprich seine, großzügig erweitert wurden. Mit einem Referendum setzte er im Jahr 1996 durch, dass er die Leiter*innen der lokalen Behörden, die Minister*innen, die Vorsitzenden des Verfassungsgerichtes, die Richter*innen, die Generalstaatsanwält*innen, die Führung der Zentralbank sowie die Vorsitzenden und die Hälfte der Mitglieder der Zentralen Wahlkommission ohne Zustimmung des Parlaments und allein ernennen darf. Er vereinfachte zudem das Verfahren zur Auflösung des Parlaments und errichtete Hürden für das Amtsenthebungsverfahren. Lukaschenko löste das gewählte Einkammerparlament, den Obersten Sowjet, auf und ersetzte es durch eine Nationalversammlung, in der er die Abgeordneten seither wie seine Marionetten fungieren lässt. Er regiert mit Dekreten, die über den Gesetzen stehen.

Widerstand zwecklos, das hatte Lukaschenko gleich zu Beginn demonstriert: Der damalige Chef der Zentralen Wahlkommission, Wiktor Gontschar, der es 1996 abgelehnt hatte das Ergebnis des Referendums zu ratifizieren, wurde von Lukaschenko per Dekret aus dem Amt entfernt. Später verschwand Gontschar. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt. Klar ist nur, dass Gontschar tragisches Schicksal zahlreiche weitere Kritiker*innen Lukaschenkos teilen. Die Medien sind natürlich gleichgeschaltet. 2004 besserte Lukaschenko mit einem weiteren Referendum nach, welches ihm ermöglicht auf Lebenszeit für das Präsidentenamt zu kandidieren. Wahlen in der Ära Lukaschenko sind daher Schauveranstaltungen, deren sicheres Ergebnis mittels Fälschungen, Rechtsverstößen und Repressionen fabriziert werden.

Rechtsextreme Rhetorik gemischt mit Versprechungen für linke Wähler*innen

Lukaschenko, selbst ehemaliges Mitglied der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), überzeugte seine damaligen Wähler*innen mit einer für rechtsextreme Politiker*innen charakteristischen Rhetorik. Er sprach davon, dass die kommunistische Ideologie keine Zukunft habe und warnte vor "der Gefahr einer kommunistischen Anti-Markt-Reform". Gleichzeitig verwendete er geschickt Parolen und Versprechungen, die für linke Wähler*innen attraktiv klangen.

Auch diesmal waren sich Beobachter sicher, dass Weißrusslands Wählende -trotz wachsender Unzufriedenheit– Lukaschenkos erneute Kandidatur stillschweigend und passiv hinnehmen werden. Doch als in Minsk die öffentliche Unterschriftsammlung für die Nominierung von Kandidat*innen begann, bildeten sich plötzlich lange Menschenschlangen vor den Sammelpunkten oppositioneller Kandidat*innen.

Lukaschenko reagierte hysterisch. Im Fernsehen erinnerte er die Zuschauenden drohend daran, dass der usbekische Diktator Islam Karimow auf Demonstrierende hatte das Feuer eröffnen lassen. Dabei waren auch diesmal Oppositionelle, die im Vorfeld damit liebäugelten zu kandidieren, für alle sichtbar drangsaliert worden. Ex-Banker Wiktor Babaryko, Lukaschenkos Hauptrivale, war im Mai zusammen mit seinem Sohn verhaftet worden. Ihnen wird Wirtschaftskriminalität vorgeworfen. Weder Babaryko noch Walerij Zepkalo, ebenfalls ein Politiker, der Lukaschenko gefährlich werden könnte, wurden als Kandidaten zugelassen. Ebenso der Blogger Sergej Tikhanowsky. Auch er wurde verhaftet, da er angeblich Gewalt gegen die Polizei angewandt haben soll. Für ihn tritt nun seine Frau Swetlana als einzig wirklich unabhängige Kandidatin an. Ihr Wahlprogramm ist vage. Ihr einziges konkretes Versprechen ist Neuwahlen ohne Lukaschenko. Längst wird auch ihr zugesetzt, mit anonymen Drohanrufen, bei denen ihr geraten wird ihre Kampagne einzustellen, andernfalls sie inhaftiert und ihre Kinder in Pflege gegeben würden.

Doch so stillschweigend und passiv wie in der Vergangenheit geht es diesmal nicht zu in Belarus. Das schamlose Durchgreifen der Behörden im Vorfeld der Wahlen provozierte Proteste im ganzen Land. Menschenketten wurden organisiert, Autofahrer*innen hupten zu ihrer Unterstützung. Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. Seit dem 17. Juli wurden mehr als tausend Personen festgenommen.

Neben Lukaschenko und Swetlana Tikhanowskaja stehen drei weitere Kandidaten. Sie kooperieren jedoch mit den Behörden, sind aufgeschlossene mitte-rechts Liberale und versuchen bestenfalls, in den Augen der Wählerinnen und Wähler zentristisch zu erscheinen. Aus linker Sicht ist die Lage festgefahren: Rechtsliberale gegen den rechten Autoritarismus Lukaschenkos.

Die Belarussische Partei der Linken "Gerechte Welt"

Weißrusslands linke politische Kräfte haben sich Lukaschenkos autoritär-bürgerliche Diktatur bislang konsequent widersetzt. Bei den 1995er Wahlen zum Obersten Sowjet, als das Lukaschenko-Regime noch im Entstehen war, bildete die Partei der Kommunisten Belarus‘ (PCB), mit mehr als 22 Prozent der Stimmen und 45 Abgeordneten die stärkste Fraktion im Parlament. PCB leistete Widerstand gegen die Einrichtung des autoritären Regimes. Während des Referendums im Jahr 1996 legte die Partei ihren eigenen Verfassungsentwurf vor und bezeichnete Lukaschenkos Vorgehen als einen „Soft-Putsch“. Lukaschenko rächte sich indem er die Partei spaltete. Ein Teil der ehemaligen PCB-Mitglieder gründeten eine neue pseudokommunistische Organisation, mit der sie Lukaschenko unterstützten. Die übrig gebliebene PCB selbst wurde 2009 umbenannt in die Belarussische Partei der Linken "Gerechte Welt".

"Gerechte Welt", zunächst entschlossen einen Kandidaten ins Rennen um das Präsidentenamt zu schicken, wollte sich dem neoliberalen Autoritarismus Lukaschenkos unabhängig von rechten "Demokrat*innen" entgegenstellen. Das Wahlprogramm enthielt Elemente demokratischer Reformen, die Wiederherstellung sozialer Rechte und die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden.

Im April, als die Corona-Fälle sprunghaft zunahmen, sah sich „Gerechte Welt“ jedoch gezwungen die Wahlkampagne einzustellen. Man forderte die Behörden zunächst auf, die Wahl zu verschieben und erklärte das Abhalten einer Wahl während einer tödlichen Pandemie für unverantwortlich und kriminell.

Nachdem Lukaschenko potentiellen Oppositionellen jedoch mit Hinrichtungen wie in Usbekistan und Tadschikistan gedroht hatte, erinnerte "Gerechte Welt" in einer Erklärung die Mitglieder der Wahlkommission daran, dass Wahlbetrug strafrechtlich verfolgt werden könne und forderte gleichzeitig die Polizei auf, keine Gewalt gegen friedliche Demonstranten anzuwenden. Den Bürger*innen empfahl "Gerechte Welt", Verstöße gegen Wahlgesetze bei der Staatsanwaltschaft zu melden.

Ideologisch sieht "Gerechte Welt" keine der Kandidat*innen in ihrer Nähe. Sie rief alle registrierten Kandidat*innen auf,  ihre Kandidatur zurückzuziehen und  sich nicht an der "politischen Farce" zu beteiligen. In ihrer Erklärung verurteilte "Gerechte Welt" die politischen Repressalien. Sie schlug allen Oppositionsparteien und Gewerkschaften sich zusammenzuschließen, um politische Gefangene und ihre Familien zu unterstützen.

Die Wahl bietet eine Chance

Die Präsidentschaftswahl 2020 könnte also Überraschungen bereithalten. Lukaschenkos Politik, im Kern ein Autoritarismus, der Sparmaßnahmen verordnet, verliert zunehmend an Unterstützung. Hinzu kommt das "ukrainische Syndrom". Damit ist gemeint, dass viele Weißruss*innen, die die negativen Veränderungen in ihrem Land offen kritisierten, spurlos verschwanden.

 Bisher konnte sich Alexander Lukaschenko auf die Unterstützung dreier Gruppen stützen: Eine spricht sich für soziale Gerechtigkeit aus. Eine Zweite befürwortet eine Partnerschaft mit Russland, und die Dritte wünscht sich beides.  Angesichts Lukaschenkos neoliberalem Wirtschaftskurs und den Konflikten zwischen ihm und der russischen Führung haben die Gruppen ihren Sprecher verloren und sind nun verunsichert.

Die soziale Unzufriedenheit und Zukunftsangst der Mehrheit der Bürger*innen bietet den radikalen Linken nun eine kleine aber auch historische Chance. Sie werden zwar nicht in der Lage sein, wesentliche Änderungen während des Wahlkampfs zu erreichen, können aber mit Hilfe eines Programms positiver Veränderungen den Weg dazu ebnen.


Pavel Katarzheuski, Mitglied des Zentralkomitees der belarussischen Partei der linken "Fairen Welt


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